«Darkside II» – Fotos für die Soziale Arbeit
«Wenn man ins gläserne Auge der Kamera schaut, so erblickt man dort das Reich des Todes, die „dark side“ der toten Bilder. Im Inneren der Kamera regiert der Tod.» Diese Sätze von Bernd Stiegler stehen an einer Wand der Ausstellung «Darkside II – Fotografische Macht und fotografierte Gewalt, Krankheit und Tod», der Fortsetzung der letztjährigen Ausstellung «Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität» (SA 12/2008) des Fotomuseums Winterthur. In das Reich des verdrängten Todes, der Gewalt und der Krankheit abzusteigen, laden die Ausstellung und der Katalog dazu ein.
Körper leisten, wagen, messen sich, gehen an ihre Grenzen, suchen das Risiko, streben nach Lust, sind Hort des Seins. Körper können aber auch krank, verletzt, vergewaltigt, getötet werden. Und Körper altern, schrumpfen, lösen sich auf, sterben, verwesen. All dies geschieht im Körper, begleitet von der Seele, vom Geist.
Die Fotos der Ausstellung sind auch Themen der Sozialen Arbeit. Es sind Abbilder erlebter Wirklichkeiten, Vorbilder geplanter Wirklichkeiten, Sinnbilder deutender Wirklichkeiten. Die Abbilder laden ein, die soziale Wirklichkeit analytisch und empathisch wahr zu nehmen. Die Vorbilder lassen aufhorchen, wie Menschen manipuliert werden können. Die Sinnbilder lassen den geistigen Grund der Kultur, auch der Kultur der Sozialen Arbeit ahnen. Sich mit den Fotos auseinander setzen heisst, sich mit sich und seiner Arbeit auseinander setzen.
Micha Bar-Am: Kollaborateure, Samaria, West Bank, 1967
Vom Nachdenken…
Das gern verleugnete Stück Wirklichkeit ist, dass der Mensch nicht ein sanftes, liebebedürftiges Wesen ist, das sich höchstens, wenn angegriffen, auch zu verteidigen vermag, sondern dass er zu seinen Triebbegabungen auch einen mächtigen Anteil von Aggressionsneigung rechnen darf. Sigmund Freud
Der Körper zeigte meine Identität und meine Nicht-Identität. Ich begann zu fragen: Was ist meine körperliche Identität? Was ist meine geistige Identität? Der Körper war ein Mittel, meine feministische Sichtweise zu kommunizieren. Ich beschäftigte mich mit dem Bezug von Objekt, Bild und Bedeutung. Valie Export
Solange wir weiterhin den Körper, aufgrund der Tatsache, dass er der Wandelbarkeit, der Kontingenz und dem Tod unterliegt, als widerwärtig und schädlich betrachten, so lange werden wir auch weiterhin uns selbst als gefährliche Andere wahrnehmen. Elisabeth Bronfen
Wenn wir uns Gesundheit und Krankheit vorstellen, ergänzen wir diese inneren Bilder mit ästhetischen Assoziationen. Wir sehen die Welt in Begriffen des Schönen und des Hässlichen. Solche Assoziationen prägen uns nicht nur als Betrachter dieser Bilder, sondern auch als Beobachter unseres eigenen Körpers. Sander L. Gilman
Die abendländischen Pinakotheken quellen über vor blutgetränkten Bildern, hauptsächlich Bildern eines Gottes, der sein Blut hingibt, um die Menschen zu erlösen, sowie Bildern seiner Märtyrer. In einer Welt des Opfers erquickt der Blutfluss die Kehle der Götter und stärkt deren Herrschaftsgebiet. Jean-Luc Nancy
Die Aufdringlichkeit der «brutalen» Fotos hängt nicht von ihrer illusionistischen «Allgegenwärtigkeit» oder von dem ab, was auf ihnen gezeigt wird, sondern von unseren Massstäben, von unseren eigenen inneren Bildern. Es ist unser ureigenes Bild von Gewalt, Körperlichkeit und menschlicher Würde, das in solchen Bildern immer mitinszeniert und getestet wird. Milena Massalongo
Quälende Fotos verlieren nicht unbedingt ihre Kraft zu schockieren. Aber wenn es darum geht, etwas zu begreifen, helfen sie kaum weiter. Erzählungen können uns etwas verständlich machen. Fotos tun etwas anderes: Sie suchen uns heim und lassen uns nicht mehr los. Susan Sontag
Sophie Ristelhueber: Every One #14, 2009
… und Handeln
Die Motive, brutale Bilder zu konsumieren, sind widersprüchlich, die Empfindungen dabei vieldeutig. «Neugier, Schaulust, Sadismus und eine gewisse Komplizenschaft mischen sich mit Entsetzen, Empathie, Trauer und dem Wunsch, Erinnerungen als wahr zu bezeugen», so Thomas Macho. Diese Situation betrachten und hinterfragen, hat Einfluss auf jedes Handeln: uns und andern gegenüber. «Mal vue, mal dit, mal fait.»
Yvonne Thein: Ohne Titel 02 (aus Zweiunddreissig Kilo), 2006