Einladung zu dialogisch kreativem Tun
Emil und Niccel für die Schule
Emil und Niccel Steinberger stellten anlässlich einer Ausstellung in Solothurn, bei welcher sie eine Übersicht über ihr gesamtes grafisches Oeuvre präsentierten, eine kreative Methode vor, die sie seit sechs Jahren praktizieren: das gemeinsame Zeichnen in «Wochenblättern». Dieser Ansatz, sinngemäss übertragen, kann höchst anregend sein auch für das gestalterische Arbeiten in der Schule. Sie erweitert das Zeichnen vom Monolog zum Dialog.
«1997 sassen wir in einem Restaurant in Amerika und warteten lange auf unser Essen. Niccel nahm ihren Skizzenblock, zeichnete ein paar Striche und schob den Block zu Emil hinüber, damit er das Gezeichnete fortsetze. Emil zeichnete also weiter und gab das Blatt wieder zurück. So ging der Skizzenblock hin und her, bis das Essen auf den Tisch kam. Die Ess-Pause bis zum Dessert wurde dann, bereits mit grossem Spass, dazu benutzt, das „Werk“ abzuschliessen. Daraus entstand unsere Idee der Wochenblätter, die wir seit dem Jahre 2000 zu Hause verwirklichen.» Soweit die beiden Künstler.
Jeden Montag legten sie ein weisses Blatt auf einen dafür bestimmten Tisch, und einer von beiden zeichnete den ersten Strich. Der andere schaute sich die «Vorgabe» an und ergänzte sie nach eigenem Gefühl. Das Gezeichnete kann dabei fortgeführt oder total verändert werden. Das Zeichnen am «Wochenblatt» erschien ihnen wie ein Schachzug, mit dem man den Partner vor neue Aufgaben stellte, ohne jede Absicht, einen Gewinner oder Verlierer zu ermitteln, sondern gemeinsam ein gutes, harmonisches Blatt zu produzieren. Nie wurde über eine gewünschte Fortsetzung mit dem andern diskutiert oder ein Ratschlag erteilt. Nein, man setzte sich an den Tisch, um mit der eigenen Phantasie das Vorhaben zu ergänzen und es wenn möglich nicht zu zerstören. Am Sonntag war Abgabetag. Letzte Retouchen könnten noch angebracht werden, dann wurde gemeinsam signiert.
Zeichnend mit andern im Gespräch
In meinen Filmbesprechungen im Schulblatt AG/SO – am schönsten bei «Accordeon Tribe» – habe ich daran erinnert, wie die Schule von Künstlerinnen und Künstlern lernen kann. Dort von der Musik, hier vom Bild. Wenn wir in der Klasse im Sinne der «Wochenblätter» zu zeichnen und malen beginnen, wird Zeichnen und Malen zu einem Gespräch. Und dass der Dialog Bildung und Kultur erst begründet, ist spätestens seit Martin Buber allbekannt. Gestalten bleibt, nach Emil und Niccel, nicht mehr ein monologischer, oft gar monomanischer Prozess, sondern wird dialogisch. Wir in der Schule – die Kinder in der Klasse, die Lehrpersonen im Team – machen Schritte aufeinander zu, gehen auf visuelle Äusserungen der andern ein, nehmen dabei Rücksicht, erfragen, erspüren die andern, begegnen ihnen und geben ihnen Antwort, machen damit eine neue Ansprache, auf die der andere erneut antworten kann, bis ein Gemeinschaftswerk entstanden ist. In höchstem Masse gilt hier, dass der Weg das Ziel, der Prozess das Produkt ist.
Niccel und Emil, sie die Humor-Wissenschaftlerin, er der Humor-Praktiker, wirken hier bildend mit Bildern. Und weil sie zwei Humanisten sind und das Leben und die Menschen lieben, geben sie uns etwas von dieser ihrer Liebe weiter.
Gottlob haben die beiden, so überkommt es einen angesichts ihrer Bilder, Zeichnungen und Plastiken, nicht der typisch schweizerischen Mahnung «Schuster, bleib bei deinem Leisten!» gehorcht und haben sie die Grenzen des Bekannten und des Erfolges überschritten und Neues gewagt. Anlässlich der Ausstellung «Wochenblätter» im Haus der Kunst in Solothurn ist ein Katalog erschienen, der das Gesamt-Oeuvre der beiden umfasst, von dem hier nur gerade das Thema «Wochenblätter» vorgestellt wurde, weil es sich für die Schule so besonders empfiehlt: Emil und Niccel Steinberger, Wochenblätter, 79 Seiten, farbig illustriert, Fr. 25.-, Edition E, 1820 Territet, www.edition-e.ch, ISBN 978-3-905638-33-2.