Drei Schwestern

Drei Schwestern träumen: In Tschechows Tragikomödie «Drei Schwestern» träumen im Theater St. Gallen drei Frauen ihre Moskau-Träume: unterhaltsam und begeisterd.

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Voll Hoffnung auf ein Leben in Moskau: Mascha, Irina, Olga, im Hintergrund Kulygin (Marcus Schäfer)

Anton Tschechow (1860 – 1904), der in vierundvierzig Jahren mehr als 600 literarische Werke geschaffen hat, ist vor allem bekannt durch seine späten Dramen «Die Möwe» (1895), «Onkel Wanja» (1896), «Der Kirschgarten» (1903) und «Drei Schwestern» (1901), das gegenwärtig im Theater St. Gallen aufgeführt wird. Der Kurzinhalt des Stückes, das der Dichter auf der Krim geschrieben hat, wo er seine Tuberkulose zu heilen versuchte, lautet: Die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina Prosorow leben gemeinsam mit ihrem Bruder Andrej, fern ihrer Heimat Moskau, wo sie ihre Kindheit glücklich verbracht haben und wohin sie sich zurücksehnen. Zu Beginn scheint die Rückkehr nur eine Frage der Zeit. Doch da gibt es Probleme. Jede auf ihre Weise, suchen die drei Frauen Möglichkeiten, ins geliebte Moskau zu gelangen.

Der Schauplatz des schwermütigen, von Lyrik und Nostalgie getragenen Dramas um drei junge, intelligente Frauen ist eine Stadt in der russischen Provinz. Das Thema ist der Versuch der Schwestern, sich dem nivellierenden Zugriff provinzieller Wirklichkeit zu entziehen. Ihr Traum von einem sinnerfüllten Dasein konkretisiert sich im Traum, nach ihrer Geburtsstadt Moskau zurückzukehren. Die endgültige Gewissheit jedoch, nie mehr nach Moskau zu kommen, ist für sie gleichbedeutend mit Resignation, mit Hoffnungslosigkeit.

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Die erlauchte Gesellschaft unterhält sich mit Gesellschaftsspielen.

Trost über ausgeträumte Träume

Mascha, eine unausgeglichene, stets schwarz gekleidete junge Frau, muss auf Oberst Verschinin, den Mann, den sie liebt, verzichten und in der Ehe mit dem etwas banalen Lehrer Kulygin ausharren. Olga, die Älteste, eine abgearbeitete Lehrerin, hatte den Wunsch zu heiraten, wurde stattdessen Direktorin an einer Mädchenschule. Irina, die Jüngste, ist nach vier Jahren unbefriedigender Arbeit und Suche nach der grossen Liebe mutlos und deprimiert. Äusserlich markiert wird die endgültige Resignation durch den Abzug der Militärbrigade, was für die drei Schwestern den Verlust der letzten Freunde bedeutet. Nur Enttäuschung und Vereinsamung bleiben und dass sie sich gegenseitig Trost spenden.

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Am Ende verzweifelt und sich Trost spendend: Mascha (Andrea Haller), Irina (Michelle Güntensperger), Olga (Diana Dengler)

Moskau: Ort der Sehnsucht

Das gesamte Stück ist durchsetzt von skurrilen Elementen, vornehmlich eingebracht durch den griesgrämigen, verschrobenen Arzt Chebutykin – womit Tschechow sich wohl persönlich etwas ins Spiel bringt, denn auch er war Arzt. Bei möglichen und unmöglichen Situationen werden die Konversation der andern unterbrochen und Fragen gestellt wie: Existiert das überhaupt, was hier geschieht? Existieren die Personen, die hier handeln, überhaupt in Wirklichkeit? Ungewohnt moderne Einschübe in einem Stück aus dem Jahre 1901. In die Handlung eingebaute Gesellschaftsspiele, etwa das Stuhlspiel oder eine Polonaise, deuten an, dass die «Drei Schwestern» wohl weder sozial noch psychologisch zu verstehen sind. Skurrilität eliminiert das Tragische und verweist auf eine surreale Deutung des Stückes.

Interessant auch eine Bemerkung des damaligen Leiters des Moskauer Künstlertheaters über Tschechows Vorgehen beim Schreiben: Bevor dieser sich hinsetzt und ein Stück schreibt, sammelt er Material, d. h. Sätze, die er im Vorbeigehen in der Öffentlichkeit erhascht hat. Diese notiert er in ein Notizbüchlein, wenn sie zu den geplanten Figuren passen. Wenn er genug Details hat, ergeben sich die Rollen wie von selbst. Die Figuren sind für ihn dann schnell klar. Eine Entwicklung der Charaktere sieht er nicht. Die Leute handeln bei ihm unter dem Zwang des Zufalles, gestalten ihr Leben nicht selbständig.

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Manchmal geht es da ganz schön zu und her.

Ob mit Moskau wirklich nur die Stadt gemeint ist oder eher eine umfassende Sehnsucht nach einem besseren Leben, das, wie im Stück mehrmals angesprochen, in Zukunft beginnen wird, darf wohl gefragt werden. Ob das häufige Versprechen, einmal wirklich arbeiten zu wollen, den Beleg für das gegenwärtige Unglück und die Hoffnung auf eine Veränderung meint, scheint naheliegend. Das Stück enthält auch Anspielungen auf Tschechows Leben, weshalb das Stück wohl auch ein Stück Autobiografie darstellt. Als Ganzes ist das Stück «Drei Schwestern» jedoch das Musterbeispiel eines impressionistischen Dramas, wertneutral und frei schwebend, welches uns wohl noch heute, nach mehr als einem Jahrhundert, etwas sagen und uns berühren kann.

Die Inszenierung von Tim Kramer, dem St. Galler Theaterdirektor, ist insgesamt klassisch, ohne modernistischen Schnickschnack. Mit einer einfachen, funktionalen Bühne von Gernot Sommerfeld, Kostümen etwa aus jener Zeit von Natascha Maraval, einer Musik von Willi Häne, die Assoziationen weckt und – ganz pauschal – einer spielfreudigen Truppe, die mehr als drei Stunden gut unterhält und gleichzeitig die Augen öffnet auf das, was Menschen so alles anstellen auf dem erhofften Weg zum Glück. – Die Aufführung wurde an der Premiere mit frischem, herzlichem Applaus verdankt.


Weitere Vorstellungen: 9., 11., 14., 15., 17. April, 9. Mai und 1. Juni
Zusatz-Informationen: http://www.theatersg.ch
Fotos: Theater St. Gallen, Tina Edel