«Inszenierung des Alter(n)s» von Nina Alexandra Roser
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung stellt heute eine Zunahme der Lebenserwartung in Deutschland auf aktuell 80,3 Jahre fest. Diese «gewonnene Zeit» stellt für jeden Einzelnen neu eine Aufgabe dar, diese zusätzliche Lebenszeit individuell zu gestalten. Parallel dazu ist festzustellen, dass Medien im letzten Jahrzehnt generell, in den letzten zwei, drei Jahren vor allem Filme zum Thema Alter(n) quantitativ eine immer grössere Bedeutung erhalten haben. Dass die Darstellung des Alters in den Medien auch qualitativ immer vielfältiger und differenzierter wird, stelle ich ohne wissenschaftliche Erhebungen im Alltag fest. In der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas schliesst die Arbeit von Nina Alexandra Roser hier eine Lücke, schreibt der Herausgeber der Buchreihe «Media Studien», in welcher die Untersuchung als Band 16 erschienen ist. Die Magisterarbeit betrachtet einerseits die Realität des Alters und anderseits die Inszenierung des Alters im deutschen Film. «Ausgangspunkt ist dabei die Frage, ob der deutsche Kinospielfilm alte Menschen auf realistische Art darstellt», schreibt Roser in der Einleitung, «so wie sie sind», gemäss einer Aussage des Filmemachers Andreas Drese.
«Senioren und ihre Lebenswelt zu Beginn des 21. Jahrhunderts» ist das eine, «Altersstereotype und Altersbilder in Fernsehen und Film» das andere, was mit vielfältigen Fragestellungen zueinander in Beziehung gesetzt wird, aufgezeigt an den Filmen «Jetzt oder nie – Zeit ist Geld», «Schultze geth the blues», «Kirschblüten – Hanami», «Wolke 9» und «Dinosaurier – gegen uns seht ihr alt aus!». Mit einem riesigen Aufwand wird hier gezählt und gerechnet, analysiert und verglichen. Der Herausgeber der Buchreihe, Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, schreibt im Vorwort, diese «Magisterarbeit entspricht allen Kriterien, die an eine Publikation in dieser Reihe angelegt werden.» Das kann ich nicht beurteilen, wird indes wohl stimmen. Nicht folgen kann ich ihm jedoch, wenn er schreibt, dass diese Publikation «einer grösseren, interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen» sei. In diesem Fall gehöre ich zu dieser Öffentlichkeit, denn ich beschäftige mich seit fünfzig Jahren mit Film, seit dreissig Jahren mit Film und Alter. Doch einen Gewinn erhalten ich aus dieser Arbeit nicht. Denn es ist nach meiner Meinung ein Trugschluss, wenn man glaubt, «das» Alter oder «den» Film verstehen zu können, indem man Subjektivismen (etwa die Begriffe der Themenanalysen oder die Beschreibungen der Filmsequenzen) addiert oder hochrechnet und dann meint, etwas Objektives, für die Gesellschaft Brauchbares zu erhalten. Was ich hier lese, nützt keinem Filmemacher für sein neues Projekt, keiner Sozialarbeiterin in der Altersbildung, keinem Kritiker bei seiner Frage nach der Botschaft eines Films. Jeder Film ist anders, es gibt «den» Film nicht; jeder alte Mensch ist anders, es gibt «den» Alten nicht – es sei denn als «Material» für die Sozial- oder Medienwissenschaft.
Entschuldigen Sie, sehr geehrte Frau Roser, meine Kritik. Sie betrifft nicht Ihre Fleissarbeit und ihre Wissenschaftlichkeit, sondern richtet sich gegen eine gewisse Selbstzweckhaftigkeit, ja l’Art pour l’Art-Haltung, wie ich sie in einem Teil der Sozialwissenschaft festzustellen glaube.
Hanspeter Stalder
Nina Alexandra Roser: Inszenierung des Alter(n)s. Die Darstellung von Senioren in deutschen Kinospielfilmen von 1999 bis 2009, Leipziger Universitätsverlag 2013, 249 Seiten