«Darkside» – Sexualität offen gelegt

Das Fotomuseum Winterthur hat anlässlich seiner Ausstellung «Darkside – Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität» mit Werken von 150 Fotografinnen und Fotografen einen Fotoband herausgegeben, der über den aktuellen Anlass hinaus zum Betrachten und Nachdenken einlädt: als ein anderer als der bekannte wissenschaftliche Zugang zum Thema. 2009 gibt es am selben Ort eine Fortsetzung.

Verborgenes bergen

Anders als die Wissenschaft, bieten die Kunst, beispielsweise diese Fotos einen direkten Zugang zum Erleben der Betrachter. Der Kurator Urs Stahel meint dazu: «“Darkside“ ist Metapher für das Verbinden, Verfliessen, Verschlingen von Körpern, von Seele und Geist, das seit jeher Zentrum des Lebens ist, aber (vermeintlich) unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet.»

Die «fotografische Begierde» birgt die «fotografierte Sexualität» aus der Dunkelheit ans Licht und leuchtet sie aus. Erotik, Sexualität und Begehren ringen um die Identität der Persönlichkeit. Geschlechtsakte in den verwegensten Variationen, Gewalt zwischen den Geschlechtern, sinnentleerte und sinnerfüllte Beziehungen werden vorgestellt. Einzelne Künstler nähern sich dem Objekt ihrer Begierde einfühlsam, andere insistierend oder zerren Sex brutal ins gleissende Licht, nochmals andere belassen ihn, auch wenn sie ihn zeigen, in der Unschärfe, geheimnisvoll im Dunkel. Spannend erweist sich auch die Betrachtung der Bilder mit dem historischen Fokus: Wie war die Sicht vor zehn, zwanzig, dreissig Jahren auf die Sexualität, was ja auch seine Auswirkungen auf die Vorstellungen und Verhaltensweisen der Klientel in der Sozialen Arbeit haben dürfte.

Fotografien betrachten

Anders als in realen Rotlichtmilieus oder Sexszenen geschieht die Rezeption dieser Bilder. Sie machen beim Durchblättern des Bandes betroffen, verunsichern, schockieren, provozieren, stossen zum Teil ab, tun weh. Nur wenige zeigen eine befreite und befreiende Sexualität, verbunden mit Innigkeit, Zärtlichkeit, Liebe, geben Anlass zum Lächeln oder Lachen. Vieles widerspricht landläufigen Moralvorstellungen oder verweist auf Grundsätzliches des kreativen Tuns, das meist dann einsetzt, wenn Künstlerinnen oder Künstler leiden oder mitleiden, nicht dann, wenn sie Glück erfahren und dieses im Hier und Jetzt leben.

Die Fotos lenken die Aufmerksamkeit auf reale Wirklichkeiten auf den «Hinterbühnen» (Erwing Goffman) des Lebens. Solche Einblicke in geheime, ab-wegige oder ab-norme Formen der Sexualität können jedoch gerade für Menschen, die in der Sozialen Arbeit tätig sind, notwendig und heilsam sein: das Bewusstsein erweitern und die Sensibilität, Empathie, Toleranz wecken oder fördern.

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Jeff Burton, Untitled 176 (Rods and Camps), 2003

(Re)Präsentieren, Stimulieren, Substituieren

Sex löst vor, während und nach dem Akt meist innere und äussere Bilder aus. Was liegt da näher, als die Fotografie, das Medium des zwanzigsten Jahrhunderts, dafür zu nutzen. Sex präsentiert sich vor der Linse, auch wenn Sich-Zeigen manchmal bloss darin besteht, sein Geschlecht zu zeigen, wenn der Mann auf den Penis und die Frau auf die Vagina reduziert repräsentieren. Diese Abbilder können Vorlage, Animation, Stimulation, Vorbild werden.

Andererseits können Fotos die Sexualität auch sublimieren oder ihn im Voyeurismus gar substituieren. Sexuelle Fantasien verlangen jedoch immer neu nach Darstellung, suchen Enthüllung. Fotografie nutzt mit ihrem medieneigenen Mechanismus die Kraft der Erotik zur verführerischen Präsentation.

Unbewusstes bewusst machen

«Stadt, Nacht, Sexualität» heisst das Einleitungskapitel, das eintauchen lässt ins Dunkel der Geheimnisse: «Die Stadt geht aus sich heraus und bietet all denjenigen, die sich nicht in eine traute Häuslichkeit zurückziehen wollen, an, sich auf verborgene oder verbotene Gelüste einzulassen, die Grenzen des sittlichen Verhaltens zu überschreiben», soweit Elisabeth Bronfen. Im Kapitel «Begierden und Fantasien» wird dann die fiebrige Wohllust ins Zentrum gerückt: Aus sich heraus treten, sich gehen lassen, einlassen, hingeben – und macht Unbewusstes bewusst, legt Sexualität offen.

«Ideale, natürliche und groteske Körper», «Sexualität und Erotik», «Sexuelle Praktiken», «Surrealismus und Sexualität», «La Poupée», «Verdinglichung», «Fetischismus», «Voyeurismus, Zeigen und Inszenieren», «Travestie und Proteste», «Welt des Konsums» und «Sexualität und Macht» heissen weitere Kapitel des spannenden vielschichtigen Buches.

Darkside I – Fotografische Begierde und fotografierte Sexualität (dt./engl.), Hg. Urs Stahel. Texten von Dominique Baqué, Henry Bond, Elisabeth Bronfen, Martin Jaeggi, Urs Stahel, Ulf Erdmann Ziegler, Stefan Zweifel. Steidl Verlag, Winterthur 2008. 344 Seiten, 250 Duplex- und Farbbilder, 21.5 x 28 cm, Hardcover, Fr. 69.-