Naive Schweiz Swisse Brut

Das Museum im Lagerhaus St. Gallen lässt mit seiner aktuellen Ausstellung eintauchen in die fantastische Welt der Naiven Kunst in der Schweiz: in ein Reich ausserhalb der Norm.

Krusi.jpgHans Krüsi

Die Stiftung für schweizerische Naive Kunst* und Art Brut* und das Museum im Lagerhaus feiern ihr 25-Jahr-Jubiläum. Die Ausstellung zu diesem Anlass skizziert Schweizer Positionen der Naiven Kunst und der Art Brut. Sie knüpft an das 1991 von Harald Szeemann gesetzte Label «Visionäre Schweiz» an, welches die Museumsleiterin Monika Jagfeld mit ihrem Label «Aussenseiter-Kunst»*, respektive «Naive Kunst in der Schweiz», jedoch neue fokussiert. (* Definitionen am Schluss)

Beim Gang durch die Ausstellung …

Wenn ich durch die Ausstellung flaniere und mich von einem Bild zum andern führen und verführen lasse, weht mir ein Wind, ein Sturm der Befreiung entgegen, den ich geniesse, der mir gut tut. Frei von Regeln, Normen, Gesetzen, Konventionen, frei zum Träumen, Ausflippen, aus sich Herausfahren, Augen und Ohren Öffnen und dabei die bekannte Welt anders wahrzunehmen.

Adolf Wolfli.jpgAdolf Wölfli

Ich betrete neue Räume, erfüllt von Farben, Formen, Texten, Tönen, welche eine neue Welt erschaffen: aufbegehrend und aufbäumend. Einzelne Werke erlebe ich wie archaische Vulkaneruptionen, andere wie Alpträume, wieder andere wie Orgien. Doch schon bald spüre ich, dass diese äusseren Welten in meinem Inneren Entsprechungen finden, eigene Klänge, Bilder, Gefühle, Gedanken wecken, die ich längst vergessen habe oder die verschüttet sind – und es kommt da und dort zu wunderbaren Begegnungen.

… einige Begegnungen auf dem Weg

Die Ausstellung skizziert eine raumfüllende Landkarte künstlerischer Positionen der Art Brut und der Naiven Kunst in der Schweiz. Im Zentrum stehen deren Ikonen: die bekannten Adolf Dietrich, Adolf Wölfli (1864 – 1930, ganz oben) und Hans Krüsi (1920 – 1995, oben) als historische Klammern, ergänzt mit vier Dutzend weniger bekannten, doch nicht weniger interessanten Persönlichkeiten.

AloiseCorbaz.jpgAloïse Corbaz

Es sind dies beispielsweise Aloïse Corbaz (1886 – 1964, oben) und Louis Soutter, die international zu den prominentesten Vertretern zählen. Sowie Heinrich Anton Müller mit seinen mannshohen, beweglichen Räderwerken aus Ästen, Draht und Lumpen, gebaut in der Heil- und Pflegeanstalt Münsingen: Werke, die Jean Tinguely wohl zu seinen ersten «méta-mechanischen» Konstruktionen inspiriert haben.

idabuchmann.jpgIda Buchmann

Historische Zeichnungen aus dem Hôpital psychiatrique cantonal de Marsens stehen neben wilden Malereien und frechen Texten von Ida Buchmann (1911 – 2001, oben) aus den 1980er Jahren. Diese sind in einer andern Anstalt, welche die von den Normen abweichenden Menschen beherbergt, in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden, entstanden.

Werke wie eine fragile Figur aus Ton und Brot des «Gefangenen von Basel», Giuseppe Giavarini, das unbändige Werk von Linda Naeff (*1926, unten) oder die naiv-suggestiven Bilder der afrikanischstämmigen Pauline Ingold erschliessen weitere Felder dieser Kunst. Der Basler «Stadtgärtner» Felix Brenner repräsentiert das aktuelle Kunstschaffen der Outsider Art der Schweiz.

lindanaeff.jpg Linda Naeff

Mit grosser Intensität geschaffene kosmische Visionen offenbart der Stickteppich von Emma Widmer-Gass und kontrastiert mit den gezeichneten autobiographischen Erlebnissen Pietro Angelozzis (*1925, unten). Fritz Soltermann baut fantastische Architekturen, während die Künstlerin Jacqueline Oyex unter spiritueller Eingebung Bilder direkt auf die Kupferplatte setzt.

Werke wie eine fragile Figur aus Ton und Brot des «Gefangenen von Basel», Giuseppe Giavarini, das unbändige Werk von Linda Naeff (*1926, ganz unten) oder die naiv-suggestiven Bilder der afrikanischstämmigen Pauline Ingold erschliessen weitere Felder dieser Kunst. Der Basler «Stadtgärtner» Felix Brenner repräsentiert das aktuelle Kunstschaffen der Outsider Art der Schweiz.

pietroangelozzi.jpg Giuseppe Giavarini

Felix Anton Brander (1846 – 1924, unten), bekannt für seine sorgfältig gezeichneten Toggenburger Veduten, lebte viele Jahre im Armenhaus Ebnat, wo er mit wenigen Strichen seine Mitbewohner festhielt. Daneben gibt es Werke Naiver Maler, die Sujets der klassischen Bauernmalerei aufgreifen, jedoch die Berglandschaften und Alpfahrten frei und nach andern Regeln als denjenigen der Natur gestalten.

brander.jpg Felix Anton Brander

Weitere Informationen

Anstelle eines Katalogs bietet die Website des Museums ausgezeichnete Video-Statements der Direktorin: www.museumimlagerhaus.ch. Die Ausstellung eignet sich gut für Führungen, auch für regionale Seniorweb-Gruppen.

Hier die oben versprochenen Definitionen (*): Art Brut (französisch für «unverbildete, rohe Kunst») ist ein Sammelbegriff fürautodidaktische Kunst von Laien, Kindern und Menschen mit geistigen Behinderungen. Sie ist weder eine Kunstrichtung, noch eine Stilbezeichnung, sondern beschreibt eine Kunst jenseits etablierter Kunstformen und -strömungen. Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist dafür der Begriff Outsider Art, also Aussenseiter-Kunst, gebräuchlich. Naive Kunst ist eine Sammelbezeichnung für künstlerische Arbeiten vorwiegend in der Malerei (auch Laienmalerei genannt), mit betont einfacher, unbekümmerter, fantasievoller Wahl der Bildmotive. Die Art der Darstellung ist oft ebenfalls einfach, beispielsweise ohne Schattenwürfe, mit vereinfachter Darstellung der Lebewesen und Gegenstände. Die Werke stellen oft die persönlichen Wunschträume der Urheber dar.