Die Frau des Bäckers
Das turbine theater zeigt «Die Frau des Bäckers» von Marcel Pagnol im Sihlwald und verzaubert das Publikum mit provenzalischer Heiterkeit und Lebensfreude.
Die Frau des Bäckers hat sich Hals über Kopf in einen Schafhirten verliebt und mit ihm auf dem Pferd das Weite gesucht. Der Ausblick über die Sihl ans andere Ufer scheint wie geschaffen für diesen Fehltritt, spielt er sich doch auf der Hinterbühne ab, was auf der Vorderbühne nicht für möglich gehalten wird. Alle im Dorf können es sehen, nur einer schaut nicht hin: der gehörnte Bäcker, verblendet von der Jugend und Schönheit seiner Frau, hilflos in seinem Unglück, menschlich, wenn er ihr verzeiht. «La femme du boulanger», so der Originaltitel von Marcel Pagnols Geschichte aus dem Jahre 1939, erlangte als Film mit dem Schauspieler Raimu internationalen Erfolg. Gegenwärtig verzaubern auf der Freilichtbühne im Sihlwald begeisterte und begeisternde Schauspielerinnen und Schauspielern des turbine theaters ihr Publikum mit einer Atmosphäre, die an die Reize des provenzalischen Mistrals und die Duftschwaden des blauen Lavendels erinnert.
Eine menschlich allzumenschliche Comédie humaine …
Der Bauer und der Wirt, der Lehrer und der Pfarrer und das ganze Dorf, alle pflegen sie ihre geliebten kleinen Streitereien, pochen auf ihr Recht, trinken ihren Pastis oder ihren Roten und feiern ihren Alltag. Nun hat das Dorf seit einigen Tagen einen neuen Bäcker, Aimable, von dem alle ein Brot in bester Qualität erwarten. Mehr Aufsehen aber erregt die Schönheit seiner jungen Frau Aurélie, die sich bei der ersten Begegnung in den Schäfer Dominique, einen Angestellten des Marquis, verliebt und hoch zu Pferd mit ihm verschwindet. Doch der gutmütige Aimable kann ihr Verschwinden nicht verstehen und bildet sich ein, nachdem andere Begründungen niemanden überzeugen, sie sei zu ihrer Mutter verreist, während sich das ganze Dorf über den wahren Sachverhalt lustig macht. Natürlich kommt Aurélies «Sündenfall» dem Pfarrer gelegen, zeigt er doch, wohin die Sünde führt. Aimable bleibt es nicht erspart, das für ihn Undenkbare als Tatsache in Erwägung zu ziehen. Dies veranlasst den sonst Abstinenten dazu, sich einen Rausch anzutrinken. Ein Problem für die ganze Bevölkerung wird aber, dass Aimable kein Brot mehr backen will, bis seine Frau zurück ist. Also befiehlt der Marquis eine Fahndung nach den Flüchtigen, und die zerstrittenen Dorfbewohner müssen in Zweierformationen losziehen. Die einen kehren erfolglos zurück, die anderen mit der freudigen Nachricht, sie hätten zwar nicht die Frau gefunden, dafür aber ihre Freundschaft; betrunken und grölend übergeben sie dem Gehörnten ein Hirschgeweih als Geschenk. Dieser ist so betrübt, dass er mit seinem Leben Schluss machen will. Da kommt die Nachricht vom Fischer Maillefer, der die beiden gesichtet hat. Umständlich erzählt er, wie er Aurélie singend und nackt auf einer Insel gesehen habe. Lehrer und Pfarrer werden aufgeboten, sie sofort zu holen. Beschämt kehrt Aurélie zurück und will von niemandem gesehen werden. Aimable empfängt sie mit einem Brotherz, das er für sie gebacken hat, und zeigt Verständnis dafür, dass sie wieder einmal ihre Mutter habe besuchen wollen; schimpfen muss er lediglich mit der streunenden Katze Pomponette, die ihren Kater Pompon drei Tage lang alleine gelassen hat und nun wieder zum Futternapf heimgekehrt ist.
… dargestellt von einer begeisterten und begeisternden Truppe …
Diese mit französischem Charme und Witz erzählte Geschichte, von der Provence in den Sihlwald versetzt, dürfte auch uns nicht fremd, sondern allseits vertraut sein. Die Streitigkeiten dieser Dorfbewohner, ihr täglich Brot, ihre Sehnsüchte und Leidenschaften, ihre Hoffnungen und Lieben, wir kennen sie alle auch. Wir geniessen es jedoch, aus der sicheren Distanz der gedeckten Zuschauerplätze diesem Geschehen teilzuhaben, uns daran zu ergötzen, mitzuleiden, mitzuschwärmen, mitzulachen und uns zu freuen an einer anrührenden Geschichte, wie sie das Leben schrieb.
Mit früheren Aufführungen der Stücke von Dürrenmatt, Shakespeare, Goldoni und Molière hatte Peter Niklaus Steiner für sein Langnauer turbine theater eine glückliche Hand. Mit Marcel Pagnols «Die Frau des Bäckers», wie die Premiere zeigte, nicht anders. Und gleichermassen mit seiner Co-Regisseurin Michèle Hirsig, mit der er sich in der Arbeit teilte. Mit leichter Hand und dennoch berührend spielt er selbst die Hauptrolle, in der ersten Hälfte mit feiner Schilderung seines Seelenlebens, in der zweiten in der Form eines spannenden und dramatischen Schwankes. Seine Aurélie (Daniela Stoll) bezaubert nicht nur den verliebten Schäfer Dominique (David Gasser), sondern auch das Publikum. Angèle, die Chorleiterin (Colette Studer), malt mit ihren frechen und lustigen Sprüchen Farbtupfer ins Gruppenbild der Protagonisten. Neben allen andern, Schafhirten, Bauern, Dorfbewohnern, dem Marquis Castan de Venelles (Beat Gärtner) und den Musikern, die uns mit Tempo, Schwung in die Geschichte hineinziehen, gefallen besonders auch die Kinder, bei denen sich die professionelle Schauspielführung aufs Schönste zeigt. Der warme Applaus des Premierenpublikums war voll verdient.
… in einmaligen Kulisse und passendem Ambiente
Gewissheit hat Steiner auch, indem er sich auf ein exklusives «Bühnenbild» berufen kann. Wie schon früher wird der Pavillon im Besucherzentrum Sihlwald auch dieses Jahr wieder gegen die Sihl hin geöffnet, und es entsteht eine Landschaftsbühne mit Blick über den Fluss und in den Wald. «Gerade die über 50 Meter tiefe Bühne über die Sihl vor zwei Jahren hat die Idee für das Stück gegeben.» Damals kam ein Zuschauer auf Steiner zu und machte auf das Stück von Pagnol aufmerksam, das sich hervorragend für diesen Ort eignen könnte. Steiner las sich ein und war von der Meinung des Zuschauers überzeugt: «Das Stück ist spannend, und das ländliche Provinzdorf mit Gartenterrasse, Dorfplatz und Bäckerei passt gut an die Sihl und in unser Gemeindewesen im Sihltal.» Fast schon traditionell arbeitet der Produktionsleiter mit Schauspielern der StageArt & Musical School in Adliswil zusammen. Rund ein halbes Dutzend Akteure spielen zum ersten Mal eine Rolle in dieser Eigenproduktion des turbine theaters und können somit im Rahmen ihrer Ausbildung Erfahrungen sammeln.
Das Stück wird, mit wenigen Ausnahmen, täglich bis 5. August, jeweils um 20:00 Uhr, im Besucherzentrum Sihlwald gezeigt. Zur Einstimmung oder zum Ausklingen mit den Schauspielern empfiehlt sich das Waldbistro «Chez Aurélie» mit französischen Köstlichkeiten.
Informationen, Spielplan, Vorverkauf: www.turbinetheater.ch