Video 60+ Genuss durch Tun
Die Seniorengruppe Video 60+ stellt sich vor
Seit 1998 gibt es in Zürich die Seniorengruppe Video 60+ als Teil der Soziokul-tur der Stadt. Ihre Elemente sind ein Grundkurs und ein Workshop, die je ein halbes Jahr dauern, und die Produktionsgemeinschaft, die Videos realisiert. Stefania Quadri und Hanspeter Stalder animieren die Gruppe.
«Der Laie ist der Mensch, der sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischt», hat Max Frisch vor Jahren formuliert. Das steht als Motto auch über der Seniorengruppe Video 60+. Hier mischen sich Alte in einen Bereich ein, den üblicherweise Junge dominieren. Verlangt sind dabei nicht Experten, die alles besser wissen, sondern Amateure, die als „Liebhaber“ an die Sache herangehen.
Sich einmischen
Je älter Menschen werden, desto leichter ziehen sie sich mit der Begründung zurück: Das gelingt nicht, das ist nie gelungen. Neues zu versuchen, braucht im Alter oft Er-munterung und Unterstützung. Im Grundkurs, bei dem in zwanzig Halbtagen das Handwerk Video gelernt wird, gibt es Gelegenheit dazu. Wie muss ich filmen, dass man mich versteht? Wie wirkt eine Einstellung? Was lösen Musik, Geräusche, Montage aus? Mit welcher Bewegung kann ich Abschied ausdrücken? Warten? Begeiste-rung? Spannung?
Die Mitglieder von Video 60+ drehen nicht nur Videofilme. Sie üben auch, im Team zu arbeiten, gemeinsam Neues zu finden, Konflikte diskutierend zu lösen, sich als Lerngemeinschaft zu verstehen. In guten Momenten entstehen gar Freundschaften, die über Video hinausgehen. Immer wieder erleben sie, dass sich einzelne auch ausserhalb der Arbeit treffen, gegenseitig am Leben Anteil nehmen, Freud und Leid teilen.
Genuss durch Tun
Im ersten Workshops entstand ein Kurzfilm über das Wohnen von Senioren in der Stadt Zürich: ein Werbefilm im Kleid eines Spielfilms. Im Auftrag der Aktion Hilfe für Bergbauern drehte eine andere Gruppe eine Reportage über Lehrlinge, die halfen, Lawinenschäden des Winters 1999 aufzuräumen. Ein weiterer Film schildert den Entstehungsprozess einer Seniorenwohngemeinschaft. Und vom Jugendamt kam die Anfrage, ein Schülerprojekt in einem Quartier filmisch zu dokumentieren.
Besonders intensiv wurde die Arbeit jedoch, als sich Video 60+ den Auftrag gegeben hatte, über das Tanztheater Dritter Frühling eine Dokumentation zu drehen. Ein Jahr lang setzte man sich damit auseinander und hatte schliesslich drei Kurzfilme, welche die Idee und Arbeitweise des Theaters darstellen.
Gemeinschaftsprojekt
Aus dieser Begegnung erwuchs der Wunsch, ein gemeinsames Projekt zu realisie-ren. Die Leiter des Tanztheaters und der Videogruppe erarbeiteten, fussend auf der Idee des Max-Frisch-Stückes «Biographie: ein Spiel», ein Konzept über die Schnitt-stellen des Lebens. Es wurde mit dem Sozial- und Kulturpreis 2000 des Zürcher Frauenvereins mit 100'000 Franken ausgezeichnet, womit die Realisation gesichert war. Das Stück, das in einem langen, turbulenten Prozess entstanden ist, spielt auf einem Luxusdampfer. Dort werden Geschichten aus dem Leben älterer Menschen erzählt. Die Tanz-Theater-Video-Produktion «Biografieren» erweist sich als eine wahre Reise in die «terra incognita» des Alters.
«Lust und Liebe sind die Fittiche zu grossen Taten», heisst es in Goethes «Iphigenie auf Tauris». Dies stimmte in dieser Form, aber auch in der umgekehrten Form für Video 60+. Nicht nur der Genuss beflügelte das Tun, auch das Tun verschafft Genuss.
Alt und Jung
Auf Deck der «MS Destiny» hat sich eine illustre Gästeschar versammelt. Eine junge Crew hält das Schiff auf Kurs. Die älteren Darstellerinnen und Darsteller erleben Wundersames. Sie können nochmals an die Orte ihrer persönlichen Geschichte zurückkehren, das Steuer herumreissen, in den Wind fahren und ihre Biografie neu schreiben. Augenzwinkernd – denn was eignet sich besser zum Schicksalsgott als Humor – erleben sie, doch nicht ohne Ernst, ihre Lebensläufe neu.
Vorgeführt wird es von Frauen und Männer zwischen Sechzig und Achtzig mit Schauspiel und Tanz, ergänzt durch eine Gruppe junger Hip-Hopper. Das Spiel wird angereichert, unterstützt, in Gang gebracht durch Einspielungen von Video 60+. Das Ganze wird zu einem Furioso von lustigen und traurigen, spannenden und entspannenden Bildern und Tönen, die in eine Traumwelt voll sprühendem Leben und fantastischer Poesie mitreissen.
Das ganze war für die Video-Leute eine Riesenanstrengung. Manchmal kamen sie mit ihrem Prinzip «Fördern durch Fordern» an die Grenzen. Doch als dann alles stand und der Applaus im Saal brandete, waren alle glücklich. Geschafft! Ein grosses, ein wunderschönes Werk!
Auskünfte über Video 60+ gibt das Zentrum Hardau, 01 495 80 30. «Biografieren» wurde bisher in Zürich, an der Expo in Biel, in Basel und in Küsnacht gezeigt. Am 22., 24. und 25. Januar 2003 gibt es Aufführungen in Baden. Auskünfte erteilt das Theater am Brennpunkt. Über weitere Auftritte laufen Verhandlungen.