Pipilotti Rist übes die Kunst des Handweks

Die Videokünstlerin gastiert in der Villa Langmatt in Baden

Zum 20-jährigen Jubiläum hat das Museum Langmatt in Baden Pipilotti Rist als Gastkünstlerin eingeladen. In der von Karl Moser um 1900 erbauten Villa lässt die Videokünstlerin die Dienstboten der damaligen grossbürgerlichen Herrschaft künstlerisch auferstehen und stellt ihnen ihre eigene poetische Wunderwelt gegenüber. Moderne Gegenwelten zu den ausgestellten Impressionisten und zum Leben der Industriellen- und Sammlerfamilie Sidney und Jenny Brown-Sulzer.

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Eine Hommage an die damaligen Dienstboten

In ihren Installationen holte sie an die Öffentlichkeit, was die offizielle Geschichtsschreibung meist übergeht: das Personal. So wird die von ihr verwandelte Langmatt zu «einer Hommage an jene Menschen, die nicht verewigt sind». Dabei verwischt Rist die Grenzen zwischen Handwerk und Kunst und vereint beides zu einer faszinierenden Geschichtsschau. Gleich beim Eintritt schickt sie ihre Gäste in die mit Folien abgedunkelten und verfremdeten, von Videolichtspielen erhellten und mit geheimnisvollen Klängen hintergründig erfüllten Räume auf Entdeckungsreise: zu Renoir, Monet, Degas, Cézanne, Pissarro und anderen Künstler des ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts. Die Besucher werden eingesogen in die Licht- und Toninstallationen, welche die impressionistischen Bilder überlagern. Wie von Geisterhand geführt, gleiten sie hinüber in eine Welt des Damals und zugleich eine Welt des Heute, jene der Künstlerin.

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Auf Tauchgang in die Vergangenheit – und Zukunft

Eine venezianische Landschaft, von denen es im ersten Raum mehrere gibt, wird durch die aus einer versteckten Quelle projizierten Bilder in ein bewegtes Bild verwandelt: Animationen von Händen, die nähen, putzen, malen, zeichnen und Kinder hüten. Der Überzug eines kostbar verzierten Stuhles in einem nächsten Raum erzählt vom Alltag der «unsichtbaren» Bediensteten. Im vornehmen Esszimmer erblühen Blumen, rennen Wildscheine und rollen Äpfeln über den Tisch, wühlen Hände im Erdreich, und alles löst sich in kaleidoskopischen Fantasiebildern auf. Im ehemaligen Büro des Hausherrn schreibt eine Hand auf einen Buchdeckel ihren Einkaufszettel. Hände, die etwas tun, und Hände, die einfach sind, Hände, auf die existentiellen Grundbegriffe Tun und Sein reduziert. Im grossen Musiksaal werden die Eintretenden dann wie in einem Raumschiff entführt: mit sphärischen Musikklängen und orgiastischem Farbenrausch, in mikro- und makrobiologischer Formenvielfalt und begleitet von Frauenkörpern in natürlicher Sinnlichkeit und, wie oft bei Pipilotti Rist, auch einer Menstruationsszene.

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«Schliessen Sie mir das Kleid, danke», der Ausstellungstitel

Orte wie die Villa Langmatt «sind für mich immer auch ein verkleinertes Abbild der Welt», meint die Künstlerin. Nicht der «offiziellen» Welt, sondern der «andern», der Welt der Bediensteten wie Gouvernanten, Hebammen, Putzfrauen, Schneiderinnen, Gärtner und Sekretären. Vor allem zeigt sie Hände, die arbeiten, sich bewegen, sich vereinigen, verschmelzen und immer wieder in neuer Form erscheinen. Hände, die Hand-Werke schaffen. Eine Hommage an das Handwerk also: «Es geht mir in dieser Ausstellung um die Frage des Wertes der manuellen Tätigkeit.» – Nach dem Besuch der Langmatt-Installationen wünschte ich mir, dass Pipilotti Rist doch bei ihrem Handwerk bleibe, das sie grossartig beherrscht, und den Kinofilm (nach ihrem fragwürdigen «Pepperminta») jenen überlasse, die dieses Metier beherrschen.

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Der nackte Körper als «fundamentales und philosophisches Bild»

Was in den Räumen und bei uns abläuft, wird in Farben und Formen reiner Schönheit transzendiert. Und immer wieder sind es weibliche Hände, die in den Bildfolgen auftauchen. Denn Körper und Körperlichkeit spielen in ihrem ganzen Oeuvre eine besondere Rolle. Sie schafft weibliche Gegenwelten zu den in der Öffentlichkeit dominierenden Männerwelten. In grosser Natürlichkeit zeigt sie nackte weibliche Körper, anders als es die Männer in der Werbung und in der Pornoindustrie tun. «Grundsätzlich forsche ich gerne mit Bildern, die den nackten, philosophischen Menschen zeigen … Der nackte Körper ist ein fundamentales und philosophisches Bild», meint sie und stellt damit den Primat des Geistes vor dem Körper, den vor allem Männer propagieren, in Frage. Sie hat eine andere Überzeugung. «Ich glaube an die Erkenntnis durch Kontemplation … Darin besteht mein Service, dies ist meine Pflicht gegenüber der Gesellschaft.»

Courtesy aller Abbildungen: Pipilotti Rist und Hauser & Wirth

www.langmatt.ch

www.pipilottirist.net