Dreisprachige Bergerfahrungen

Franz Hohler, Noëlle Revaz und Giovanni Orelli haben unter dem Titel «Gipfel, Col, Valle» für die Alpen-Initiative je fünf Berggeschichten geschrieben.

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Foto: Doris Stalder

«In den Bergen geht es nicht nur hinauf und hinunter, sondern auch drunter und drüber. Der Verein Alpen-Initiative hat eine Schriftstellerin und zwei Schriftsteller eingeladen, für sein Magazin «echo» je fünf Geschichten zu schreiben: die Westschweizerin Noëlle Revaz, den Deutschschweizer Franz Hohler und den Tessiner Giovanni Orelli. Entstanden ist eine dreisprachige Odyssee durch die Alpen», schreibt Thomas Bolli von der Alpen-Initiative.
Revaz, Orelli und Hohler erleben die Alpen verschieden, nicht nur weil die eine Französisch, der andere Italienisch und der Dritte Deutsch denkt und schreibt, sondern weil die Annäherungen an und die Begegnung mit dem Berg immer wieder zu persönlichen Auseinandersetzungen mit sich selbst führen. Die Texte, alle dreisprachig, sind kurz, doch die Nachwirkung des einen oder anderen kann durchaus Langzeitwirkungen haben, weil sie nicht einfach Zeit totschlagen, sondern Zeit füllen mit Erfahrungen und Erkenntnissen, die gelegentlich auch eigenes Tun auslösen können.

Franz Hohler: mit Worten Berge besteigen


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Foto: literatur.ch

Franz Hohler wurde 1943 in Biel geboren und ist in Olten aufgewachsen. Er ist bekannt als Autor, Liedermacher und Kabarettist und lebt in Zürich. Von ihm sind unzählige Bücher, Ton- und Bildträger erhältlich. Zuletzt erschienen ist sein Roman «Gleis 4».
«Mit den Schneeschuhen zu den drei Alphütten» betitelt Hohler seinen Text, mit dem er eine winterliche Bergbesteigung mit Worten begleitet. Dabei geschieht nichts Sensationelles, doch vielleicht ist gerade dieses Gewöhnliche die Sensation: in einer Welt, die sich nur so überbietet von künstlichen Sensationen. Mit «Wandern und sich wundern an der Limmat» nimmt er uns mit ans Ufer der Limmat. Dabei lässt er uns die Ruhe geniessen und über den Lärm ärgern. Auch in «Das höchste Dorf», mit dem Juf gemeint ist, erleben wir Schritt um Schritt den Gang nach oben und sehen rundherum die Natur mit ihrer Flora und Fauna. «Unterwegs in die Öde» nennt er sein Besteigen des Tödi. Und mit dem abschliessenden «Agassizhorn» wagt er es auf 3953 Meter, einen Berg, der eigentlich Rentyhorn heissen sollte. Wie es auch dort oben «menschelt», wird einem erlebbar gemacht.

Noëlle Revaz: mit den Augen einer Frau das Umfeld der Berge erahnen.


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Foto: chlitterature.ch

1968 wurde Noëlle Revaz in Vernayaz geboren, lebt heute in Biel, ist als Schriftstellerin tätig. Ihre beiden Romane «Rapport aux bêtes / Von wegen den Tieren» und «Efina» wurden mehrfach ausgezeichnet. Zudem wurden eine Reihe Erzählungen, Hörspiele und Theaterstücke von ihr veröffentlicht.
Mit ihrem Text «In die Berge gehen» hinterfragt die Autorin die Idee, die hinter Formulierung wie «je höher, desto besser» steckt und geht solchem Denken im Alltag nach. In «Die Berglotsen» karikiert sie in einem Dialog von zwei Beamten die Manie des Vermessens und Durchnummerierung von Tieren. Bei «Ein Wochenende in Innsbruck» beschreibt Revaz, wie ein Flugzeug in der Spiegelung auf dem Computerbildschirm ihr die erhoffte Ruhe raubt, sie sich vom Hotelmanager aber sagen lassen muss, dass hier nicht alle die Natur und die Ruhe suchen. Bevor sie in «Der echte Wasserfall» zu den berühmten Simmenfällen kommt, geht sie in ein Restaurant, isst etwas und begegnet interessanten Einwohnern, die auch mal wichtiger sein können als ein Wasserfall, als ein Berg.

Giovanni Orelli: mit den Worten eines Professors


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Foto: letemps.ch

1928 wurde Giovanni Orelli in Bedretto geboren, studierte in Zürich und Mailand und war als Lehrer tätig. Er lebt als Schriftsteller in Lugano. Im Limmat-Verlag sind mehrere Romane sowie der zweisprachige Gedichtband «Vom schönen Horizont  / E mentre a Belo Horizonte …» erhältlich.

Im Beitrag «Die Namen der Berge» vertieft sich Orelli, der anfänglich die Berge mit den Augen eines Bauern sieht, in die Namen der Berge und schliesslich in die Geschichte, die sie erzählen. «Die Gletscherspalte am Blinden», eine Bergwanderung im Nufenen-Gebiet mit Miteidgenossen, behandelt nicht nur die Natur, wenn sie harmlos, sondern auch wenn sie gefährlich wird. «Auf dem Gotthard mit Coppi und Koblet» erinnert an eine Tour de Suisse-Etappen, bietet aber auch Gelegenheit, sich nicht nur darüber, sondern auch über die Worte darüber zu vertiefen. In «Hoch zum San Giacomo» und «Zum Crusìn di Pizòcan» sinniert Orelli über die Namen der Berge und Ortschaften.

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Foto: Doris Stalder

Warum die Alpen?

«Warum über die Alpen schreiben? Sie verdienen es, in ihrer ganzen Wucht und Verletzlichkeit wahrgenommen zu werden. Vielen sind sie nur noch ein Hindernis. Deshalb bohrt man unentwegt Löcher durch den Berg. Mensch und Waren sollen rapid befördert werden. Doch je weiter wir im Tunnel fahren, desto mehr vergessen wir, was über dem Fels liegt: ein empfindlicher Lebensraum, das bedeutendste Wasserreservoir Europas, eines der letzten grossen Naturgebiete des Kontinents», meint Thomas Bolli. Solches zu bedenken und darnach zu handeln, dazu verhilft einen das dünne Bändchen.
Franz Hohler, Noëlle Revaz, Giovanni Orelli: Gipfel, Col, Valle. Berggeschichten. Limmat Verlag, Zürich 2014,188 Seiten