Verena Loewensberg
Farb-Form-Welten
Das Kunstmuseum Winterthur zeigt bis 5. August eine Retrospektive von Verena Loewensberg (1912 – 1986), der bedeutendsten Frau der Zürcher Konkreten.
Aus Anlass ihres hundertsten Geburtstags gibt es, nach Camille Graeser und Max Bill, eine umfassende Ausstellung und den Oeuvre-Katalog der viel zu wenig bekannten Schweizer Künstlerin. Mit über hundert Werken lässt sich die Breite ihres damals zukunftsweisenden und heute noch gültigen Schaffens verfolgen, und werden dem Publikum interessante Entdeckungen und genussvolle ästhetische Erfahrungen vermittelt. Geboten wird ein chronologischer Überblick über ihr Werk, von den ersten Gemälden der vierziger bis zu den letzten der achtziger Jahre, ergänzt durch Zeichnungen, die den Gemälden vorausgingen.
Titelfoto der Künstlerin von Thomas Cugini. Zu allen vorgestellten Werken gehören folgende Angaben: Verena Loewensberg, Ohne Titel, Ölbilder auf Leinwand, © Nachlass Verena Loewensberg, Henriette Coray Loewensberg, Zürich.
1949
Verena Loewensberg wurde 1912 in Zürich geboren und wuchs in der Nähe von Basel auf. In ihrer Jugend war keineswegs klar, dass sie Malerin werden sollte, denn die Ausbildung an der Gewerbeschule brach sie ab, da sie an ihrer Begabung zweifelte. Erfolgreicher verlief die Lehre als Weberin. Eine Tanzregieausbildung wiederum endete erneut mit dem Gefühl, der Sache nicht gewachsen zu sein. 1932 fand sie, nun mit dem Designer Hans Coray verheiratet, in Ascona und vor allem in Zürich im Umkreis von Künstlern und Gestaltern zu ihrer eigentlichen Berufung. Unversehens hatte sich in ihr nämlich der Wunsch gemeldet, selbst Bilder zu schaffen. Ein kurzer Aufenthalt in Paris, wo sie der Kontakt zu den namhaften Malern der Moderne faszinierte, half ihr, den eigenen Weg zu finden. Nun konzentrierte sie sich darauf, mit zeichnerischen Mitteln ihre gedanklich gereiften Vorstellungen zu formulieren. Die Ölmalerei, die ihr bevorzugtes Medium werden sollte, brachte sie sich mithilfe eines Lehrbuchs selbst bei.
Die ersten Zeichnungen, zwischen 1935 und 1937 entstanden, zeigen bereits grosse Perfektion in der Ausführung. Die Selbstständigkeit der Vision, die für Loewensberg kennzeichnend werden sollte, verrät zwar Verwandtschaftliches mit den Arbeiten der andern Zürcher Konkreten. Doch bereits mit 24 Jahren nahm sie mit eigenständigen Werken an der Ausstellung «Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik» teil. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der «Allianz», der Vereinigung moderner Schweizer Künstler und Künstlerinnen. Im Kreise Gleichgesinnter hatte sie ihren Platz gefunden. Doch die Öffentlichkeit nahm damals von den Leistungen der Schweizer Moderne kaum Kenntnis. Die wesentlichen Ausstellungen in Zürich und Basel stiessen beim Publikum auf Gleichgültigkeit oder offene Ablehnung. 1950 erst verkaufte sie ihr erstes Bild, und Ankäufe durch die öffentliche Hand waren spärlich. Als geschiedene Mutter von zwei Kindern verdiente sie in der Nachkriegszeit ihr Leben mit angewandten künstlerischen Arbeiten und dem Vertrieb von Wurlitzern und schliesslich ihrem berühmten Jazz-Schallplattenladen.
1953
Erfahrungen mit den Bildern der Künstlerin …
Kunstausstellungen sind ähnlich wie Wanderungen: an Flüssen entlang, die akustisch anregen, über Wiesen, die mit ihren Flora erfreuen, durch Wälder, die zur Andacht einladen, auf Gipfel hinauf, wo die Welt einem zu Füssen liegt. So ähnlich erging es mir bei der Ausstellung des Werkes von Verena Loewensberg, als ich ins Museum trat und lange in den von Dieter Schwarz kuratierten sechs Sälen und drei Kabinetten der Ausstellung weilte.
Was ich von Beginn weg spürte, war Lust, die in den Bildern enthaltenen Farb-Form-Spielen mitzuspielen, ihre Fragen zu beantworten: Welche Linien, Formen, Farben bilden zusammen eine Einheit? Mit ihren, für mich anfänglich fremden Regeln das Universum der Künstlerin kennen zu lernen, macht Freude. Mit Zirkel und Lineal anschliessend die Gesetze der Bildkompositionen ergründen, ist ein Genuss.
Nicht erst im Spätwerk, wo es explizit wird, sondern ansatzweise bereits im Frühwerk erschliessen ihre Bilder Räume, in die wir eintreten können. Deren Teile aufeinander zugehen oder sich voneinander entfernen. Alles steht mit allem in Beziehung, genau wie im Leben.
Die Form- und Farb-Spiele suchen nach einer Entsprechung in Sprach-Spielen. Dieses Übersetzen aus einer fremden Sprache in die eigene ist mehr als eine didaktische Übung, ist ein Akt der Annahme dessen, was vor uns liegt, des Fremden, dessen Wahr-Nehmung.
Bei andern Bildern der Künstlerin fühlte ich mich in einem Konzert, in welchem mit Klängen und Rhythmen, in Dur oder Mol, momentane Disharmonien in abschliessende Harmonien verwandelt werden, die auch bei geschlossenen Augen weiter klingen.
Andere Werkgruppen, nicht erst die wenigen, die nach ihrer Sizilienreise entstandenen, wo sie die dortigen Tempelsäulen beeindruckten, zeichnen sich durch ihre Architektonik aus. Sie arbeiten mit Statik und Bewegung, Gewicht und Gegengewicht.
Nochmals andere ihrer Bilder laden ins Theater, ins Ballett ein, bietet sich als Bühne an, auf welcher das Spiel des Lebens gespielt wird. «Die Bretter, die die Welt bedeuten» werden hier zu den «Farben-Formen, die die Welt erschaffen».
Solches habe ich erlebt; Ähnliches, Anderes ist aus den Werken von Verena Loewensberg zu erfahren, wenn man sich ihnen öffnet und darin verweilt.
1974 – 1975
… und ihre Bedeutung fürs eigene Leben
Verena Loewensberg ist die einzige wirklich bedeutende Frau unter den zahlreichen Männern der Konkreten Kunst. Generell scheint mir, ist diese Kunst sowohl bei den Künstlern wie beim Publikum eine Männerdomäne, was wohl belegt, dass – im Gegensatz zu Max Bill, Richard Paul Lohse und Camille Graeser – Verena Loewensberg einem breiteren Publikum unbekannt ist. Eine zufällige Beoachtung während meines Museumsbesuches deutet darauf hin: Mit einer Ausnahme waren alles Männer in den Sälen.
Loewensberg geht dabei, trotz einiger verwandtschaftlicher Bezüge zu den drei Zürcher Konstruktiven, anders an das Malen heran, setzt in den Bildern originäre Akzente, spricht in einer persönlichen, eben weiblichen Sprache. Gerade dies macht eine Begegnung mit ihr spannend, herausfordernd, befriedigend.
Wenn ich «Männlich» und «Weiblich» dem «Machen» und dem «Wachsen» zuordne, steht in ihrem Werk das Wachsen, Zulassen, Suchen und das Fühlen, weniger das Machen, Berechnen, Konstruieren und das Denken im Vordergrund.
Zum Abschluss wage ich einen vielleicht ungewohnten Zugang zum Werk von Verena Loewensberg, im Grunde zu jedem künstlerischen Werk. Konflikte austragen, in Räumen miteinander spielen, Disharmonien in Harmonien wandeln, Worte in Bilder und Bilder in Worte übersetzen, mit andern in Beziehungen leben – wie es oben als meine Erfahrungen vor den Bildern in Winterthur beschrieben ist –, sind doch zu tiefst menschliche und gleichzeitig höchst alltägliche Auf-Gaben, die das Leben uns bereithält. Und wenn Kunst wie jene von Verena Loewensberg diese konkretisiert, so erhält die Künstlerin, erhält die Kunst allgemein ihre tiefere Bedeutung, ihren Sinn in der Gesellschaft und wird zur Geburtshelferin des Menschen im Menschen.
1983 – 1984
Auskunft über Führungen, Workshops, Konzerte und alle übrigen Informationen finden sich unter www.kmw.ch.