HORA-«supplement»
Vom 1. bis 12. Oktober gibt es im Casino-Saal Aussersihl in Zürich ein HORA-«supplement»: eine Rückschau und Vorschau als Bilanz der 20-jährigen Arbeit des Theaters.
Nach der erfolgreichen Theater HORA-Werkschau im Rahmen des Theaterfestivals OKKUPATION! im vergangenen Sommer folgen jetzt drei Reprisen, eine Filmvorführung und ein Vorprojekt als zweiter Teil der Jubiläumsaktivitäten des heute bekanntesten professionellen Theaters von und mit Menschen mit einer geistigen Behinderung in der Schweiz. Hier die Übersicht:
«Ente, Tod & Tulpe»
Ausgangspunkt der ersten Aufführung ist das Bilderbuch «Ente, Tod & Tulpe». Darin erzählt und zeichnet Wolf Erlbruch mit tiefgründiger Leichtigkeit die Beziehung zwischen einer Ente und dem Tod. Viele Wochen teilen die beiden ihr Leben und unterhalten sich über das Sterben: mal einander zugewandt, dann wieder sich fliehend, mit immerwährenden kleinen Gesten der Angst, des Trotzes, des Verzagens und des Vertrauens. Im Stück werden Grundsätze des menschlichen Lebens anders als gewöhnlich auf die Bühne gebracht und zur Diskussion gestellt.
Aufführungen 2. Oktober, 19:30, 3. Oktober, 14:00 und 19.30:Uhr
«Die Lust am Scheitern»
Für HORA-Gründer Michael Elber ist «Die Lust am Scheitern» die Essenz seiner 20-jährigen Arbeit mit geistig behinderten Schauspielerinnen und Schauspielern. In diesem Stück passiert etwa, was man so nur mit diesen Menschen machen kann. Auf der Bühne stehen zehn Performer. Einer tritt ins Scheinwerferlicht, spielt, tanzt, singt, spricht – oder auch nicht. Vielleicht kommt ein anderer hinzu – vielleicht aber auch nicht. Oder vielleicht läuft vieles oder alles ganz anders. Es kann etwas passieren – oder auch nicht. Ein offenes Theater, bei welchem jede Aufführung anders ist als die andern.
Aufführungen 5. Oktober, 19:30, 6. Oktober, ab 15:00 drei Vorstellungen
Try-Out: «Was wollt ihr denn, und wie gefällt euch das?»
Unter diesem offenen Arbeitstitel versucht die Truppe wieder einmal ein radikales Experiment. Nach diesem Try-Out, einem Abend, an welchem gemeinsam an der Entwicklung eines Stückes gearbeitet wird, sind Feedbacks der Zuschauer nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Sie werden bei der weiteren Erarbeitung des Stückes berücksichtigt. Die Premiere findet im April 2014 statt.
Aufführung 8. Oktober um 19:30 Uhr
Filmabend mit «I Love Me» von Andrea Pfalzgraf
«Den perfekten Menschen, den gibt es nicht», rezitiert Julia auf der Bühne. Sie spielt gerade Gott in Goethes «Faust». Julia ist mit Down-Syndrom geboren und machte im HORA-Theater eine zweijährige Lehre als Schauspielpraktikerin. «Geht das?», fragte sich die Filmregisseurin Andrea Pfalzgraf und drehte, um eine Antwort zu finden, über Julia einen Dokumentarfilm. Dann wusste sie: «Es geht!» Julia hat dieses Jahr schon auf Bühnen in Berlin, Kassel, Paris und Avignon gespielt und zudem einen renommierten Preis erhalten. Der Film lief bereits im Fernsehen. Am Abend ist die (längere) Kinofassung zu sehen.
Aufführung 9. Oktober, 19:30 Uhr
«Disabled Theater»
Für «Disabled Theater» hat Jérôme Bel, der französische Choreograf und Tänzer, mit den Mitgliedern des Theater HORA gearbeitet. «In einer Gesellschaft, die sich selbst als zutiefst normal definiert, bildet Behinderung eine Grenze, gegen die die Normalität anrennt», meint er. Geistige Behinderung gilt weiterhin als das Gegenteil der intellektuellen und kulturellen Grösse und Bedeutung. Wer dieses Selbstverständnis einmal radikal infrage stellen möchte, dem sei empfohlen, diese oder eine andere Aufführung des Theaters HORA zu besuchen.
Aufführungen 11. und 12. Oktober, 19:30 Uhr.
Alfred-Kerr-Darstellerpreises für Julia Häusermann
Julia Häusermann, der Absolventin der HORA-Ausbildung, wurde im Mai 2013 der Alfred-Kerr-Darstellerpreis für ihre Leistung in «Disabled Theater» überreicht. Die Laudatio hielt dabei Thomas Thieme. Hier einige Ausschnitte:
«Ich habe mich entschieden für eine 21-jährige Schauspielerin vom Theater HORA aus Zürich, auch inmitten eines ausserordentlichen Kollektivs von Schauspielern, deren Direktheit und Hingabe einzigartig war. – Wenn der Saint-Exupéry-Satz, dass man nur mit dem Herzen gut sieht, nicht tausendmal missbraucht worden wäre, müsste ich ihn jetzt bringen. – In jeder Bühnensekunde beschäftigt sie mich: mit ihrem Spiel, mit ihrer Wut, mit sich, mit der Liebe zu dem Riesen, der neben ihr sitzt. Existenz im Augenblick. Schwermut und Übermut zugleich. – Keine Chance, bei ihr auf irgendeine eingeübte Technik, eine gesetzte Pointe zu kommen. Kein virtuoses Auftrumpfen und vor allem kein Buhlen um die Aufmerksamkeit und Liebe des Publikums. – Ich habe mich entschieden, und ich bin nicht nur zufrieden mit meiner Entscheidung. Ich bin glücklich.»
Besprechungen früherer Aufführungen, die etwas von der kreativen Einmaligkeit und der menschlichen Tiefe dieses ausserordentlichen Theaters erfahrbar machen, finden sich im Seniorweb: «Quasimodo geniti» und «menschen! formen!».
Mehr über «supplement» unter www.hora.ch und www.starticket.ch