Die lustige Witwe
Melodiöse Musik, einschmeichelnde Lieder, mitreissender Tanz
Wer kennt sie nicht, die Ohrwürmer der Operette «Die lustige Witwe»: «Dann geh’ ich ins Maxim», «Dummer, dummer Reitersmann», «Ich bin eine anständ’ge Frau», «Das Studium der Weiber ist schwer», «Vilja» oder «Lippen schweigen, ‘sflüstern Geigen, hab mich lieb», lächelnd oder belächelnd, schwelgend oder mitsingend? Eingebettet in eine Handlung voll Liebesschmerz und Liebesfreud, angesiedelt im 19. Jahrhundert in der Stadt der Liebe. Im Rahmen seines 175-Jahr-Jubiläums bringt das Luzerner Theater das Erfolgsstück aus dem Jahre 1905 zur Aufführung. – Auch hier darf man, nach dem begeisterten Premierenapplaus, einen Erfolg erwarten.
Die Handlung ist einfach: In Paris soll das grosse Vermögen der pontevedrinischen Witwe Hanna für das bankrotte Heimatland gesichert werden. Mit einer dem Staatswohl dienenden Heirat derselben wird der Gesandtschaftssekretär Baron Mirko Zeta beauftragt. Sein grösstes Problem, er liebt sie selbst. Graf Danilo war es einst aus familiären Gründen nicht erlaubt, Hanna, ein Mädel vom Land, zu heiraten. Während er nach diesem Heiratsverbot seine Sorgen im Maxim zu vergessen sucht, ehelicht Hanna einen reichen Bankier, der aber schon in der Hochzeitsnacht stirbt. Auf dem Ball der pontevedrinischen Botschaft in Paris treffen beide wieder aufeinander. Jetzt ist Hanna eine reiche Witwe, und jeder Mann will sie heiraten, zwar nicht ihrer Schönheit und Intelligenz, sondern ihres Geldes wegen. Auch Danilos Liebe zu Hanna entflammt neu, er traut sich aber nicht, ihr zu gestehen, dass er sie liebt, aus Angst, man würde ihm ebenfalls vorwerfen, nur an ihrem Geld interessiert zu sein. Erst als Hanna vorgibt, kein Geld mehr zu haben, können sich beide in die Arme fallen. Während in der Haupthandlung die Witwe Hanna und der Graf Danilo nicht wollen, was sie dürfen, dürfen umgekehrt in der Nebenhandlung die Botschaftsgattin Valencienne und ihr heimlicher Verehrer Camille nicht, was sie wollen.
Die Haupthandlung mit Hanna und Danilo
Wenn die Musik das wahre Wort findet
Kunst zeigt Wahrheiten des Lebens. So gilt dies auch bei Werken der leichten Muse, wie etwa bei der Operette «Die lustige Witwe». Wie nur selten bündelt hier die Musik dramatische Zustände und verrät auf subtile Weise das, was die Figuren, gefangen in politischen Missionen, gesellschaftlichen Konventionen und persönlichen Konflikten, nicht äussern können oder wollen. Franz Lehár entwarf zusammen mit den Librettisten für diesen turbulenten Kampf zweier liebender Herzen bis zum erlösenden Geständnis «Ich liebe dich» eine Partitur, die Musik, Gesang und Tanz umfasst. Walzer, Polka, Mazurka, Cakewalk und Cancan stehen im Zentrum der Kommunikation. Ob auf mondänem Botschaftsparkett, bei folkloristischer Heimatverklärung oder im intimen Vergnügungsetablissement, überall findet die Musik das wahre Wort.
Die Nebenhandlung mit Valencienne und Camille
Die Luzerner Aufführung
Die Aufführung von Theaterdirektor Dominique Mentha (Inszenierung), Howard Arman (Musikanische Leitung), Werner Hutterli (Bühne), Janina Ammon (Kostüme), Sean Stephens (Choreografie) und Peter Weiss (Licht) konzentriert die Tanzoperette auf das Wesentliche, verbindet die «ernste» Liaison zwischen Hanna und Danilo mit der «komischen» zwischen Valencienne und Camille.
Hervorzuheben sind Jutta Maria Böhnert, mitreissend und zielstrebig als Witwe Hanna Klawari, und Robert Maszl, wandlungsfähig als Graf Danilo Danilowitsch. Ebenso gefällt Flurin Caduff als Baron Mirko Zeta, der alles in Bewegung setzt. Ebenbürtig Marie-Luise Dressen als Valencienne, die Gattin des Barons, zusammen mit Utku Kuzuluk als deren Liebhaber. Eine ausgewogene, stimmlich und schauspielerisch sehr schöneGesamtleistung. Tatkräftig unterstützt vom Volk und den Grisetten mit ihrer Choreografie, die den Fortgang der Handlung stets neu aufwirbelt. Abwechselnd treten mehrmals Einzelne aus dem Plenum heraus und treiben ihre Spässe, etwa die Einlagen auf der Vorbühne oder das lustige Vorsingen der Grisetten Lo-Lo, Do-Do, Jou-Jou, Frou-Frou, Clo-Clo und Margot. Der Chor und der Extrachor des Luzerner Theaters sind ergänzt durch Tänzerinnen der Musical Factory Luzern. Allesamt begeistert und begeisternd.
Der Ablauf der drei Akte wirkt beschwingt, beginnt im ersten vielleicht etwas langsam, wird dann aber intensiver, spannender und lustiger. Zwei Elemente der Bühnengestaltung seien hervorgehoben: die vielfältig verwendeten Stühle, deren Bedeutung am Anfang zwar noch nicht ganz klar ist, die dann aber immer mehr eine dramaturgische Funktion erhalten. Weiter die Fadenvorhänge, die während des ganzen Abends zum Einsatz kommen und hinten von vorne, vorher von nachher trennen und unerwartet schön sich als kleiner Pavillon entfalten, unterstützt durch eine kluge Lichtführung.
Hanna, umworben, doch selbst bestimmend
Zum Studium der Weiber
Die zwei Paare, vor allem deren weibliche Parts, spielen geschickt mit zwei Frauenbildern: mit Hanna als der emanzipierten Frau, die sich nicht wählen lässt, sondern ihren Mann selbst erobert und mit Valencienne als konservative, werterhaltende «anständige» Frau, die bei ihrem Mann bleibt, wenn auch sich gern umwerben lässt. Diese Frauenbilder dürften vor mehr als hundert Jahren wohl einiges Aufsehen erregt haben. Mehr noch die Erotik, wie sie in den Maxim-Szenen die Grisetten feiern. Diese bringen mit ihrem Cancan Männer zum Träumen von Gattinnen und Kokotten in Personalunion. Zeitgenössische Plakate für diese Operette wären noch heute anstössig und dürften damals die Sündenbedürfnisse verklemmter Kleinbürger befriedigt haben. Doch all dies macht, ohne je zu moralisieren oder zu dozieren, «Die lustige Witwe» zu einem augenzwinkernden Genuss.
Danilo, zwischendurch mal im Maxim
Eine Erfolgsgeschichte
Am 30. Dezember 1905 feierte «Die lustige Witwe» im Theater an der Wien Premiere. In Oslo rettete sie in einer Saison das Nationaltheater vor dem Bankrott. Und für Franz Lehár wurde sie die erfolgreichste Operette, die bis 1948, seinem Todesjahr, 300'000 mal aufgeführt wurde. Mehrfach wurde sie verfilmt, als Stummfilm von Erich von Stroheim als «The Merry Window», später von Ernst Lubitsch mit Jeannette Macdonald und Maurice Chevalier. In der Musik zitierte Dimitri Schostakowitsch das Lied «Da geh‘ ich ins Maxim» in seiner 7. Symphonie, worauf Béla Bartók in seinem Konzert für Orchester anspielte. Am 8. Dezember 2009 trug Johannes Heesters im Alter von 106 Jahren «Da geh‘ ich ins Maxim» nochmals vor. «Lippen schweigen, s’flüstern Geigen» verwendete Alfred Hitchcok als Hauptthema in «Shadow of a Doubt». In «Glückliche Tage» zitiert Winnie mehrmals aus der Operette und summt am Schluss vor sich hin: «Lippen schweigen, 's flüstern Geigen, hab mich lieb», womit Samuel Beckett wohl den grösstmöglichen Kontrast zur Welt in Rosarot und Himmelblau der Operette setzte.
Fotos: Ingo Höhn
Weitere Aufführungen: 13.11. / 14.11. / 22. 10. / 23. 10. / 26.11. / 28.11. / 5. 12. / 19.12. / 21.12. / 26.12. und 31.12. 2014 sowie 3.1. / 13.2. / 27.3. / 28.3. und 5.4. 2015