«Aus dem Auge» von Luzia Hürzeler – Videoinstallationen zum Nachdenken

Die Videokünstlerin Luzia Hürzeler zeigt im Kunstmuseum Solothurn mit ihren Installationen das, Dinge, die dem Auge entgehen, doch zum Denken anregen. Ergänzt wird die Ausstellung mit Werken der Sammlung unter dem Titel «Von der Entdeckung der Langsamkeit».

Vom Film zur Videoinstallation

Wir kennen den Film, aus Kino und Fernsehen. Dieser erzählt Geschichten, über mit Ästhetik und Emotionen. Nicht viel anders das Video. Anderes versuchen Videoinstallationen. Sie erzählen nicht nur Geschichte, sondern thematisieren das Geschichten-Erzählen gleichzeitig, dokumentieren nicht bloss Sachverhalte, sondern thematisieren dieses Dokumentieren. Sie spielen mit Realitäten: jener des Films, jener des Abgebildeten, jener des Betrachters. Ähnlich wie man sagt, Sex findet nicht zwischen den Beinen, sondern im Kopf statt, so Videokunst nicht auf der Leinwand oder am Bildschirm, sondern in den Köpfen der Betrachter bei der spielerischen Auseinandersetzung damit.

Vom emotionalen Sehen zum intellektuellen Wahrnehmen

Solches deutet die Videokünstlerin Luzia Hürzeler wohl an, wenn sie ihrer Ausstellung den Titel «Aus dem Auge» gibt. «Aus dem Auge, aus dem Sinn» fällt mir dazu ein und hilft mir weiter. Ihre Kunst ist nicht bloss ein Sinnen-Ereignis, sondern ein Denk-Ereignis. Das Publikum, das sich in die Welt der Videoinstallationen wagt, wird belohnt durch eine intellektuelle Befriedigung, einen ästhetischen Genuss. Die Ausstellung in Solothurn bietet dazu vielfache Gelegenheit. – Die ergänzende Ausstellung mit Werken aus dem Fundus des Kunstmuseums, «Von der Entdeckung der Langsamkeit», variiert den Ansatz von Hürzeler. «Im Bild sein», eine ihrer Installationen, spielt mit diesem Thema. Die Künstlerin versucht auf dem Bildschirm eines zwei Meter hoch platzierten Monitor durch Hochspringen zu erscheinen, was ihr auch mit körperlichem Einsatz nicht gelingt. Womit sie wohl die Mediengeilheit angesprochen hat.

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Zum Leben und Werk der Künstlerin Luzia Hürzeler

1976 in Solothurn geboren, besuchte sie das dortige Lehrerseminar. Ausbildung an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Genf, Auslandsemester am Chelsea College of Art in London und am Instituto Svizzero in Rom, Studium an der Slade School of Fine Art & Design University in London. Heute betreut sie neben ihren eigenen Projekten als Assistentin an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts junge Studierende. Bereits während ihrer Ausbildung zeigte sie ihr Talent in nationalen und internationalen Gruppen- und Einzelausstellungen.

Die Künstlerin arbeitet vornehmlich mit Videoinstallationen. Dafür hat sie eine Sprache entwickelt, die es ihr erlaubt, in meditativen und zugleich raffinierten Kompositionen alltägliche Phänomene in poetischer Weise erfahrbar und denkbar zu machen. Sie untersucht und experimentiert mit vertrauten Materialien und Gegenständen im Grenzbereich zwischen Illusion und Realität, um damit unsere Wahrnehmungen und Empfindungen zu sensibilisieren und zu erweitern. Die Betrachter werden aufgefordert, die Machart der Videos zu analysieren, den Schlüssel zum Aufschliessen, zu ergründen, den Grund, auf dem sie stehen, zu erkennen. Sie wolle erforschen, wer sie sei, meint Hürzeler, und wie die Welt funktioniere. Und daran lässt sie uns Anteil nehmen. – Exemplarisch sollen nachfolgend vier Werke betrachtet und befragt werden. Ein Versuch, uns mit dem neuen Sehen der Videokunst etwas vertraut zu machen.

«Il nonno»: die Videoinstallation…


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Video, DVD Loop, mit Ton, 2008/09

Auf der lebensgrossen Projektion sieht man einen Löwen, der in die Kamera schaut. Es scheint eine Fotografie zu sein. Plötzlich kommt ein zweiter Löwe ins Bild und zerbricht die Illusion des Standbildes. Es stellt sich heraus, dass nicht das Bild angehalten war, sondern der im Bild sichtbare Löwe selbst unbeweglich ist, ausgestopft wie eine dreidimensionale Fotografie. Der zweite Löwe, konfrontiert mit seinem ausgestopften Grossvater (il nonno), scheint verwirrt. Schliesslich stellt er sich genau vor den ausgestopften Löwen und schaut ebenfalls in die Kamera, bevor er wieder aus dem Bild geht. – Und das Ganze beginnt von Vorne, als ein Loop.

… und eine Wahrnehmung derselben

Um Schein oder Sein geht es da wohl. Was ist im Zeitpunkt der Aufnahme wirklich, was war früher wirklich? Beide Zeitebenen stossen aufeinander. Was ist dann überhaupt Zeit? Ein Kontinuum oder bloss eine Idee? Diese Fragen auf das Leben projiziert: Was ist das Leben? Was der Tod? Was die Vergänglichkeit? Haben wir in unserer Realität nicht auch ständig Tod und Leben neben einander? Hier ist Krieg und Sterben, dort ist Geburt und Neubeginn. Luzia Hürzeler stellt mit «il nonno» Fragen, die in früheren Jahrhunderten ausschliesslich von der Religion beantwortet wurden. Heute nimmt sich dieser Fragen auch die Kunst an.

«A sculpture has to remain still, II»: die Videoinstallation…

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Video, HDV Loop, 50’ 14“, ohne Ton, 2008/09

In diesem Video verharrt der Strassenkünstler Marcelo 50 Minuten lang in der dynamischen Poste eines Business-Mannes. Stillstand und Warten im Gehen und Hetzen. Das Gleiche führt uns die Künstlerin in «A sculpture has to remain still, I» mit einem Strassenverkäufer vor Augen, der seine Handtaschen auf dem Boden eines Platzes ausbreitet, plötzlich alles zusammenpackt und die Flucht ergreift, da er in seinem illegalen Tun wohl von der Polizei entdeckt worden ist. Zu beiden Loops gibt es unter dem Titel «I always» ein Gespräch mit dem Künstler über seine Erfahrung beim Spielen dieser Situation.

… und eine Wahrnehmung derselben

Situationen werden hier isoliert, beispielsweise indem die Zeit eingedampft (II) und damit verfremdet und ad absurdum geführt wird, oder indem durch die Wiederholung (I) die Bedrohung der Handlung gesteigert und dämonisiert wird. Das sind verfremdete Aussagen und Ansichten des Gewöhnlichen und Alltäglichen. Wenn der Mime sich darüber äussert, «versprachlicht» er damit die Situation, übersetzt sie in eine andere Realität, macht sie zu einem Beitrag des Diskurses mit uns. Die beiden «Skulpturen» sind auf hölzerne Bildwände projiziert und kommen damit wie Potemkinsche Dörfer daher, stellen sich selbst auch irgendwie in Frage.

«L’occhio del Pantheon»: die Videoinstallation…

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Video, HDV Loop, 3’,ohne Ton, 2008

Gewöhnlich schauen die Gläubigen und Touristen im Pantheon in Rom ehrfurchtvoll zur Öffnung der mächtigen Kuppel hinauf. Luzia Hürzeler dreht die Perspektive um, filmt aus dem Auge der Kuppel in die Menschenansammlung hinunter. An Pfingsten dürfen wenige Kirchenleute hinauf, um weisse Rosenblätter als Symbol für den Heiligen Geist in die Kirche zu streunen. Hürzeler durfte nach langwierigen Verhandlungen mitgehen. Mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Mut ist dieser ungewohnte Perspektivenwechsel und damit eine vollkommene Umkehrung der Realität zu verdanken.

… und eine Wahrnehmung derselben

Standort- und Perspektivenwechsel sind in der gesamten Medienkommunikation von entscheidender Bedeutung. Dies bei allen Fragen noch der sogenannten Objektivität und nach der Tendenz eines Filmes beispielsweise. Solche bewusst gewählten Wechsel des Standpunktes können aber auch das soziale Leben entscheidend bereichern. Ein solches Einüben in ein verkehrtes, verrücktes Sehen, Hören und Wahrnehmen kann helfen, wirklich Neues zu entdecken oder zu entwickeln, innovativ zu werden.

«Selbstporträt für die Katz»: die Videoinstallation…

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Videoinstallation, DVD Loop, 11’ 48“, 2006

Für diese Videoinstallation habe ich meinen Oberkörper mit Gips umfüllt, um einen Abguss mit Katzenfutter anzufertigen, erzählt Luzia Hürzeler. Sie filmte dann den Moment, in welchem ihre Katze auf den Sockel springt und anfängt, die Büste von ihr zu belecken und anzuknabbern.

… und eine Wahrnehmung derselben

Mit dieser Installation versucht die Künstlerin wohl den Ewigkeitsanspruch der Kunst – vielleicht auch die Perversion des Kunsthandels – in Frage zu stellen. Was bedeutet die Büste für die Katze? Was für uns? Was ist hier eigentlich wirklich? Die künstlerisch gestaltete Büste? Oder die natürlich spontane Katze? Vielleicht sollen uns solche Experimente auch ermuntern, nicht nur in der Kunst, in der Ausstellung oder im Museum, anders zu sehen, zu hören, wahr zu nehmen, sondern auch ausserhalb des Kunsthauses. Siehe dazu auch den Schlussabschnitt «Kunst und Natur».

Von der Entdeckung der Langsamkeit

Der Direktor des Kunstmuseums Solothurn, Christoph Vögele, hat aus seinem reichen Archiv Bilder, Zeichnungen, Plastiken, Videos und Videoinstallationen zusammengestellt, die wie Luzia Hürzeler in verschiedenen Werken den Umgang mit der Zeit thematisiert und variiert. Alles in allem eine reiche Palette von Hinweisen auf die Langsamkeit. Den Titel verdankt die Ausstellung dem Buch «Die Entdeckung der Langsamkeit» von Sten Nadolny aus dem Jahre 1983. Ich würde sie lieber auf den eigentlichen Vordenker der modernen Verlangsamungsdiskussion, Paul Virilio, beziehen. Etwa seine Bücher «Geschwindigkeit und Politik» (1980), «Revolution der Geschwindigkeit» (1993) und «Rasender Stillstand» (2008).

Doch unabhängig von Theorien: Es lohnt sich in Ausstellungen wie diesen beiden selbst ruhiger, langsamer zu werden. Es lohnt sie, diese Werke in Ruhe und in Langsamkeit anzusehen und zu versuchen, sie nicht einfach kulinarisch zu geniessen, sondern über ihre Impulse nachzudenken, zu sinnieren, sie zum eigenen Leben in Beziehung zu setzen, aus ihnen vielleicht Sinn für sich, das Leben, die Welt abzuleiten.

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Silvie Defraoui: «Bruits de surface», 1995, Video-Installation

Kunst und Natur

«Temporäre Massnahme des Bauamtes» steht in einer Ecke, welche mit einem weissen Tuch vom Boden bis zur Decke abgedeckt ist. Darauf eingestellt, alles nach einer Botschaft, einer Absicht, einem Sinn zu befragen statt nur kulinarisch zu konsumieren, halte ich inne, zögere ich: Was ist das jetzt? Kunst oder Natur? Wirklich eine Anweisung des Bauamtes? Oder ist diese nur fingiert? Was bedeutet das jetzt für mich? Übernehme ich den Ansatz der Ästhetik oder die Regeln des Alltags?

Vielleicht ist es etwas provokativ, wenn ich formuliere, dass die aktuelle Kunst oft diese Grenze zwischen Natur und Kunst überschreite. Kann ein Stück Strasse, können weggeworfene Gegenstände nicht aus ästhetisch sein? Als solche anregen, sie nach einem möglichen Sinn zu befragen? Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn ich Ästhetik als das nehme, was das Wort ursprünglich meinte, nämlich Wahrnehmung. Dann darf ich nämlich ruhig mit dieser Haltung aus dem Museum hinaustreten und alles Sichtbare und Hörbare so befragen: sehen, hören, wahrnehmen – vielleicht für mich als wahr nehmen. Die Welt wird so interessanter, spannender, abenteuerlich. Probieren sie es auf dem Heimweg aus!

Die Ausstellung Luzia Hürzeler, mit Werken zwischen 2002 und 2009 entstanden, und die begleitende Schau aus der Sammlung im Kunstmuseum Solothurn dauert bis 16. Mai 2010. Der Eintritt ist gratis.

Mehr dazu www.kunstmuseum.ch