Keith Haring

Engagierte Kunst: Zu Keith Haring, der mit Postkarten und Merchandising weltbekannt ist, bietet die Ausstellung »Gegen den Strich« im Kunstmuseum München neue, vertiefte Deutungsansätze.

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Engagierte Kunst: Zu Keith Haring, der mit Postkarten und Merchandising weltbekannt ist, bietet die Ausstellung »Gegen den Strich« im Kunstmuseum München neue, vertiefte Deutungsansätze.

Keith Haring, ohne Titel, 1985, Acryl auf Leinwand, 122 x 122 cm, Privatsammlung, Belgien, © The Keith Haring Foundation

25 Jahre nach seinem Tod wird Keith Haring (1958 – 1990) in einer grossen, sorgfältig kuratierten Retrospektive im Kunstmuseum München geehrt. Ein Grossteil der über 160 Leihgaben stammt aus der Keith Haring Foundation in New York und wird durch Exponate amerikanischer und europäischer Museums- und Privatsammlungen ergänzt. Einige davon sind zum ersten Mal zu sehen. Die Zusammenstellung bezeugt die Vielfalt des Schaffens, mit dem Haring sich seiner Umwelt künstlerisch bemächtigt hat: frühe Zeichnungen, Plakate aus den Subways, Leinwände und Kunststoffplanen, Gebrauchsgegenstände und Skulpturen. Die Ausstellung lädt ein, in diesem gewaltigen Oeuvre Neues zu suchen und zu entdecken.

Politisch und sozialkritisch

Haring hatte es sich im New York zur Zeit der konservativen Reagan-Regierung zum Ziel gesetzt, mit seiner Kunst auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Er bezog klar Stellung gegen den kapitalistischen Exzess und engagierte sich für nukleare Abrüstung, Umweltschutz und die Gleichberechtigung der Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Auf diesen bisher wenig thematisierten politischen und sozialkritischen Aspekten seines Werkes liegt der Fokus der Münchner Schau.

Politisches, sozialkritisches Engagement und freies, kreatives Kunstschaffen werden oft als Gegensätze verstanden, beinhalten unbestritten eine Problematik: Dient Kunst als Werkzeug der Politik? Bleibt sie trotz konkretem Engagement umfassenden ästhetischen Zielen treu? Im Leben und Werk von Keith Haring scheint mir diese Problematik gegenstandslos. Hier sind Engagement für gesellschaftliche Anliegen und Freiheit der Kunst, also Leben und Kunst identisch. - Weiterführendes zu dieser Frage bringt das soeben erschienene Buch von Hanno Rauterberg »Die Kunst und das gute Leben: Über die Ethik der Ästhetik«.

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Titelbild: Keith Haring, ohne Titel, 1985, Acryl auf Holz, 35,6 x 40,6 cm, The Blinder Family Collection, © The Keith Haring Foundation

Gegen den Strich gezeichnet und gelebt

Während seiner kurzen, doch intensiven Karriere wurden Harings Werke in mehr als 100 Einzel-und Gruppenausstellungen gezeigt. Auch im öffentlichen Raum war er aktiv. Zwischen 1982 und 1989 richtete er mehr als 50 Installationen in Dutzenden von Städten auf der ganzen Welt ein, viele waren Wohltätigkeitsaktionen für Krankenhäuser, Kindertagesstätten oder Waisenhäuser gewidmet.

Als Keith Haring im 32. Lebensjahr, nach einer Schaffenszeit von gerade einem Jahrzehnt, an den Folgen von Aids starb, war er einer der herausragenden Künstler der New Yorker Szene, von Malern, Performern und Musikern, vor allem verbunden mit Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat. Nicht nur für seine Kunst, sondern auch sein politisches Engagement hatte er international Anerkennung erlangt. Denn er sprach offen über seine HIV-Infektion und leistete so einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung der Krankheit. 1989 gründete er die Keith Haring Foundation, deren Hauptziele bis heute sind, weltweit unterprivilegierten Kindern Ausbildungschancen zu bieten und ein vorurteilsfreies Bewusstsein gegenüber Aids zu schaffen. Vielleicht liegt hier ein Unterschied zu einigen hoch dotierten Künstlern des aktuellen Kunstbusiness. Seine Einnahmen aus der Kunst flossen in die Stiftung, welche die Werte vertritt, für die er sein Leben lang gezeichnet, gemalt und inszeniert hat: mehr Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

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Keith Haring, ohne Titel, 1989, Acryl und Emailfarbe auf Leinwand, 183 x 183 cm, Sammlung der Keith Haring Foundation, © The Keith Haring Foundation

Ein stupender Könner

Unabhängig von seinen politischen Aussagen überzeugt der Künstler durch eine stupende Beherrschung der künstlerischen Mittel, die Sicherheit im Umgang mit der Linie und der Ordnung im Raum. So beginnt er oft mit schnellen Pinselstrichen an einer Stelle und endete, ohne vorgezeichnet oder korrigiert zu haben, seine vielfältigen visuellen Geschichten erzählend, an einer andern. Alle Figuren stehen definitiv richtig, in ihrer Bedeutung und ihrem Bezug zueinander, oft eindeutig, manchmal mehrdeutig lesbar, gelegentlich labyrinthisch, geheimnisvoll. Siehe Bild 3. Als ob bei ihm das Bild, das fertig in seinem Hirn gelagert war, auf dem kürzesten Weg in extremem Tempo mit dem Pinsel über die Hand auf das Blatt gebracht worden sei.

Ein Prozess, der an Picasso erinnert, dessen Malweise im Film «Le Mystère Picasso« von Henri-Georges Clouzot beobachtet werden kann. Wie Picasso meint, »La nature existe, ma toile aussi«, so Haring: »Meine Zeichnungen versuchen nicht, das Leben nachzuahmen, sie versuchen, Leben zu erschaffen.« Und das machte er wie ein Berserker, obwohl - oder vielleicht gerade weil - er den ganzen Tag an Sex gedacht hat. Viele seiner Bilder zeigen Penisse, was zeigt, dass das Thema Sexualität einen grossen Teil seines Lebens und Werkes als Homosexueller bestimmte.

Keith Haring, ohne Titel, 1982, Acryl auf Emaille, 30,5 x 30,5 cm, Privatsammlung, © The Keith Haring Foundation

Harings heile und unheile Welt

Haring ist, wenn man sein Werk überblickt, weit mehr, als es die unzähligen Merchandising-Artikel von Stickern über T-Shirts bis zu Smartphone-Hüllen vermuten lassen. Nicht nur der Einfluss auf seine eigene Generation ist kaum zu überschätzen: Sein Ideal einer politisch engagierten Kunst lebt weiter, und die Wirkung seiner Bildsprache ist ungebrochen, sein »univers« strahlt aus, entfacht und genährt von einer elementaren sexuellen Energie.

Keith Haring und Andy Warhol haben gemeinsam mit genialer Frechheit jede Regel negiert und jedes Tabu gebrochen, und doch unterscheiden sie sich voneinander: Warhol bejaht die Konsumwelt, in der er lebte, Haring lehnt dies ab. Er stemmt sich als das kleine Menschlein, das er ist, das wir sind, dagegen. In unzähligen Varianten malte er diese, die leiden, geschlagen und gequält, aufgeschlitzt und durchbohrt werden, als Zielscheibe der Macht dienen. Siehe Bild 2. Doch er malte auch unzählige auf der Erde herumkrabbelnde Neugeborene und unzählige Herz-Bilder in den verschiedensten Variationen. Siehe Schlussbild. »Für mich ist Kunst keine Propaganda. Sie sollte die Seele befreien, die Fantasie anregen und die Menschen dazu ermutigen, weiterzudenken. Sie feiert die Menschlichkeit, statt sie zu manipulieren.«

Anmerkungen

  • Weitere Informationen: http://www.kunsthalle-muc.de
  • Zur Retrospektive ist ein schöner, informativer Katalog erschienen: Keith Haring. Gegen den Strich, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München, 256 Seiten, 29 Euro/ 68 Fr.
  • Die Ausstellung bleibt bis 30. August in München und geht dann nach Rotterdam, wo sie vom 19. September bis 7. Februar 2016 zu sehen sein wird.
  • Neben einem informativen Audioguide gibt es in der Ausstellung einen Film von Christina Clausen über den Künstler zu sehen.
  • Ein persönlicher Tipp: SBB und DB bieten täglich Busfahrten von Zürich nach München an, retour zu etwa 40 Franken. Fahrtzeit weniger als vier Stunden.