Tausendsassa Dieter Meiter

Das Aargauer Kunsthaus zeigt zum ersten Mal in der Schweiz eine repräsentative Ausstellung des Konzept- und Performancekünstlers, Filmemachers, Musikers, Essayisten und Poeten Dieter Meier.

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«Ich bin einen leidenschaftlichen Schauspieler - ohne Engagement.»

Dieter Meier, 1945 in Zürich geboren, ist ein Multitalent: Konzept- und Performancekünstler, Zeichner, Bildhauer, Filmemacher, Musiker, Essayist und Poet in einer Person. Mit «Dieter Meier. In Conversation» widmet das Aargauer Kunsthaus dem vielseitigen Kosmopoliten eine umfassende Schau und eröffnet mit ihm einen Dialog. Für diese Ausstellung hat die Museumsdirektorin Madeleine Schuppli Archive, vor allem beim Künstler daheim, durchforstet und dabei Verschollenes ans Tageslicht gebracht. Die Ausstellung spannt den Bogen von den Arbeiten der 1960er-Jahre bis in die Gegenwart und präsentiert Dieter Meier in der ganzen Breite seines Schaffens: dem landläufig bekannten, aber auch dem kaum bekannten.

Performances zur Zeit und vor der Zeit

Die Ausstellung bietet Einblicke in die frühesten konzeptuellen Performances des Künstlers. Dieter Meier trat als Unbekannter 1969 in der Schweiz erstmals an die Öffentlichkeit, als er während fünf Tagen jeweils vormittags vor dem Kunsthaus einen Haufen gleich grosser Metallstücke zu je 1‘000 Stücken in Säcke abfüllte. Wer hat, so frage ich angesichts der Fotos dieser Aktion, nicht schon gewettert über stumpfsinnige Arbeiten, sie dann aber gleichwohl ausgeführt? – 1970 liess er Passanten auf dem Helvetiaplatz ein markiertes Strassenstück begehen und händigte ihnen am Schluss eine «Gang-Bestätigung» aus. Absurd? Selbstverständlich! Doch wer kennt sie nicht, die offiziellen Bestätigungen der Bürokratie für absolute Selbstverständlichkeiten? – Augenzwinkern und Kopfschütteln auf die gleichen administrativen Blüten löste 1971 «Two Words» aus: Der Künstler kaufte Passanten vor einem Museum in New York ein «Yes» oder ein «No» ab. Indem sie eingeladen wurden, ja oder nein in ein Mikrofon zu sprechen, wurde das Resultat mit einem «Verkaufsvertrag» besiegelt und vom Künstler mit einem Dollar belohnt. Ging es uns, Hand aufs Herz, nicht schon ähnlich bei Abstimmungen, bei welchen wir weder bei Ja, noch bei Nein wussten, worum es eigentlich ging, und dann gleichwohl abstimmten?

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Dieter Meier, Gang-Bestätigung, 1970, Performance, 6. – 10. 7. 1970, Helvetiaplatz Zürich

Von der Fotografie zum Film und Video

Ähnlich wie in seinen Performances ging Meier mithilfe von Fotografie, Film und später Video mit unspektakulären Situationen, Orten und Objekten um. Etwa in «Pictures within 5 minutes», mit denen er auf einer Bank sitzende Menschen mit der Kamera festhielt, wie sie kamen und gingen und die Gruppe sich ständig veränderte. Löst solches Sich-Verändern von Beständigem nicht auch bei uns einen sonderbaren Reiz aus? Mit solchen wider die Erwartung und oft auch wider die Vernunft inszenierten und organisierten Ereignissen und/oder deren Abbilder steht er der Fluxusbewegung und der Aktionskunst jener Jahre nah. Konzepte mit subversiven Gesten schuf Meier. Es geht ihm um das eigentlich «Unnütze», womit er die gängigen Muster des Kunstbetriebes, aber auch gesellschaftliche Wertvorstellungen kritisch und gleichzeitig humorvoll unterwanderte.

In seinen Film- und Videoarbeiten fühlt er sich weder den logischen, noch den psychologischen Handlungsabläufen, weder den klassischen Erzähldramaturgien, noch den Lehrinhalten der Kunstschulen verpflichtet. Seine Projekte sind «aus dem Chaos geboren». So etwa Filme wie «My grandparents» und «Portrait H. Lachmayer», beide 1972 entstanden, in welchen er ganz gewöhnliche Filmaufnahmen in kurze Stücklein zerschneidet und neu montiert, mit einer Wirkung vergleichbar jener von Werken des Kubismus. Gleichzeitig führt er den Manipulationsprozess jeder Medienkommunikation ad absurdum. Das liebste Objekt seines Schaffens ist und bleibt er selbst. Als «einen leidenschaftlichen Schauspieler ohne Engagement» bezeichnet er sich. Beispielhaft in der Fotoreihe «48 Personen» von 1974, in der er sich in jedem Foto in einem andern Outfit porträtiert.

Musik und Videoclips für «Yello»

Seit 1967 werden seine Filme an Filmfestivals gezeigt, ab 1970 folgen Kunstausstellungen im In- und Ausland, 1972 nahm er an der documenta 5 in Kassel teil. 1979 gründet er mit Boris Blank als Musiker und sich selbst als Sänger die legendäre Elektropopgruppe «Yello», die mit innovativem Sound und experimentellen Videoclips bald internationales Renommee erlangte und in die Geschichte der modernen Musik einging. In Aarau werden einige der berühmtesten Clips aus der Zeit von 1981 bis 2009 gezeigt.

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Yello, Tied up, 1988, Video, 3' 30'', zum Yello-Album Flag

Von Deutungen und Bedeutungen

Ein für sein Schaffen besonders aufschlussreiches Werk ist für mich «Behind Flowers» von 1976, in welchem er frontal zu uns eine junge Frau am Tisch sitzend fotografierte. Diese nimmt verschiedene Dinge in die Hand, zeigt sie, deutet damit auf sie hin, holt sie her oder wirft sie weg, suggeriert Bedeutungen. Mit den Fotografien dieser Inszenierungen stellt Dieter Meier mit einer ironischen Radikalität das Deuten und Bedeuten von Kunst infrage. Besonders witzig erweist sich im Nachhinein die Wahl der Protagonistin, es ist Bice Curiger, die heute für viele als «Oberpriesterin der modernen Kunstkritik» gefeiert wird. «Dieter Meier. In Conversation» bietet in der Theorie und in der Praxis, in den Werken und im Diskurs so etwas wie eine frühe «Summa» eines Tausendsassas der aktuellen Schweizer Kunst, vergleichbar mit Jean Tinguely im letzten Jahrhundert.

Dieter Meier, Behind Flowers, 1976, Fotografie

Die Ausstellung «Dieter Meier. In Conversation» bietet ein ausserordentlich umfangreiches Zusatzangebot, inklusive Volkshochschul-Ringvorlesung, mehrmals mit Dieter Meier als Gesprächspartner und als Musiker. Siehe dafür: www.aargauerkunsthaus.ch.