Bilder des Alters - Altersbilder
Die Journalistin Rita Torcasso hat mir einige Fragen zum Thema Alter und Altersbilder gestellt, die ich hier beantworte.
1. Was hat sich bei den visuellen Bildern des Alters in den letzten 20 Jahren am stärksten verändert?
Vor 20 Jahren waren es vornehmlich Bilder des einen Alters: im Singular! Die Wahrnehmung des Alters war damals noch weniger ausdifferenziert. Heute, wo es mehr alte Menschen gibt, gibt es auch mehr verschiedene Bilder des Alters. Und je mehr man vom Altern spricht, desto vielfältiger sind auch die Aussagen und folglich die Bilder des Alters; denn Bilder sind gestaltete Aussagen. Es gibt heute viel mehr Bilder der verschiedenen Alter: im Plural!
2. Sie haben ja um die 100 Filme über das Thema Alter «gesammelt»: Welche Altersbilder werden in den Filmen vermittelt (die wichtigsten Tendenzen)?
Die Zusammenstellung von «100 Filme zum Thema Alter» aus dem Jahre 2010 ist in der Zwischenzeit gewachsen und umfasst heute 989 (Stand 17. 12. 2015) Titel, gesammelt und katalogisiert in der Bibliothek von Pro Senectute Schweiz. Bereits die Unterteilung in 28 Schlagworte, wie sie der Katalog bringt, zeigt die Vielfalt und die wichtigsten Tendenzen: Altersbilder/Alter, Arbeit/Pensionierung, Erinnerung/Aktivierung, Generationenbeziehung, Gesundheit/Sport/Prävention, Krankheit/Demenz, Lebensgestaltung/Freizeit, Pflege, Pro Senectute, Soziale Beziehungen/Partnerschaft, Soziales/Migration, Tod/Abschied, Unterhaltung, Wohnen/Heim/Umwelt.
3. Haben Sie selber von all den Bildern des Alters ein Lieblingsbild?
Lange war «Limelight» von Charles Chaplin (1952) mein Lieblingsfilm, mein Lieblingsbild des Alters. Er zeigt auf wunderbare Weise, wie der alte Clown Calvero, dessen Karriere zu Ende geht, die junge Tänzerin Tereza, die am Anfang ihrer Laufbahn steht, sich gegenseitig brauchen: Er rettet sie vor dem Selbstmord, sie ihn vor der Verzweiflung. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Alt und Jung, dieses existenzielle Aneinander-Gebunden-Seins macht Sinn. Neu ist «Le Havre» (2011) von Aki Kaurismäki mein Lieblingsfilm, mein Lieblingsbild des Alters. Im Mittelpunkt der Tragikomödie steht ein Schuhputzer und ehemaliger Literat, der gegen den Widerstand des Staates mit andern zusammen ein Flüchtlingskind aus Afrika rettet. Die Parabel zeigt ergreifend, wie Alte sich engagieren, sich in ihre Angelegenheiten einmischen, wie Max Frisch es gefordert hat. Der Film ist aktuell und schön wie die schönsten Gleichnisse der Bibel.
4. Es gibt bei den Bildern vom Alter zwei Sichtweisen – diejenigen von Jungen und diejenige der alten Menschen selber. Was unterscheidet die Bilder dieser beiden Sichtweisen am stärksten?
Der Blick der Jungen ist tendenziell und grundsätzlich ein Blick nach vorne, in die Zukunft, ins Offene, mit dem «Prinzip Hoffnung» (Ernst Bloch), der Blick der Alter hingegen ein Blick zurück, in die persönliche Vergangenheit und die Vergangenheit der Welt. Der eine wie der andere Blick fokussiert sich auf das Eine, ist oft blind für das Andere. Selbstverständlich kann diese Einseitigkeit, indem sie bewusst gemacht und in einem Lernprozess aufgearbeitet wird, teilweise korrigiert werden, doch eine gewissen Einseitigkeit bleibt meist. Diese Fokussierung kann jedoch auch fruchtbar sein im gesellschaftlichen Diskurs über das Alter und über die Welt.
5. Man sagt ja oft, dass alte Menschen «unsichtbar» werden. Machen die Bilder in den Medien die Vielfalt des Alterns sichtbar oder bräuchte es andere Bilder? Wenn ja, was fehlt vor allem?
Dieses «unsichtbar Werden» alter, vor allem weiblicher Personen thematisiert der Film «Giulias Verschwinden» von Christoph Schaub in der Figur des Geburtstagskindes anschaulich. Doch im Blick auf das riesige Angebot von Filmen und Bildern, in denen das Alter auf der «Vorderbühne» und auf der «Hinterbühne» (Erwing Goffmann) des Lebens sich abspielt, schränkt die Frage ein. Dass es «andere Bilder» braucht, dass andere Bilder «fehlen», ist für mich nicht relevant. Niemand hat zu postulieren, niemand zu korrigieren! Lediglich verhindern soll man, wenn Geld und Kommerz Einfluss oder Institutionen bestimmte Altersbilder propagieren: schlechte oder gute, je mit anderen Hintergedanken. Die Bilder des Alters, wie generell des Menschen des Menschen und der Welt, sollten frei sein von Manipulation. Sie sind dem hohe Gut der Meinungsfreiheit unserer Zivilgesellschaft verpflichtet.
6. Bilder üben auch Druck aus: Gibt es einen Bereich, in dem dieser Druck stark gewachsen ist?
Ich glaube, mit Druck sich auseinandersetzen, ist eine Lebensaufgabe. Doch es sind nicht primär die Bilder, die Druck ausüben, sondern die Menschen, die Gesellschaft. Ein Thema, so scheint mir, hat sich in den letzten Jahren besonders aufgedrängt, also Druck ausgeübt, die Frage provoziert: Wie beenden wir unser Leben? Doch das ist ein gesellschaftlicher Druck, ein Trend. Um 1975 etwa war ein ähnlich grosses Thema, das Druck ausübte, die Frage: Wie soll das Leben beginnen? Es ging damals um die Abtreibung. Heute und wohl noch in den nächsten zwanzig Jahr geht es um das Ende des Lebens, den Suizid, also auch den Alters-Suizid. Das Thema übt den Druck aus, nicht die Filme darüber; diese bilden es ab oder stellen es zur Diskussion.
7. Was müssten Organisationen wie die Pro Senectute bei den Bildern des Alters, die sie vermitteln, stärker beachten?
Eine Antwort ergibt sich aus meinen Bemerkungen zu den Fragen 1, 5 und 6. Wenn es verschiedene Altersbilder gibt, haben wir und hat Pro Senectute die Bilder des Alters auch in seiner Vielfalt und Verschiedenartigkeit zu verbreiten, unabhängig von erhofften oder befürchteten Wirkungen für die Institution. Wer das eine oder andere Bild systematisch verdrängt oder verschweigt, lügt. Und das dürfte wohl nicht die Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit einer Institution sein, die letztlich der Aufklärung verpflichtet ist. Ich denke, wenn wir möglichst ehrliche, differenzierte, vielfältige, sich widersprechende, unzensurierte Bilder bringen, dienen wir der Wahrheit, den Menschen, dem Alter und hoffentlich auch einer Organisation wie Pro Senectute. Die Wahrheit steht niemandem zu Diensten, auch nicht der Pro Senectute.
8. In letzter Zeit liest man viel über biologische Lebensverlängerungsmöglichkeiten, das GDI hat eben eine Studie über die «alterslose Gesellschaft der Zukunft» veröffentlicht: Wie wird aus ihrer Sicht die Zunahme der Zahl von alten Menschen die Bilder des Alters in Zukunft verändern?
Von solchen Slogans halte ich wenig, auch wenn sie vom GDI kommen. Oder habe ihn nicht verstanden? Vielleicht ist die folgende Überlegung jedoch ein kleiner Beitrag dazu: Ein schwuler Mensch soll bekanntlich nicht allein durch seine Sexualität definiert werden; denn er ist neben schwul z. B. politisch rot, grün oder schwarz, ist Skifahrer, Schachspieler, Biologe, Jazzmusiker usw. Wir sollten, so meine ich, einen alten Menschen auch nicht ausschliesslich als alt, sehr alt, im ersten, zweiten, dritten Alter, wie es die Sozialwissenschaft sagen, bezeichnen. Ein alter Mensch ist ein Theaterliebhaber, ein Alphornbläser, ein Schachspieler, eine Grossmutter, ein Urgrossvater, ein Nachbar, ein Wanderer, ein Engagierter, ein Liebhaber usw. usf. Befreien wir uns doch von der monothematischen Beschreibung. Ein Mensch, auch ein alter Mensch, ist immer viel mehr! Vielleicht ist das nun doch eine Antwort auf obige Frage nach der «alterslosen Gesellschaft».
Weiterführende Links
der-andere-film.ch, mit newsletter
der-andere-film.ch/themen/alter
seniorweb.ch/knowledge-article/filme-die-das-alter-deuten
http://www.prosenectute.ch/de/angebote/fuer-fachpersonen/bibliothek/angebotskatalog.html