Renate von Mangoldt - Zwiesprache mit Autoren(-Fotos)

«Autoren. Fotografien 1963 – 2012» heisst ein Bildband mit 416 Schwarzweiss-Fotografien von Autorinnen und Autoren, aufgenommen von Renate von Mangoldt, und zwei Textbeiträgen.

Renate von Mangoldt wuchs in Erlangen auf und besuchte, angeregt durch den Bildhauer und Fotografen Helmut Lederer, der ihr Vorbild war, nach dem Abitur die Bayerische Staatslehranstalt für Fotografie in München. Zunächst galt ihr künstlerisches Interesse Steinen, Dolmen und Menhiren sowie Schwarzweissstrukturen. Als sie 1963 den Schriftsteller Walter Höllerer kennenlernte, folgte sie ihm in sein neu gegründetes Literarisches Colloquium nach Berlin. Dort baute sie die Arbeit des LCB und ein Fotoarchiv auf, das sie bis heute betreut. Der Literaturwissenschaftler Hans-Joachim Neubauer schrieb über sie: «Nur wenige Fotografinnen oder Fotografen haben das Bild – und damit das Gedächtnis – der jüngeren deutschen Literatur seit den 60er Jahren so geprägt wie Renate von Mangoldt. Sie gehört zu den grossen Chronistinnen ihrer Generation. Wer an Autoren wie Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Uwe Johnson, Heiner Müller oder Günter Grass denkt, hat ihre Bilder vor Augen.» Sie war von 1965 bis zu seinem Tod mit Walter Höllerer verheiratet.

Eingeleitet wird der schön gestaltete Band mit dem Gespräch «Eine Porträtierte fragt», das Felicitas Hoppe mit Renate von Mangoldt geführt hat, und abgerundet mit «Erinnerungen» der Fotografin sowie einem Index. Die 416 Schwarzweiss-Fotos dazwischen laden zur Zwiesprache ein mit ihnen und den abgebildeten Autorinnen und Autoren, welche herausfordert, erfreut, nachdenklich macht, lächeln lässt und Erinnerungen weckt an die abgebildeten Männer und Frauen respektive ihre Werke.

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Judith Hermann, Literarisches Colloquium Berlin, September 2001

Völlig zufällig habe ich beim Durchblättern des Buchs Fotografien ausgewählt und dazu kurze Anmerkungen gemacht. Da solche jedoch bei jedem Betrachter und jeder Betrachterin anders aussehen, habe ich die Namen der dargestellten Personen weggelassen. Ich habe lediglich festgehalten, was sie in mir ausgelöst haben. Was jetzt vorliegt, ist ein Palaver (nach Duden «endloses Gerede und Verhandeln», von Max Frisch in «Jonas und sein Veteran» mit neuer Bedeutung versehen), das ein Nachdenken, ein Sinnieren auslösen kann, zwecklos, doch sinnvoll.

Das grosse Palaver und private Sinnieren

Ich hatte den Band mehrmals durchgeblättert und wurde von einem ungewohnten Glück erfüllt, denn ich hatte das Gefühl, die Frauen und Männer, die Renate von Mangoldt fotografiert hatte, seien mir dabei real begegnet. Sie war vor mir, neben mir, bei mir. Ich begrüsste sie, sie grüssten zurück, fragten mich etwas, antworteten mir. Zwei oder drei sprachen miteinander, hörten einander zu, kritisch, zustimmend oder abwartend, begegneten sich, und ich war daneben. Die eine oder der andere stellte sich vor: Da bin ich, du hast mich angefragt, ich bin gern gekommen. Oder: Muss das sein, lieber nicht. Sie sprechen zur Fotografin, plaudern mit ihr. Andere sind von ihr weggewandt. Da lachen sie noch, die heute nicht mehr leben. Andere schauen mich an, ich fühle mich gut, kann etwas, ich werde dich noch überzeugen. Ein weiterer: Ich hoffe, du machst aus dem Foto ein Denkmal für mich. Eine andere: Ich mag dich ganz gut, doch möchte ich jetzt weiter. Ich schliesse die Augen und denke, mach mit dem Bild, was du willst, das interessiert mich nicht. Stör mich bitte nicht, ich bin beschäftigt, hänge einem Problem nach. Und Verschiedene: Ich spreche gerade, muss was loswerden, du kannst zuhören. Ein anderer: So, da bin ich, von weit hergereist, ich grüsse dich, bin froh, da zu sein.

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Walter Höllerer mit Sohn Florian, Max Frisch, Berzona, September 1968

Viele Fotos bilden nicht nur eine Person, sondern ein Stück Umwelt ab, das oft zu ihrer Innenwelt gehört. Die ganze Umgebung, der Raum, der Hintergrund, der Vordergrund ist ein Teil vom Porträtierten. Einer lehnt sich an eine Mauer, eine andere an den Hauseingang. Wieder andere wohnen in ihrem Chaos aus Büchern, Zeitungen oder Pflanzen, erst so sind sie ganz da. Der Garten, das Gebäude, der Tisch, der Stuhl, all das gehört zum Autor oder zur Autorin. Ein anderer hat sich müde in den Bürostuhl fallen lassen, muss sich erholen. Eine andere reicht jemandem ausserhalb des Bildrahmens ein Schreibwerkzeug und lacht ihn an, die Fotografin wird nicht beachtet. Oder eine Frau steht vor dem Spiegel, der ohne ihr Wissen eine zweite Seite von ihr zeigt, welche sie selbst nicht sieht, dennoch zu ihr gehört.

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Ingeborg Bachmann, Rom, November 1969

So und ähnlich geht es jedem Betrachter, jeder Betrachterin, die diesen Fotoband durchblättert. Renate von Mangoldt meint: «Als Begleiterin und als Sammlerin sehe ich mich, nicht als Gestalterin eines künstlerischen Willens und einer künstlerischen Vorstellung. Natürlich will ich gute Fotos machen, aber ich passe mich den Gegebenheiten an, ich bin kompromissbereit, ich erfinde nicht, ich schaue und suche, um eine Form zu finden, die ich angemessen finde – für meine Gegenüber und für mich.»

Zusätzlich zum Einblick in die neuere Literaturszene, vor allem die deutsche, macht mir die «Lektüre» der Fotos bewusst, dass es in der Fotografie keine festen Regeln gibt, an die man sich halten muss. Es geht bloss darum, so scheint mir, dass zwischen der fotografierenden und der fotografierten Person etwas abläuft, ein offener oder versteckter Dialog stattfindet. Und der ist wohl zwischen jeder fotografierenden und jeder fotografierten Person anders. So fand ich in dieser Vielzahl von Bildern keine, die sich gleichen, weil wohl auch jede Begegnung anders verlaufen ist. Im Fotografieren und mit den Fotografien wird mir vorgemacht, was Zusammentreffen, was Dialoge, was Gespräche, was Begegnungen sind: das Wichtigste, das Tiefste überhaupt, was es nach meiner Meinung gibt. Probehandeln fürs Leben?

Renate von Mangoldt: Autoren. Fotografien 1963 – 2012, Steidl-Verlag, Göttingen 2013, 543 Seiten

Titelbild: Renate von Mangoldt © Andreas Burkhardt