«Die Panne» von Friedrich Dürrenmatt

«Die Panne» handelt von den grotesken Folgen einer Autopanne. Der Lenker des Fahrzeugs gerät in ein Haus, in dem Rentner Abend für Abend ihre früheren Berufe durchspielen: Sie werden wieder zu Richter, Staatsanwalt, Verteidiger und Henker. «Ein Verbrechen lässt sich immer finden», meint der Staatsanwalt beruhigend, so dass das Spiel, indem sie nochmals in ihr Berufsleben zurückkehren, flott beginnen kann. Nach seiner vehementen Unschuldserklärung und Erstgesprächen mit Verteidiger und Staatsanwalt erklärt sich Traps, der Gast, schliesslich mit voller Überzeugung für schuldig, einen Mord begangen zu haben, von dem er zwar bisher nichts wusste. Für ihn als Angeklagten des Seniorengerichts ist es zu Beginn ein Spiel um Wahrheit und Lüge, zum Schluss um Leben und Tod.

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Der Angeklagte Traps und sein Henker vergnügen sich.

Das Stück von Friedrich Dürrenmatt, dessen Todestag sich am 14. Dezember 2010 zum 20. Mal jährt, wird von Lars-Ole Walburg im Pfauen des Schauspielhauses Zürich unterhaltsam als Comedy und gleichzeitig hintersinnig als Parabel inszeniert und von einem spielfreudigen Männerquintetts als schönstes Absurdes Theater gespielt.

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Ludwig Boettger als Henker, Jean-Pierre Cornu als Richter, Klaus Brommelmeier als Traps, Jörg Schröder als Staatsanwalt, Gottfried Breitfuss als Verteidiger (v. l.)

«Die Panne» von Friedrich Dürrenmatt existiert als Hörspiel, Erzählung, Fernsehspiel und Theaterstück. Das Hörspiel entstand 1955 im Auftrag des Bayerischen Rundfunks, die gleichnamige Erzählung mit dem Untertitel «Eine noch mögliche Geschichte» erschien 1956. Das zur Komödie umgearbeitete Theater wurde 1979 unter der Regie des Autors uraufgeführt. Wesentlich unterscheiden sich bei den vier Versionen die Schlüsse: In der Erzähl- und Dramenfassung begeht Traps Selbstmord, im Hör- und Fernsehspiel stürzt sich der Angeklagte nach dem sonderbaren Abend sogleich wieder in den Alltag. Die Walburg-Inszenierung fusst auf der Erzählung, übernimmt jedoch den Schluss der Dramenfassung.

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Angeklagte und Richter in einem Raum wie der Sixtina (Bühne Robert Schweer)

Hinführung zum Stück mit Antworten aus einem Interview

Während der Aufführung und kurz danach war ich mir nicht klar, was das Stück eigentlich will. Das Interview mit dem Regisseur, aus dem die nachfolgenden Ausschnitte stammen, half mir und hilft vielleicht auch ihnen weiter:

«Ich empfinde beim Leser seiner Werke die Lust des Autors, Dinge aufeinanderprallen zu lassen, sie nicht geordnet und moralisch durchgeführt zu betrachten, sondern über das Chaosprinzip zu kreieren.»

«Dürrenmatt empfinde ich verspielter, apokalyptischer, barocker (als Frisch und Brecht), aber letztlich ohne die dialektische Härte. Das empfinde ich derzeit als sehr angenehm.»

«Wenn er sich als Diagnostiker bezeichnet, dann formuliert sich da auch die Sehnsucht, einen Zustand so genau wie möglich beschreiben zu wollen. Aber ob er das tut, um zu verändern, weiss ich nicht. Ich sehe zunächst, dass er immer wieder Anlauf nimmt, um Missstände des Menschen und der Gesellschaft zu benennen.»

Es ist bei Dürrenmatt «ein immer wieder spürbarer moralischer Anspruch darauf, diese Welt irgendwie zu verändern, zu verbessern – oder zumindest darauf hinzuweisen, dass sie so, wie sie ist, nicht richtig ist und nicht funktioniert.»

«In „Die Panne“ scheint mir die Privatjustiz der alten Männer mehr zu sein als das Wächterwesen. Ich habe das Gefühl einer übergeordneten Gerichtsbarkeit.»

«Durch die Panne muss Traps für einen Augenblick anhalten, und in diesem Anhalten steckt ein Moment von Bewusstwerdung, über diese Dinge nachzudenken.»

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Das Licht (Markus Keusch) schafft Räume aus dem nichts.

Annäherung an mögliche Botschaften des Stückes

Indem ich die Antworten, die nur langsam auftauchen, etwas bündle und mit den Aussagen des Regisseurs vergleiche, ergeben sich für mich mehrere mögliche Botschaften.

Immer wieder versuche ich den Zipfel einer Botschaft zu erhaschen, welche jedoch immer wieder im Klamauk eines abstrusen Altherrenabends verschwindet. Um den Menschen geht es, finde ich, der in seinem als Spiel verstandenen Leben den andern zu manipulieren versteht, bis dieser das Spiel als Wirklichkeit übernimmt, selbst wenn es ihn vernichtet. So die eine Antwort.

All dies scheint mir aber «nicht richtig ausformuliert», meint der Regisseur. Einverstanden. Denn richtig ausformulieren, dies ein anderer Ansatz, würde voraussetzen, dass man wie Gott oder zumindest als Mensch nach göttlichem Ebenbild darüber steht und als richtig oder falsch beurteilen könnte. Doch Dürrenmatts Spiel basiert, so meine ich, auf der Ironie der Moderne und deren unsicherem Gang über das brüchige Eis der Sicherheit, Verlässlichkeit und des Glaubens, den es jedoch spätestens seit Nietzsches «Gott ist tot» kaum mehr gibt.

Indem der Autor sich bemüht, die Welt zu beschreiben, sich fragt, wie sie geändert werden kann, und dabei feststellt, dass sie nicht gut ist, wie sie ist, wird seine persönliche Moral dennoch sichtbar, auch wenn er meint, Moral habe nichts mit Schriftstellerei zu tun. Dies ein weiterer Zugang. Aus dieser Zufälligkeit heraus können alle schuldig sein: für das, was sie getan, und für das, was sie nicht getan haben. Seine Moral ist also nicht umfassend und absolut, sondern fragmentarisch, eklektisch, wie eine Collage. Eine Ausdrucksform, die es in der Bildenden Kunst seit dem vergangenen Jahrhundert gibt, als sich vieles aufzulösen begann: durch Freud, Einstein, Picasso und andere. Darum bleibt Dürrenmatts Aussage im Plural, ist widersprüchlich und chaotisch verspielt.

Wesentlich in diesem Theater im Theater, das durch die Autopanne ausgelöst wird, scheint mir weiter etwas Transitorische: Es kommt und geht. Das Auto fuhr, hatte eine Panne, steht still, fällt für eine Zeit aus, wird wieder fahren (wenigstens in einer Fassung). In dieser Auszeit bricht für den Menschen Traps das grosse «Stop the World – I Want to Get Off» (Titel eines Musicals der Sechziger Jahre) herein. Die Panne stoppt den Weltenlauf. Das Äussere des Geschäftsleben oder Lebensgeschäftes endet; ein Inneres, ein kleines Welttheater, läuft ab: in der einen Version tragisch, in der andern mit einem Zurück zum Leerlauf des Alltags endend. Doch eine Pause macht das Theater so oder so.

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Oft geht es dabei zu wie im Tollhaus.

In einer adäquaten Form inszeniert.

Mit sentimentaler Tanzmusik und Klamauk, in Hochsprache und Dialekt, mit Tempo und Verzögerungen, als Burleske und Gerichtsverhandlung wird ein Mord re-konstruiert, de-konstruiert und schliesslich am Galgen konstruiert. Schenkelklopfend (wie jemand kritisiert) oder nicht, das ist mir Wurst. Ich sehe darin den «Fritz vom Bielersee» leibhaftig vor mir, wie er den Clown spielt, die Seniorenparty in einer kulinarischen Schlacht ausarten lässt, dabei jedoch immer mehr sagt, als er selbst deklariert. Der Regisseur surft von einer Vorlage zur andern: stets mit Blick auf eine bühnenwirksame Aufführung, bei welcher die Botschaften gleichsam unter der Wasseroberfläche schwimmen. Sie zu erhaschen verlangt, dass man mal Wasser schluckt und nach Luft schnappt. Und dabei hält das Bühnenbild zusammen, was auseinander zu fallen droht, was insgesamt an «Huit clos» erinnert, durch Türen aufgebrochen, wo hereingeschleust und hinausgefördert wird und immer wieder neue kulinarische Köstlichkeiten und teure Weine aufgefahren werden – mich aber allmählich ein metaphysisches Grauen überfällt.

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