«Der inszenierte Himmel»
Die Burg Zug, ein Forum für ernsthafte wie lustvolle Auseinandersetzung, zeigt bis 9. Januar 2011 die Ausstellung: «Styling im Barock. Der inszenierte Himmel».
«Barock» kommt laut Lexikon aus dem Portugiesischen und «barroco» bedeutet dort «schiefrund» oder «merkwürdig» und meint unregelmäßig geformte Perlen. Der Begriff wurde im französischen Raum zuerst abwertend für Kunstformen gebraucht, die nicht dem herrschenden Geschmack entsprachen. Erst Jacob Burckhardt gab ihm 1855 im «Cicerone» eine positive Bedeutung, bis er Ende der 1880er Jahre als wissenschaftliche Zeitbestimmung gebräuchlich wurde. Der Barock war die Strömung der europäischen Architektur und Kunst, die etwa von 1575 bis 1770 dauerte, zur Ästhetik der Nachreformation wurde und das gesellschaftliche Bewusstsein von der asketischen Vergeistigung der Reformation wieder zur weltlichen Versinnlichung der Nachreformation pendelnd liess.
Prunkvolle Schlösser waren nur wenigen vorbehalten, festliche Kirchen dagegen standen allen offen. Sie holten im Sinne der «biblia pauperum» einer breiten Bevölkerung den Himmel auf Erden. Die Zuger Ausstellung bietet eine informative, besinnliche und erlebnisreiche Reise zu Stätten eines kleinstädtischen oder ländlichen Barock. Ausgestellt sind in der Schau funkelnde Kelche, kirchliche Figuren aus Silber, verzierte Reliquienschreine, reich bearbeitete Gewänder und Gemälde lokaler Künstler. Die Madonna-Statuen, die mit edlen Stoffen und kostbaren Kronen geschmückt sind, legen Zeugnis einer sich ausbreitenden Marienverehrung ab. Die damaligen Herrscher verstanden sich als von Gottes Gnaden in ihr Amt eingesetzt und stellten sich und ihr Land unter den Schutz Marias, die sie gern als Kaiserin oder Königin ansprachen.
Höfisch geprägt war die Epoche des Barock. In Frankreich regierte ein König, in Deutschland waren Fürsten die Träger der politischen Ordnung, in Österreich herrschte ein Kaiser. In der Schweiz verwandelte sich das Royale und Imperiale ins Religiöse. Die Ausstellung illustriert dies mit Insignien der weltlichen Macht und mehr noch mit Gegenständen der religiösen Institutionen und Autoritäten: in Form von Silber, Gold und Edelsteinen, Kelchen, Monstranzen und Messezubehör sowie Bildern vom Ecce Homo und der Pietà. Weiter sind zu bewundern Kreuzigungsszenen und Episoden aus dem Leben der Heiligen. Dieses, selbst jenes der Aussätzigen, das Sterben und der Tod, wurden verstanden als Feier, als «theatrum sacrum», stilisiert wie der Rosenkranz, dessen Ritualisierung auch der Hinduismus, der Buddhismus und der Islam kennen.
Michael Jackson ein barocker Heiliger
Besonders verdienstvoll erscheint mir, dass die Ausstellung nicht ausschliesslich im 17. Jahrhundert verweilt, sondern, mit einem feinen Augezwinkern mehrmals Brücken in die Gegenwart schlägt. Posters, Autogrammkarten und Einspielungen von Fernsehsendungen zeigen auf, wie sich im 21. Jahrhundert die Stars des Films, des Showbiz, des Adels und der Politik oft wie «barocke» Helden benehmen. Ihre Art, sich in Szene zu setzen, wird illustriert mit Michael Jackson, der Königin von England, Amy Winehouse, Elvis Presley und selbst einer Barbie-Puppe in barockem Krönungsornat.
Die damaligen Heiligen und religiösen Funktionäre erfuhren ein «Styling» wie die heutigen Missen und Beautys. Einen weiteren Verweis in die heutige Zeit bietet ein Werk aus der aktuellen Kunstszene (als Kopie selbstverständlich), «For the Love of God» des englischen Künstlers Damien Hirst aus dem Jahre 2007, ein Platinschädel mit menschlichen Zähnen und Diamanten besetzt.
Nicht nur in der heutigen High Society und der Kunst-Avantgarde, sondern auch in unserem Alltag können wir immer wieder – sensibilisiert durch die Ausstellung – Spuren dieses «barocken» Lebensgefühls erkennen und erleben. Gerade diese Bezüge zur Gegenwart verleihen der Ausstellung, die sonst bloss Beschreibung und Interpretation einer vergangenen Zeit wäre, zusätzlich einen neuen Zugang auf das Heute und machen so einsichtig, dass Barock nicht nur eine historische Epoche, sondern eine geistesgeschichtliche Haltung ist.
Die meisten Objekte der von Mathilde Tobler schön kuratierten, reichen und doch nicht überladenen Ausstellung stammen aus der Museumssammlung, aus Zuger Kirchgemeinden, Klöstern und Privatbesitz. Ein informatives Booklet mit Erklärungen zu den Exponaten kann an der Kasse leihweise oder käuflich bezogen werden. Nach Voranmeldung sind zusätzlich Führungen möglich. Weitere Informationen zur Ausstellung und die begleitenden Veranstaltungen finden sich auf www.burgzug.ch.