Klee trifft Picasso

Das künstlerische Hightlight im Zentrum Paul Klee

Mit der Ausstellung «Klee trifft Picasso» krönt das Zentrum Paul Klee sein Fünf-Jahres- Jubiläum. Die beiden gelten als die grosse Antipoden der Kunst des Zwanzigsten Jahrhunderts und gleichzeitig bedeutende Vertreter des gleichen Zeitgeistes, romantisch, mythisch und spirituell der eine, unbändig, mediterran und diesseitig der andere. Die Gegenüberstellung von zwei Oeuvres dieses Formats bietet stets auch Gelegenheit für grundsätzliche Einblicke in das Wesen der Kunst.

Picasso (1881 – 1973) war eine Naturgewalt. Er zog die Zeitgenossen in seinen Bann und forderte sie zu Zustimmung oder Widerspruch heraus. Auch Klee (1879 – 1940) war vom «Spanier» tief beeindruckt, sein Werk geprägt von einer heftigen Auseinandersetzung mit ihm. Die Berner Zentrum stellt Klee und Picasso einander gegenüber, arbeitet die Persönlichkeit jedes Einzelnen heraus und erläutert ihre direkten und indirekten Beziehungen, welche eher mit Distanz und Abwehr als mit Sympathie und Verehrung zu charakterisieren sind.

Die Ausstellung umfasst 180 Werke und dauert bis zum 26. September 2010. Ein reich illustrierter Katalog begleitet sie, ein Audioguide gibt Erklärungen, verschiedene Begleitaktivitäten vertiefen die Schau. Will man sie voll ausschöpfen, ist ein halber Tag zu reservieren.

Bilder sind Antworten auf andere Bilder

 

Von Gotthard Jedlicka, meinem Professor für Kunstgeschichte, habe ich gelernt, dass jedes Bild eine Antwort auf andere Bilder sei. Mit dieser Annahme gehe ich nun an die Werke der beiden heran. Ein Hin- und Herschauen von einem zum andern wirkt immer erhellend, macht Wichtiges sichtbar, auch wenn wir nicht genau wissen, welches Bild welchem antwortet. Vergleiche von Bildern verlangen genaues Hinsehen, neugieriges Nachfragen. – Fürs erste betrachten wir zwei Werke, die etwa gleichzeitig entstanden sind: «Puppe an violetten Bändern» von Paul Klee und «Arlequin assis sur fond rouge» von Pablo Picasso.

 

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Paul Klee: Puppe an violetten Bändern, 1906, Hinterglasmalerei, 24,3 x 16 cm, Zentrum Paul Klee

Klee stellt uns auf einem kleinen Hinterglasbild eine nackte Puppe, an Bändern hängend, vor, vergleichbar einem Zirkusartisten am Vertikaltuch. Doch einer Puppe gemäss geht es hier nicht um Artistik und Eleganz, sondern, aufgehängt wie an den Fäden eines Marionettenspiels, um Abhängigkeit, im wörtlichen Sinn. Bei genauerem Hinsehen ähnelt die Puppe einem kleinen Menschlein oder Äffchen, mit Greiffingern an den Füssen. An der Puppe fallen zuerst die Haare auf, markant gemalt wie die Bänder, und im Gesicht die Augen, die uns frontal anschauen, offen, fragend. Etwas von Aufgehängt-Sein strahlt das Bild aus, etwas vom existentiellen In-die-Welt-geworfen-Sein kann man spüren.

 

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Pablo Picasso: Arlequin assis sur fond rouge, 1905, Aquarell und Tusche auf Karton, 57,2 x 41,2 cm, Museum Berggruen      

Ähnlich im ein Jahr früher entstandenen Aquarell von Picasso: Geworfen- respektive Ausgestellt-Sein verrät auch die Stimmung des Harlekins. In Rot, Rosa und Ocker der leere Hintergrund, in Blau und Rosa der Harlekin, der auf einer waagrechten unbestimmt angedeuteten Fläche sitzt, in einem enganliegenden Gymnastikanzug, mit Halskrause und einer Napoleonmütze auf dem Kopf. Gesicht und Körperhaltung und die Farbigkeit drücken Warten, Träumen, Sinnen aus und etwas von der bekannten Melancholie des traurigen Circusclowns. Mit den Händen stützt er sich ab und hält sich gerade, die Füsse hängen ins Leeren. Er sitzt uns gegenüber, allein, einsam. Warten auf Godot, 47 Jahre vor «Warten auf Godot».

 

Die zerstörten Menschenbilder des Krieges

 

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Pablo Picasso: La femme qui pleure, 1937, Öl auf Leinwand, 55 x 46 cm, Fondation Beyeler

Im Gegensatz zu andern Werken des Kubismus belässt Picasso in seinem Ölbild der weinenden Frau die Figur, eine nach links blickende Frau, im Profil als kompakte Figur, als ein Stück Fleisch. Es  stahlt Aggressivität und Zerstörung aus, die Person, wenn auch nicht in allen Details, ist als solche erkennbar, mit angstverstörter Physiognomie. Aus einer Wunde auf der Wange rollen zwei Tränen herunter, wie Nadel dominieren sie stechend das Gesicht. Der Mund ist geöffnet, die Zähne sind sichtbar. Anstelle des linken Auges, auf der Wangenwunde und auf der Stirne sind Wunden wie Einschläge sichtbar. Von rechts unten nach der Mitte links oben stösst eine Hand ins Bild, spitz wie eine Schere, welche vielleicht die Haare schneidet. Zerstörung, Selbstzerstörung, Menschenleid strahlt das Bild aus, das in Violett, Olivgrün gehalten ist. Keine Farben der Freude, sondern der Trauer und des Schmerzes.

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Paul Klee: Angstausbruch III, 1939, Aquarell auf Grundierung auf Papier auf Karton, 63,5 x 48,1 cm, Zentrum Paul Klee                                                            

Im Gegensatz zum Werk von Picasso wirkt das Aquarell «Angstausbruch» von Klee ruhig, still, verinnerlicht. Es besteht aus zwölf Teilen, die man, wie bei einem Puzzle, wahrscheinlich zu einem Menschen zusammenfügen könnte. Rechts oben am deutlichsten erkennbar ein Gesicht mit aufgerissenen Augen, eine Nase und ein schreiender Mund. Darunter eine Hand. Die andern, mehr oder weniger komplizierten Formen sind auf einer Fläche ausgelegt. Etwas Zerstörerisches ist hier wie im Bild von Picasso erkennbar und dürfte mit dem Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945), der beide betroffen gemacht hat, in Beziehung gesetzt werden können. Zu solchen Werken kann wohl der konservative Kunstkritiker Julius Meier-Graefe seine Aussage gemacht haben: «Man geht nicht mehr ins Irrenhaus, sondern gründet den Kubismus.»

Das Ganze eines Werkes ist im Detail enthalten.

 

 

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 Pablo Picasso : Femme dans un fauteuil, Cannes, 1927, Öl auf Leinwand, 128 x 97,8 cm, Fondation Beyeler


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Paul Klee: Ein Weib für Götter, 1938, Kleisterfarbe und Aquarell auf Papier auf Kanton, 44,3 x 60,5 cm, Fondation Beyeler

Eine zweite Einsicht nahm ich von meinem Lehrer mit: Das Ganze eines Bildes ist stets in all seinen Teilen enthalten und zu finden. Er deckte jeweils ein Gemälde bis auf einen Quadratdezimeter ab und stellte fest, dass in dem kleinen Teil immer noch der ganze Maler enthalten sein, wenn nicht, sei das Bild keine Einheit, sondern Stückwerk. Ähnlich verhält es sich mit «Ein Weib für Götter» von Klee und «Femme dans un fauteuil» von Picasso. Nehmen wir irgendeinen Teil und vergleichen wir die Handschrift des einen mit jener des andern, so stimmt die These. Flockig in Rosa und Weiss, mit aufgelösten Grenzen bei Klee, scharf begrenzt und mit dünnen Linien bei Picasso. In beiden Fällen sind die Inhalte des Werkes zwar zerlegt und zu einer neuen Form zusammengesetzt, ganz im Sinne der Maler im Umfeld des Kubismus.

Eine nicht ganz eindeutige Hommage

 

 

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Paul Klee: Hommage à Picasso, 1914, Ölfarbe auf Karton, 38 x 30 cm, Privatbesitz

Mit seinem kleinen Ölgemälde «Hommage à Picasso» aus dem Jahre 1914 erweist Paul Klee Pablo Picasso seine Referenz. Doch bei genauerem Hinschauen verrät das Werk einen ironischen Hinterhalt. Klee verwendet meist hochstehende Rechtecke, wie er sie auch in andern Flickenteppichen verwendete. Aber nie Quadrate, Rechtecke und Kreise, wie Picasso sie in seiner Phase des analytischen Kubismus benützt hat. Picasso teilt normalerweise mit seinen Farb-Form-Partikeln eine Ganzheit in Einzelelemente; Klee hingegen bedeckt hier einen Teppich mit dekorativen Farb-Form-Partikeln. Hier wird kein Ganzes in seine Teile zerlegt, sondern ein Ganzes aus Teilen zusammengefügt. Klee war nie der Ideologie der Kubisten gefolgt und ihr verfallen. Er blieb bei sich und bei seinen Träumen, eben Farbträumen, erwachsen aus seinem mythischen Grund.

 

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