Anja Niedringhaus: Kriegsfotografin erschossen

«Wenn ich es nicht fotografiere, wird es nicht bekannt», meint die Pulitzerpreisträgerin Anja Niedringhaus, die am 4. April 2014 in Afghanistan ums Leben kam.

Coalmine, das Forum für Dokumentarfotografie, hat in Winterthur auf den 11. April die Ausstellung «At War» mit etwa vierzig Fotografien der Kriegsfotografin und Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus geplant; am 4. April ist sie in Afghanistan bei ihrer Arbeit erschossen worden. Die Ausstellung wird jetzt bis zum 11. Juli zur Gedenkausstellung für die getötete Fotografin.

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Salavat, Afghanistan, September 2010. Afghanische Männer fotografieren kanadische Soldaten auf ihrer Patrouille. Als diese kurz darauf das Dorf verlassen hat, wird sie mit Handgranaten angegriffen.

Ihre Fotos kennt man, ohne es zu wissen. Sie erscheinen weltweit auf den Titelseiten von Tageszeitungen und Zeitschriften und prägen unser Bild von Krisen und Kriegen. Ob Kroatien, Serbien, Kosovo, Bosnien, Irak, Afghanistan, Libyen oder Palästina/Israel – seit zwanzig Jahren fotografiert Anja Niedringhaus, 1965 in Höxter geboren und in der letzten Zeit in Genf wohnhaft, mit eindringlicher Schonungslosigkeit das Leid und Elend weltweit. Als eine der wenigen Frauen unter den Reportagefotografen dokumentiert sie die menschlichen Tragödien und tiefen Spuren, die die Gewalt hinterlässt, ohne dabei die kurzen Momente der Hoffnung und Freude zu übersehen.

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Falludscha, Irak, Februar 2005. An einem Kontrollpunkt in der schwer bewachten Stadt steckt auf einem Stock ein Puppenkopf.

Nach zwei Jahren Sport- und Gesellschaftsfotografie wurde Niedringhaus 1992 von der European Pressphoto Agency nach Sarajewo in den Jugoslawienkrieg geschickt. Für die Agentur bereiste sie während mehr als zehn Jahren Osteuropa. 2002 wechselte sie zu Associated Press. Seither war sie an vielen Kriegs- und Krisenschauplätzen dieser Welt zu finden. 2005 erhielt sie als erste Deutsche den Pulitzerpreis, den wichtigsten amerikanischen Journalistenpreis, für ihre Aufnahmen aus dem Irak, und weiter den International Women's Media Foundation Courage in Journalism Award.

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Falludscha, Irak, November 2004. Ein amerikanischer Marineinfanterist trägt ein GI-Joe-Maskottchen als Glücksbringer auf dem Rucksack, während seine Einheit in die Stadt vordringt.

Die Sujets, die Anja Niedringhaus einfängt, reichen von repräsentativen Momenten über Krieg und Leid bis zu Gewalt, Zerstörung und Tod, aber auch der Absurdität, wie sie in den Kriegsschauplätzen immer wieder zutage tritt. In ihren Fotografien finden sich Gefühlsregungen, die man nachvollziehen kann: Stolz, Zärtlichkeit, Zuneigung, Wut, Trauer und Enttäuschung, manchmal aber auch Lachen und Leichtigkeit inmitten der Not. Die Bilder sprechen eine Sprache, die so einfach ist, dass sie jeder versteht. Nicht einfach ist es hingegen, sich mit den Geschehnissen auf den Bildern abzufinden. Erschöpfung, Verzweiflung und Anspannung zeichnen oftmals die Gesichter der Abgebildeten, was auch bei uns Spuren hinterlässt. Immer steht der Mensch im Vordergrund: verzweifelnde Soldaten, eine strapazierte Zivilbevölkerung, Gefangene. Die Fotografin begegnet ihnen mit Neugier und Verständnis, nie verletzt sie ihre Würde. Sie wundert sich auch über die «grenzenlose Offenheit» der Menschen, denen sie begegnet. In einem Interview mit Ulrike Timm meint sie: «Mein Anliegen ist es, die Menschen zu zeigen. Es geht mir nicht um die Militärmaschinerie, sondern was danach passiert, nachdem geschossen wird. Deswegen ist die Frontlinie für mich der uninteressanteste Punkt.»

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Dschabaliya, Gazastreifen, Januar2009. Palästinensische Jugendliche spielen mit einem Telefon, das sie in den Trümmern eines Hauses gefunden haben. Israel hatte eine 22-Tage-Offensive gegen Gaza geführt, die, umfassend dokumentiert, ein Massaker war.

Die Fotografin geriet mehrmals unter Beschuss, 2010 musste sie nach einem Handgranaten-Angriff auf eine Soldatenpatrouille in einem afghanischen Dorf verletzt ausgeflogen werden. Trotzdem mochte sie nicht aufgeben, hatte keine Zweifel an ihrer Mission, dem Fotografieren: «Ich hätte nichts Anderes machen wollen.» Mit ihren Fotos aus den weltweiten Krisengebieten will sie ein Stück Aufklärung betreiben. Ihre Bilder sind eine Aufforderung, den Krieg zu stoppen. Auch wenn sie den Krieg mit ihren Fotos nicht stoppen kann, will sie wenigstens zeigen: Kriege sind immer noch da, sie dürfen nicht alltäglich werden.

Ein Audioguide, der in der Ausstellung erhältlich ist, auf dem Anja Niedringhaus ihre Bilder kommentiert, führt zu den Fotos, durch sie hindurch zu den Fragen dahinter und im besten Fall zu Verhaltensänderungen. Sie selbst führt uns weiter, indem sie auf die Frage der Süddeutschen Zeitung «Hat Ihr Beruf Ihren Blick auf den Krieg verändert?» antwortet: «Ja, sehr. Wir glauben im Westen immer noch, dass man Frieden mit Militär und Waffen herstellen kann. Aber damit erreicht man nichts. Ich bin die grösste Pazifistin geworden, seit ich in diesen Gebieten arbeite. Mit Panzern löst man keine Probleme.» Ich kann mich als Besucher der Ausstellung nicht feige zurückhalten, sondern muss ergänzen: auch nicht mit einem Gripen und einer so genannten Verteidigungsarmee!

Informationen: http://www.coalmine.ch, 052 268 68 68, info@coalmine.ch.