Herausfordernde Bilder der Jugend

«Junge Menschen» heisst eine Ausstellung des Fotomuseums Winterthur. Eine spannende Gelegenheit, junge Menschen von heute einmal von einer andern Seite kennen zu lernen.

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Ich denke, jeder von uns hat schon mal ausgerufen, dass die heutige Jugend in ihrer Zukunft nicht zu beneiden sei. Denn wir Alten hinterlassen ihr eine Welt, die, neben einigen positiven Errungenschaften, einige wahrscheinliche Katastrophen bescheren kann: eine immer gewaltigere und zudem irreversible Zerstörung der Umwelt; Millionen Tonnen radioaktiver Abfälle; ein finanzielles, vor allem wirtschaftliches Desaster; einen Scherbenhaufen alter Werte, der kaum durch neue aufzuräumen ist. Angesichts solcher Befürchtungen scheint es mir wichtig, die Jugend, der wir dies alles vererben, kennen zu lernen. Dies kann im Alltag geschehen, aber auch über das Medium Fotografie.

Die Boulevardmedien, die von Verkaufszahlen und Einschaltquoten leben, liefern Bilder, die von Verlagen, Konzernen und letztlich der Wirtschaft bestimmt werden. Die Fotoausstellung «Junge Menschen» in Winterthur bietet Einblicke, die der Wahrheit vielleicht etwas näher kommen, weil die Fotografinnen und Fotografen freier waren als jene der bezahlten Medien. Solche Jugend-Bilder kennen zu lernen scheint mir auch für Seniorinnen und Senioren wichtig, gerade wenn sie, wie hier, als geballte Ladung daherkommen und unsere Stellungnahmen herausfordern.

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Rico Scagliola/Michael Meier: Double Extension Beauty Tubes, 2008 – 2010, 10-Kanal Videoinstallation, Sammlung Fotomuseum Winterthur, © Scagliola/Meier

Die freie, künstlerische Fotografie hat sich immer wieder dem Thema Jugend gewidmet, und das aus mindestens zwei Perspektiven. Zum einen aus dem Blick der Beteiligten: in der Vergangenheit junger Fotografen wie Larry Clark und Nan Goldin, in der Gegenwart Künstlern wie Maya Rochat, Rico Scagliola und Michael Meier. Sie fühlen sich ganzheitlich in das Leben der Protagonisten ein, nehmen nicht bloss fotografisch daran teil. Zum anderen gibt es die distanziertere Betrachtung jugendlicher Phänomene aus der Perspektive Erwachsener. Diese kommen dann oft auch unserem Blickwinkel näher, ermuntern zum Rückblick und zum Erinnern der eigenen Jugend.

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Rechts: Ari Marcopoulos: aus Directory, 2011, Fotokopie, 28 x 21 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur, ©Ari Marcopoulos

Fünf Jahrzehnte Jugend

Die Sammlungsausstellung «Junge Menschen – Set 9» des Fotomuseums geht den typischen Fragen des jugendlichen Lebens nach. Positionen aus fünf Jahrzehnten zeigen, dass das Erwachsenwerden immer auch von privaten wie gesellschaftlichen Vorstellungen geprägt wird. Momente der Entgrenzung und des Protests, sowie Alkohol- und Drogenerfahrungen sind als Reaktionen dabei genauso wenig wegzudenken wie die mitunter rastlose Suche nach sexuellen Erlebnissen, nach gefestigten Lebensmodellen und möglichen Haltungen für die Zukunft.

Ein zentraler Bestandteil der Ausstellung ist die 10-Kanal-Videoarbeit der beiden jungen Schweizer Nachwuchstalente Rico Scagliola & Michael Meier mit dem Titel «Double Extension Beauty Tubes» (2008-2010). Das Künstlerpaar hat drei Jahre lang die so genannten «Emos» (in Anlehnung an das englische Adjektiv «emotional»), eine aktuelle Jugendbewegung in Zeiten von Social Media wie Facebook, fotografisch begleitet. Ihr Projekt ist in Umfang und Anspruch mit der bekannten Diaschau von Nan Goldin «The Ballad of Sexual Dependency» vergleichbar. Neben internationalen Fotografen und Fotografinnen wie Paul Graham, Nobuyoshi Araki und Alec Soth spielen in der Präsentation auch Schweizer Künstler eine tragende Rolle. Bekannte Positionen wie die von Daniele Buetti, Walter Pfeiffer und Pipilotti Rist treffen auf junge Vertreter wie Beni Bischof, Anne Morgenstern, Taiyo Onorato/Nico Krebs und Maya Rochat, die mit inszenierten wie dokumentarischen Fotoarbeiten aktuelle Einsichten in die heutige Jugendkultur bieten. Weitere Künstler sind David Armstrong, Nathan Beck, Sabrina Biro, Beni Bischof, Larry Clark, JH Engström, Michel François, Ilse Frech, Julian Germain, Nan Goldin, Paul Graham, Roland Iselin, Ari Marcopoulos, Pietro Mattioli, Boris Mikhailov, Daidō Moriyama, Suzanne Opton, Helena Påls, Walter Pfeiffer, Viviane Sassen, Paul Mpagi Sepuya und Tobias Zielony.

Die Ausstellung wurde vom Sammlungskurator Thomas Seelig zusammengestellt und mit der Broschüre «Junge Menschen – Set 9 aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur» versehen. Dazu gibt es Sonderveranstaltungen, so eine Führung durch Jugendliche selbst.

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Julian Germain: Yemen, Sanaa, Secondary Year 2, English, 2004, aus Classroom Portraits, Inkjet-Print, 27 x 35 cm, Sammlung Fotomuseum Winterthur, © Julian Germain

Bis 10. Februar 2013

www.fotomuseum.ch