Räuber
Unterschiedlicher können Söhne nicht aufwachsen. Der vom Graf Maximilian Moor bevorzugte ältere Sohn Karl setzt sich über die väterlichen Pläne hinweg und geht eigene Wege. In den jüngeren Franz hat er keine Erwartungen gesetzt, dessen Stunde aber kommt nach dem Auszug seines Bruders von zu Hause. Dann erobert er sich eine neue Position in der Familie, versperrt mit allen Mitteln Karl den Weg zurück in den familiären Schoss und zur geliebten Amalia. Der Erstgeborene bricht mit seiner Herkunft und begegnet dem Freiheitshelden, Brandschatzer und Räuber Spiegelberg. Gemeinsam ziehen sie in den im Wald hinaus, wo sie ihr rebellisches Unwesen treiben. Ein brutaler Kampf um Macht, Anerkennung, Selbstbestimmung und Liebe, der alle vier betrifft, beginnt, eskaliert und endet tragisch.
«Home Sweet Home»
«Dass alles so glücklich ist. Durch den Geist des Friedens. Die ganze Welt eine Familie» und Ähnliches träumt Amalia, die Geliebte von Franz, am Anfang des Stückes. Sie verkörpert den übersteigerten Idealismus, der damals und heute nötig war und ist, dass als Reaktion darauf das Stück auf die Katastrophe zusteuert und es gesellschaftlich damals zum Sturm und Drang kommen musste. In sanften und schwärmerischen Einwürfen wie «Ewig sein, ewig mein!» und ihren Liebesschwüren schafft Amelia den inneren Raum des Anfangs des Stücks. Seine visuelle Entsprechung erhält er in dem über den Bühnenhintergrund silbrig glänzenden Spruch «Home Sweet Home» und in den von Amalia hingekritzelten und mit Herzchen umrahmten Namen der Liebenden.
Brencis Udris als der Erstgeborene Karl, Florian Steiner als Franz
Doch bald schon verdüstert sich die Anfangsstimmung und stürzt die heile Welt des Grafen Moor in ein Chaos, nachdem Franz einmal mehr gefragt hat: «Warum hat mein Vater mich gemacht? Warum bin ich nicht der Erste aus Mutterleib gekrochen?» Die tödliche Rivalität der Brüder ist im Theatersaal förmlich mit den Händen zu greifen. Die Fragen nach seinem Ursprung und seiner Rolle in der Familie lösen auch bei Karl Verteidigungsstrategien aus. Franz unternimmt perfide Machenschaften gegen Karl, den Vater und Amalia. Diabolisch etwa mit drei Briefen, die von einem Korrespondenten aus Leipzig dem Vater geschickt worden sind, die Franz geöffnet und böswillig verändert vorgelesen hat. Dies verunsichert und schockiert Amalia und treibt den Vater, der nicht sichtbar ist, dessen Atmen und Röcheln wir nur hören, in den Tod.
Anna-Katharina Müller als Amalia mit Florian Steiner
«Morden, stehlen, huren, balgen»
Als Motor zum Handeln tritt Spiegelberg auf den Plan. Karl freundet sich mit ihm an, und beide schaukeln sich gegenseitig hoch zu einem Orkan des Aufbegehrens, der wilden Freiheitsliebe, des glühenden Hasses und der rasenden Lust auf Gewalt. Genau dem Motto von Sturm und Drang entsprechend, das absolute Auflehnung gegen jede Autorität und Tradition verlangt. Ähnlich wie im «Götz von Berlichingen» (1773) von Goethe, welcher Schiller für die «Die Räuber» (1781) animiert hat. Und wenn man gegen Ende des Schauspiels an den «Zauberlehrling» von Goethe (1797) denkt, so liegt man nicht falsch. Beide Werke handeln von der sich verselbständigenden Dynamik, nach welcher der Gang der Dinge nicht mehr aufzuhalten ist. Gemeinsam singen und grölen Spielberg und Karl, und der anfänglich brave und angepasste, jetzt aber wie ein verwundetes Tier leidende Karl wird zum Rasenden. Mit ihren Gesängen und ihrem Palaver klettern die beiden durch die Sitzreihen des Publikums und tragen ihre Botschaft in die Welt hinaus.
«Morden, stehlen, huren, balgen,
heisst bei uns die Zeit zerstreun,
morgen hängen wir am Galgen,
lasst uns heute lustig sein.
Ein freies Leben führen wir,
ein Leben voller Wonne,
der Wald ist unser Nachtquartier,
bei Sturm und Wind hantieren wir,
der Mond ist unsere Sonne.»
Das anfängliche Rivalen-Drama mutiert zur Gewaltorgie, bis schliesslich selbst die stets hoffende und liebende Amalia konsterniert feststellt: «Es wird alles zu Grund gehen.» Überleben wird nur Karl, der Erstgeborene, der jetzt keinen Rivalen mehr hat. Die andern sind am Schluss tot. Die Radikalität dieses Prozesses zeigt schon das Zitat des antiken Arztes Hippokrates, das Schiller dem Stück vorangestellt hat, auf: «Was Medikamente nicht heilen, heilt das Messer; was das Messer nicht heilt, heilt das Feuer; was aber das Feuer nicht heilt, das muss als unheilbar betrachtet werden.» Die Selbsttötungen werden in einer abstrahierenden Weise gezeigt: Franz, Spiegelberg und Amalia zerdrücken, als Zeichen für den Suizid, einen Plastikbeutel mit Theaterblut und sind dann «tot», treten jedoch nicht ab, sondern bleiben als Tote weiter vor dem Publikum stehen. Die Präsenz aller vier Personen während des ganzen Abends ist eine kluge Idee, das ursprüngliche Stück mit den zahlreichen Auftritten in ein einziges, in sich geschlossenes Stück zu verdichten. Auch schon am Anfang waren alle nebeneinander auf der Bühne (Titelbild), obwohl jeweils nur eine oder zwei Personen spielend in die Handlung eingegriffen haben.
Das Original mit seinen fünf Akten und 15 Szenen wurde vom Regisseur Daniel Kuschewski in 21 Szenen umgebaut und umgeschrieben. Er hat die 150 Seiten der Reclam-Ausgabe des Schauspiels «Die Räuber» von Friedrich Schiller auf 24 A4-Seiten und 70 Minuten gekürzt und mit «Räuber von Schiller» betitelt. Und dargestellt wird die Geschichte von vier, statt von mehr als 17 Personen. Damit ist es gelungen, das ausschweifende Lese-Drama in ein modernes, heutigen Rezeptionsgewohnheiten angepasstes Schau-Spiel zu verwandeln.
Brencis Udris als Karl mit Fabian Müller als Spiegelberg
Gelungene Teamleistung
Anna-Katharina Müller als Amalia, Fabian Müller als Spiegelberg, Florian Steiner als Franz und Brencis Udris als Karl stehen und bewegen sich nicht oben auf einer Bühne, sondern unten auf dem Fussboden, sozusagen zu Füssen des Publikums auf den aufsteigenden Sitzreihen. Fabian Müller und Brencis Udris klettern gelegentlich durch die Reihen der Zuschauenden, singend und brüllend. Die Inszenierung wirkt glaubhaft und erlebbar als ein Schiller-Stoff, als ein Dokument des Sturm und Drang und gleichzeitig als ein Mahnmal für unsere Zeit. Dem Ensemble mit Daniel Kuschewski als Regisseur, Thomas Unthan, verantwortlich für Bühne und Kostüme, Tom Tafel für die Musik ist eine Umsetzung gelungen, die das Wesen der Epoche als den teuflischen Mechanismus eines sich verselbständigenden Handelns und als Menetekel für die heutige Zeit erlebbar macht. Das Publikum spendete bei der Premiere dem ganzen Ensemble den verdienten warmen Applaus.
Fotos: Raphael Hadad
Aufführungen in der Matchbox des Schiffsbaus noch bis 21. März 2014.
Informationen www.schauspielhaus.ch