Emil und die Menschenwürde

Ihren diesjährigen Preis für Menschenwürde verliehen die Tertianum-Stiftung und die Zürcher Kantonalbank dem heute 80-jährigen Schauspieler, Kabarettisten, Schriftsteller und Zeichner Emil Steinberger.

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Wir meinen ihn zu kennen, unsern Emil national. Doch ein Blick in seinen Lebenslauf bringt Unbekanntes und Vergessenes an den Tag. Vor allem werden zwei Eigenschaften des Künstlers offenbar: Emil ist extrem fleissig und ungewöhnlich neugierig, mit seinem Fleiss ein typischer Schweizer, mit seiner Neugier eher ein Weltbürger. Emil Steinberger wurde 1933 in Luzern als Sohn eines Buchhalters geboren. Schon in der Jugend improvisierte er Sketches. Nach einer Postbeamtenausbildung und neun Jahren Schalterdienst liess er sich zum Grafiker ausbilden. Schon damals spielte er im «Cabaradiesli» mit. 1967 eröffnete er das Kleintheater am Bundesplatz, wo er erstmals mit eigenen Programmen auftrat. Später führte er das «kino moderne», dann zusätzlich das «Atelier».

Anfang der 70er Jahre füllte Steinberger mit den Soloprogrammen «Geschichten, die das Leben schrieb», «E wie Emil» und «Emil träumt» in der Schweiz und bald auch in Deutschland die Theater. Dort verhalfen ihm zu seiner Bekanntheit die Emil-Sendungen der ARD. Es folgten Tourneen durch die Bundesrepublik, die Schweiz und die DDR. 1977 stand er für neun Monate in der Manege des Circus Knie. Ein weiterer Höhepunkt seiner Karriere war seine Rolle im Film «Die Schweizermacher» von Rolf Lyssy. Das folgende Bühnenprogramm «Feuerabend», das 1980 startete, war so erfolgreich, dass er beschloss, nur noch «Emil» zu sein. Zur gleichen Zeit trat er in der Romandie mit «Une heure avec Emil» und «Feu et flamme» auf. 1987 beendet Steinberger vorläufig seine Bühnenkarriere.

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Emil bedankt sich für den besonderen Preis.

1990/91 gehörte Emil zum TV-Rateteam in «Ja oder Nein». Gleichzeitig war er erfolgreich in der Werbung für Melitta-Kaffee, Fisherman's Friend, Bico-Matratzen, Rivella und tourte mit «Schweiz Plus» durch Deutschland. Ende 1993 verabschiedete er sich nach New York, um dort ein Leben in der Anonymität zu führen. 1999 heiratete er dort die Humorspezialistin Niccel Kristuf, kehrten beide zusammen in die Schweiz zurück und leben seither in Territet am Genfersee. Im gleichen Jahr erschien sein Buch «Wahre Lügengeschichten», gefolgt von «Emil via New York». Im eigenen Verlag veröffentlichen Steinbergers nun ihre Bücher, CDs, DVDs und e-books. Emil war neu mit Lesungen unterwegs, die sich schnell zum neuen Bühnenprogramm «Drei Engel!» entwickelten, mit dem er 850 Mal auftrat. 2006 stellten Emil und Niccel in Solothurn ihre gemeinsam gezeichneten «Wochenblätter» aus. An seinem 75. Geburtstag wurde Emil Steinberger 2008 von der Stadt Luzern zum Ehrenbürger ernannt. 2013 feierte er seinen 80. Geburtstag. Gleichzeitig erschien sein Buch «Lachtzig».

Sein Preis für Menschenwürde

Seit 2006 verleiht die Tertianum-Stiftung gemeinsam mit der Zürcher Kantonalbank einen Preis für Menschenwürde. Dieses Jahr wählte die Jury den Kabarettisten, Schauspieler, Schriftsteller und Zeichner Emil Steinberger für seine «Verteidigung eines menschenwürdigen Alltags». Das Preiswürdige seines Humors ist unter anderem, dass Emil niemand blossstellt, verurteilt, diskriminiert oder beleidigt. Zwar gibt es auch bei ihm gelegentlich und augenzwinkernd kritische Akzente, doch niemand wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Hier setzt er seine Grenze. Kritik ist legitim, soll jedoch niemand herabsetzen und seine Selbstachtung verlieren lassen. «Die Menschenwürde muss es sich gefallen lassen, am Bart gezupft zu werden», schrieb Tucholsky – was auch für Emil gilt.

Die «Entlastungsinstitution»

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Professor Bachmaier bei seiner Einführung

Professor Helmut Bachmaier, der Präsident der Tertianum-Stiftung, leitete in seiner Ansprache den Begriff der Menschenwürde von der Geschichte der Philosophie ab und führte dann direkt zu Emil Steinbergers «Würdekonzept». Emil lasse seinen Figuren stets ihre Würde, die auf Anteilnahme und Respekt fusst, und er setzte sich für einen schonenden Umgang mit den Mitmenschen ein. Steinberger sei ein «Entlastungskomiker», indem er mit den dargestellten Kleinbürgern beim Publikum entlastend wirke. Nach Gehlen haben Institutionen solche Funktionen, weshalb Emil mit Fug und Recht als «Entlastungsinstitution» bezeichnet werden darf, die das Publikum in einem psychosomatischen Vorgang von Sorgen und Problemen entlasten kann.

Mit den Worten eines Gelotologen

Der Laudator des Preisträgers, der Gelotologe (Gelotologie: Wissenschaft der Auswirkungen des Lachens) und Imitator Peter Hässig promoviert über Emil Steinberger und sein kabarettistisches Werk. Emils Menschenwürde zeichne sich, so der Redner, vor allem durch die Beachtung von drei fundamentalen Rechten aus: der Freiheit, der Gleichheit und der Achtung vor dem andern. Er beruft sich dabei auf Kant, der verlangt, dass der Mensch «Zweck an sich» und niemals «Mittel zum Zweck» sein dürfe. Steinberger instrumentalisiere in seinen Figuren den Menschen nie. Emil lebt auf der Bühne vor, dass Menschenwürde für alle, unabhängig von Stellung und Prägung, unantastbar sei und im Alltag gelebt werden könne.

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Der Laudator Peter Hässig

Dekoriert mit Auszeichnungen

Den Preis für seine «Verteidigung eines menschenwürdigen Alltags» nahm Emil Steinberger freudig entgegen, auch wenn schon 25 Preise bei ihm zu Hause hängen. Denn dieser sei ein ganz Besonderer. Spontan und lebendig, lustig und humorvoll wie immer, erzählte er von seiner Arbeit, den Anfängen seiner Karriere und vom Entwickeln einiger seiner Figuren. Und schon bald war das versammelte Publikum in Emils «Lachtheater» eingebunden und genoss seine Inszenierung zwischen «Lügengeschichten» und «Tatsachen». Er habe, so sagt er, auf der Bühne immer gearbeitet, «ohne jemand zu verletzen», habe Anteil genommen an seinen Figuren, den Menschen dahinter und sich immer «für einen schonenden Umgang mit allen Mitmenschen» engagiert.

«Wenn es den Emil nicht gäbe, müsste man ihn erfinden», meinte der Moderator des Abends, Franz Fischlin. Und Emil schliesst ernst und humorvoll und als Appell an alle: «Das Wort Menschenwürde muss neu lanciert werden.»

Foto Mike Hintermeister