Welches Alters-Bild sollen wir verbreiten?
Wer im Altersbereich Öffentlichkeitsarbeit macht, fragt sich gelegentlich, welches Altersbild zu verbreiten ist. Und wer nicht kopflos auf eine vorschnelle Antwort losstürmt, stellt fest, dass das Alter vielfältig, also pluralisch ist. Folglich sollte doch auch das Bild, das zu verbreiten ist, vielfältig daherkommen, «im Plural» stehen.
Wenn es eine Aufgabe der PR-Arbeit ist, das Innere nach aussen zu tragen, öffentlich zu machen, so muss sie auch verschiedene, also positive und negative, Alters-Bilder verbreiten. – Damit ist die Frage fürs erste beantwortet. Doch gehen wir nochmals, Schritt für Schritt, von der Frage zur Antwort.
Alterswirklichkeiten und Alters-Bilder
Bilder sind,
althochdeutsch, «nachgebildete Gestalten», in heutiger Sicht, visuelle, auditive
oder audiovisuelle Zeichen, «Texte», wie sie die Semantik nennt. Alters-Bilder
sind aber auch Menschenbilder; Alter ist ein «Aggregatszustand» des Menschseins;
jede Aussage über das Alter impliziert eine Aussage über den Menschen. Es gibt
glückliche und traurige, selbständige und abhängige Menschen im allgemeinen;
glückliche und traurige, selbständige und abhängige Alte im
besonderen.
Wenn es verschiedene Alters-Bilder gibt, haben wir diese alle
auch in der Öffentlichkeitsarbeit zu verbreiten, unabhängig von (erhofften oder
befürchteten) Folgen. Verdrängen und verschweigen wir systematisch einen Teil
davon, so lügen wir eigentlich. Und das kann doch nicht Aufgabe der PR
sein!
Z. B. negative Alters-Bilder
Lange war es im sozialen Bereich Norm, negative Bilder zu publizieren. Indem wir diese verbreiteten, also das Negative, die Nöte abbildeten, weckten wir Mitleid und schufen Solidarität. Die Institutionen wurden als die not-wendigen Instanzen für gewisse Menschen dargestellt. Das funktionierte! Das Publikum wollte helfen und spendete Geld, weil es etwas Gutes tun oder das schlechte Gewissen beruhigen wollte.
Weil dieser Helfer-Mechanismus Erfolg hatte, wurden die negativen Alters-Bilder immer wieder in die Köpfe und Herzen der Menschen transportiert und schliesslich in den Händen deponiert. Alt hiess lange Zeit arm und krank. Bei solchem Vorgehen bestand wenig Chance, die noch vorhandenen positiven Kräfte alternder Menschen zu wecken und zu fördern, während ihre negativen Eigenschaften durch das stetige Abbilden Verstärkung erfuhren.
Z. B.
positive Alters-Bilder
Später veröffentlichte man, unterstützt von den Erkenntnissen und Erfahrungen der Gerontologie und der Geragogik, vor allem positive Alters-Bilder. Zum Teil wurde gar offiziell verlangt, nur solche zu zeigen. Man nahm damit, bewusst oder unbewusst, in Kauf, dass beispielsweise weniger gespendet wurde. Mit der Verbreitung positiver Alters-Bilder erhoffte man eine Verbreitung der Selbsthilfe und eine positive Verstärkung der Eigenverantwortung.
Unter dem aktuellen Spardruck schlägt das Pendel heute wieder zurück: zu den Negativbildern. Diese wirken, wie vorher beschrieben, wenigstens kurzfristig. Die grundsätzliche Diskussion über langfristige, möglicherweise negative Wirkungen durch negative Bilder hat bisher kaum stattgefunden. – Ich meine zwar, dass man im allgemeinen den Medien eine zu grosse Wirkkraft attestiert. Die Forschungsergebnisse besagen, dass Veränderungen durch Medien nur langsam und in der Vernetzung geschehen und Medien eher Bestehendes bestätigen als dieses verändern.
1. Forderung: differenzielle Alters-Bilder
Weder positive, noch
negative Alters-Bilder sind also die Lösung, sondern, analog der differenziellen
Gerontologie, differenzielle: verschiedenartige, negative und positive Bilder
mit Zwischentönen, Widersprüchen und Brüchen, vielfältige, schwarze, weisse,
graue und bunte.
Damit folgt man weder der Hilfe-Strategie, noch der
Selbsthilfe-Strategie. Doch dürfte die Gesamtheit dieser Alters-Bilder eher der
Gesamtheit der Alterswirklichkeiten entsprechen. So verschwinden wohl allmählich
die vielen tendenziösen Altersklischees aus dem Bewusstsein der Bevölkerung,
finden adäquate, sach- und personengerechte, wahre «Images»
Verbreitung.
2. Forderung: Bilder im Fluss der Zeit
Bilder stellen immer nur einen Augenblick innerhalb eines Zeitkontinuums dar. In ihnen wird oft das Vorher und das Nachher vernachlässigt. Und doch sind Bilder – in der Fotografie wird uns dies am ehesten bewusst – eigentlich so etwas wie «eingefrorene Zeit».
Es werden oft keine Ursachen und Gründe angedeutet und keine Folgen und Konsequenzen eingefangen. Und doch gehörten diese essentiell zu einem Abbild der Wirklichkeit.
3. Forderung: eine
Vielzahl von Bildern
Wenn wir pro Jahr beispielsweise nur wenige
Bilder des Alters verbreiten, ist es nötig, jedesmal genau das «richtige», die
jeweilige Alters-Wirklichkeit exakt repräsentierende Bild auszuwählen. Wenn wir
aber viele Bilder verbreiten, fällt ein einzelnes weniger ins
Gewicht.
Die Summe der Alters-Bilder gibt, nach dem Gesetze der
Wahrscheinlichkeit, die Summe der Alters-Wirklichkeiten wider. Viele solche
bunte Einzelbilder ergeben, wie in einem Puzzle oder Mosaik, ein Gesamtbild
dessen, was Alter ist oder sein kann.
4. Forderung: Einseitigkeit
statt Ausgewogenheit
In der Diskussion über Medien, beispielsweise
die SRG, spricht man immer wieder von Ausgewogenheit, vom Gleichgewicht des
einen und des andern. Doch gerade dieses Ziel führt im künstlerischen Schaffen
stets in eine Sackgasse, in ein Niemandsland, in die Leere und die Öde des
leblosen, abstrakten Bildes.
Lebendigkeit ist stets einseitig,
parteiisch, persönlich, also subjektiv. Meist schlagen die Medien hier selbst
zurück, wenn man es anders versucht: Denn «es ist nichts so subjektiv wie das
Objektiv einer Kamera», sagte jeweils Franz Zöchbauer, ein international
anerkannter Medienpädagoge.
5. Forderung: handwerklich gute
Bilder
Technisch und formal werden auch in der sozialen PR gute
Bilder verlangt, d.h. authentische, differenzierte, dichte und wahrhaftige.
Zusätzlich hat die Kommunikation zwischen dem Subjekt (Fotografin, Filmer,
Journalistin) und dem Objekt (alter und alternder Mensch) beim
Herstellungsprozess partnerschaftlich zu verlaufen.
Angestrebt werden
Bilder, in denen Wahrheit aufleuchtet. Damit erübrigt sich die (manipulierende)
Frage, ob wir, mit dieser oder jener Absicht, positive oder negative
Alters-Bilder zeigen sollen.
6. Forderung: künstlerische
Bilder
Gute Bilder, die immer zugleich Vor-Bilder, Ab-Bilder und
Sinn-Bilder sind, werden selten von Kunstgewerblern im Auftragsverhältnis, eher
von unabhängigen Künstlern geschaffen. Freie können sich im allgemeinen besser
auf das einlassen, auf was sie sich einzulassen haben.
Ich postuliere,
wir sollten vermehrt freie Künstler für die Öffentlichkeitsarbeit im sozialen
Bereich engagieren. Denn Kunst bildet nicht bloss ab, sie findet Neues, macht
Innovationen über das Alter und das Altern sichtbar und hörbar, spürbar und
erkennbar. Kunstwerke können Anstoss geben zum privaten und öffentlichen
Diskurs, beispielsweise über das Alter.
7. Forderung:
fremde und eigene Zeugnisse
Ich fordere von den Leuten, die PR
machen, dass sie einen «Quantensprung» versuchen, nämlich: von den
Empfängerinnen und Empfängern, den Zuschauern und Zuhörern auszugehen. Dass wir
versuchen, hinein zu hören ins Innere des potentiellen Publikums.
Dabei
aber werden wir bald einmal entdecken, dass jene dort und wir hier gar nicht so
anders sind. Dass die Zeugnisse (Testimonials) der Alten meinen eigenen
Einschätzungen und Bewertungen der Welt durchaus gleichen können. – Damit aber
bekommt unsere Einstiegsfrage eine neue Dimension.
8. Forderung: nach
dem eigenen Alters-Bild fragen
Wie Eltern und Lehrkräfte ihr
pädagogisches Tun oft darauf verwenden, Kinder zu beeinflussen, dass diese das
tun, was die Erwachsenen meinen, dass für sie richtig sei, so machen wir es
gelegentlich in der Öffentlichkeitsarbeit. Wir verbreiten Alters-Bilder, die wir
für eine Institution oder für Betroffene für richtig halten.
Nur selten
fragen wir uns, welche Vorstellungen des Alters und des Alterns wir selbst
haben: Welche Bilder wir haben wollen, können, müssen oder dürfen, mit welchen
Alters-Bildern im Hinterkopf wir unsere tägliche Altersarbeit
verrichten.
Eine persönliche Herausforderung
Hier liegt
nach meiner Meinung der Kern der Sache. Bevor wir uns fragen, welche Bilder wir
in der Öffentlichkeit verbreiten wollen, sollen oder dürfen, haben wir uns
darüber klar zu werden, welche Alters-, Menschen- und Weltbilder wir selbst
haben. Denn unsere bewussten, aber auch vor- und unbewussten inneren Bilder der
Welt, des Menschen und des Alters beeinflussen unsere Wahl der Alters-Bilder in
der Öffentlichkeitsarbeit. Sie beeinflussen jeden Akt jeder Altersarbeit, an
jedem Ort, zu jeder Zeit.
Die eigentliche Frage heisst also nicht:
Welches Altersbild sollen wir verbreiten? Sondern: Welche Alters-Bilder haben
wir selbst, sollen wir selbst haben? Dies aber ist eine persönliche
Herausforderung. Wir sind gefordert zur Selbstreflexion, zur Selbsterfahrung und
zum Entscheid danach. Die Frage nach den eigenen Welt-, Menschen- und
Alters-Bildern muss in Zukunft zu einer Eintrittsqualifikation für jede
Altersarbeit werden.