Theater HORA, das andere Theater

Seit 25 Jahren gibt es das Theater HORA: von Michael Elber in Zürich gegründet, heute national und international angekommen und anerkannt als innovativ, bewegend und herausfordernd.

hora titel

«Disabled Theater» mit Julia Häusermann, 2012

«Da sah ich plötzlich den Nachwuchs, die Zukunft: ganz selbstvergessen, von anarchischem Humor, stiller Aggressivität und so unendlich traurig. Von immenser Kraft und beängstigender Zartheit, ganz weich und auch wie ein Muskel. Jede Bühnensekunde beschäftigt: mit ihrem Spiel, mit ihrer Wut, mit sich, mit der Liebe zu dem Riesen, der neben ihr sitzt (siehe Titelbild). Existenz im Augenblick. Schwermut und Übermut zugleich. Und diese Verlorenheit. Keine Chance, ihr auf irgendeine Technik, eine gesetzte Pointe zu kommen. Kein virtuoses Auftrumpfen und vor allem kein Buhlen um die Aufmerksamkeit und Liebe des Publikums». Soviel aus der Laudatio bei der Übergabe des Alfred-Kerr-Darstellerpreises 2013 an Julia Häusermann vom Theater HORA für ihre Darstellung in «Disabled Theater» von Jérôme Bel, gehalten von Thomas Thieme. Die Worte galten der Schauspielerin, charakterisieren aber gleicherweise das Theater, in dem Julia seit 2010 spielt.

hora scheitern

«Die Lust am Scheitern», 2000

Das Porträt als Buch

Nun gibt es ein drei Kilo schweres, 672 Seiten dickes, mit wunderbaren Fotos illustriertes, exakt recherchiertes, informatives, buntes und spannendes Buch über dieses kulturpolitische Werk: Theater HORA, ein Lese-, Bilder-, Arbeits-, Erinnerungs- und Nachschlagebuch. Der schön und klug gestaltete Band stellt die Schauspielerinnen und Schauspieler vor, enthält ihr eigenes Theaterlexikon, beschreibt die 33 HORA-Produktionen von 1993 bis 2013, ergänzt durch Gespräche über Idee und Handwerk der Truppe. Weiter wird die HORA‘BAND vorgestellt, halten Polaroids eine 24-Stunden Version von «Die Lust am Scheitern» fest, gefolgt von einer Chronik der Aktivitäten seit Frühling 1989 und abgerundet mit einer Presseschau.

hora faust

«Faust I und II», 2008

Das ist Kunst! Eine Betreuerin eines Wohnheimes in Zürich fragte 1989 den Regisseur und Theaterpädagogen Michael Elber, ob er mit den Frauen mit geistiger Behinderung, die dort leben, einen Theaterkurs machen wolle. Die Idee, mit «speziellen Leuten» Theater zu spielen, gefiel ihm. Als Abschluss gab es eine Aufführung mit dem Titel «Hinter den sieben Bergen». Doch damit war er nicht zufrieden. Etwas später sah er in Zürich, vom Theater Thikwa aus Berlin, einer Gruppe, die mit Menschen mit Behinderung arbeitet, ein Stück, das ihm extrem gefiel: «Das ist Kunst!» Dieses Theaterstück hat sein Leben und das Leben vieler anderer Menschen verändert.

hora quasimodo

Quasimodo genitit, 2009

Auf Youtube surfen!

Die Texte und Fotos des Bandes reissen einen wie eine Sturmflut mit. Und wenn man das Werk weglegt, taucht man anders auf, als man in es eingetaucht ist: verzaubert, bewusstseinserweitert, hat erfahren, dass es jenseits des klassischen und avantgardistischen Theaters noch anderes gibt. Dort werden keine Botschaften von Autoren auf der Bühne nachgespielt. Dort explodieren Menschen, Menschen mit geistigen Behinderungen. Und wir stehen ihnen gegenüber, face to face: ihrem Leben, ihren Freuden und Leiden, ihrer Wut und Verzweiflung, ihrer Liebe, ihrem Charme, ihrer Sehnsucht und Verunsicherung, ihrem Schweigen. Ganz nah, ihrem kreatürlichen Rohzustand, ihrer Nacktheit, ohne Barriere zwischen ihnen und uns, ohne Einpassung an künstlerische Konventionen. – Auf Youtube gibt es Theater- und Musik-Beiträge des Theaters HORA. Am besten zieht man sich diese parallel zur Lektüre des Buches herein.

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«Ente, Tod & Tulpe», 2011

Aus dem Programm

Das aktuelle Programm zeigt die heutige Grösse und Bedeutung des Theaters. Am 18. Januar spielt die HORA‘BAND im Kammgarn Schaffhausen. Am 27. und 28. Januar gastierte das Theater HORA mit «Disabled Theater» im Xing/Arena del Sole in Bologna, vom 25. bis 28. Februar mit «Bad Advice» im Théatre Nuithonie in Fribourg, am 3., 5. und 6. März mit «Human Resources» in der Roten Fabrik Zürich. Am 11. März spielt es im Kleintheater Luzern «Bad Advice», am 11./12. März in der Roten Fabrik «Human Resources». Dann «Bad Advice» im Kleintheater am 13. März und «Human Resources» in der Roten Fabrik am 14. März und «Bad Advice» im Kleintheater. Es folgen am 17./18. März «Ente, Tod & Tulpe» im Roxy Birsfelden. Vom 25. bis 28. März ist «Disabled Theater» im Harbourfront Centre in Toronto programmiert. Vom 5 bis 9. Juni gibt es «Normalität. Ein Musical» in der Roten Fabrik.

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Die HORA’BANDE, 2004

Die HORA’BAND

Die Mitglieder der 2004 gegründeten HORA’BAND sind extrem unterschiedlich, harmonieren aber dennoch, sind 250 Mal aufgetreten und haben 2 CDs herausgegeben. Als Gründe für ihren Erfolg führen sie an: Wir arbeiten hart an der Technik, jeder von uns ist ganz besonders. Wir lieben es, miteinander Musik zu spielen, weshalb uns so viele gute Lieder einfallen. Und sie sagen nicht: Du hast eine Behinderung, du kannst nicht in die Band, sondern fragen: Was kann der Musiker oder die Musikerin? Wie bereichert dieses Können unsere Band? Manchmal stehen sie auf der Bühne und spielen etwas ganz anderes als angekündigt, weshalb es bei ihnen stets spannend bleibt. Ihr Geheimnis sei das Glück, das sie ausstrahlen, sagen sie.

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«Paganini & Ich», 2012

Verborgene Welten entdecken Nachdem ich mehrere ihrer Aufführungen gesehen habe, bin ich mit den Leuten HORA-Leuten der Ansicht, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung, wie in diesem Theater, über Fähigkeiten verfügen, durch die sie in künstlerischer Hinsicht einen echten gesellschaftlichen und kulturellen Beitrag leisten. Die ungefilterte Wahrnehmung dieser Künstlerinnen und Künstler macht für die Betrachter verborgene Welten erfahrbar. Darum ist es ein Ziel aller Aktivitäten dieses Theaters, diese Wertschätzung im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Das ist in einem umfassenden Sinn sozialpädagogische Integration von Behinderten – aber gleichzeitig noch viel mehr, was zu erfahren ist, wenn wir uns hineinbegeben in diese andere Welt.

Theater HORA. Der einzige Unterschied zwischen uns und Salvador Dalí ist, dass wir nicht Dalí sind. Herausgegeben von Marcel Bugiel und Michael Elber. Theater HORA – Stiftung Züriwerk. Theater der Zeit, Berlin 2014. Das Buch kann bestellt werden unter verein@hora.ch oder kann abgeholt werden beim Sekretariat, Baslerstrasse 30, 8048 Zürich, 044 405 71 40044 405 71 40 . Abholpreis Fr. 30.-, Lieferpreis: Fr. 60.-.