Warten auf Godot

Vom Sinn des Absurden: «Warten auf Godot» von Samuel Beckett verdichtet sich in der Inszenierung des Luzerner Theaters auf die Seins-Form des Wartens, die jedes Leben kennt

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Warten als Sein zwischen Geburt und Tod

Die Hauptfiguren von «Warten auf Godot» des Literaturnobelpreisträgers Samuel Becketts sind die beiden Landstreicher Estragon (Gogo angesprochen) und Wladimir (Didi angesprochen). Sie verbringen ihre Zeit an einem nicht näher definierten Ort mit einer Landstrasse und einem kahlen Baum damit, nichts zu tun. Auf eine Person namens Godot warten sie, die sie nicht kennen, von der sie nichts Genaues wissen, nicht einmal, ob es sie überhaupt gibt. Godot selbst erscheint in der Tat nicht. Das Warten auf ihn ist offensichtlich vergebens. Am Ende eines jeden der beiden weitgehend identischen Akte erscheint ein angeblich von ihm ausgesandter Botenjunge, der verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögere. Er werde aber ganz bestimmt kommen. Spätestens dann dämmert den Wartenden der Zweifel am Sinn ihres Tun. Lösen aber können sie sich dennoch nicht aus ihrer absurden Situation, wie der folgende mehrfach wiederkehrende Dialog unterstreicht:

Estragon: Komm, wir gehen!
Wladimir: Wir können nicht.
Estragon: Warum nicht?
Wladimir: Wir warten auf Godot.
Estragon: Ah!

Zwei Akte lang tritt das Stück an Ort, kommt nicht von der Stelle, steigert sich zu einem sonderbaren Warten als selbstverständliche Existenzform: erfüllt mit belanglosem Reden, Streitereien und Versöhnungen, kleinen Spielchen, Suchen nach tiefsinnigen Worten und lähmendem Schweigen. Mehr schlecht als recht beschäftigen sich die zwei «metaphysischen Clowns» damit, sich die Zeit zu vertreiben oder Möglichkeiten des Selbstmordes zu erörtern.

Auch der Landbesitzer Pozzo, der sich vorübergehen mit seinem Diener Lucky zu ihnen gesellt, bringt keine Veränderung, sorgt für zusätzliche Verwirrung. Er gebärdet sich wie ein reicher Tyrann, der seinen mit Gepäck schwer beladenen Diener als apathischen Packesel an einem Strick um den Hals vor sich hertreibt und auf Kommando kommen und gehen, sprechen oder tanzen lässt. Als Höhepunkt seiner Darbietungen fordert er ihn auf, «laut zu denken». Was dabei herauskommt, ist die höhnische Parodie einer Theodizee, ein wirrer, abgespulter Monolog, in dem Theologie, Kunst und Philosophie zu Kulturmüll zerfallen.

Als die beiden am nächsten Tag erneut zu Wladimir und Estragon stossen, ist Lucky inzwischen stumm und Pozzo blind geworden. Der Herr muss jetzt von seinem Sklaven geführt werden und kann sich nicht entsinnen, Estragon oder Wladimir jemals begegnet zu sein. Die Sinne aller, mit denen die einen die andern wahrgenommen haben, beginnen zu schwinden.

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Gehen zwischen Warten und Warten: Estragon (Jörg Dathe) und Wladimir (Christian Baus)

In Szene gesetzte Absurdität

Alle vier Figuren verkörpern das menschliche Bedürfnis, trotz unbestimmter und letztlich unerfüllter Illusionen, auf die Ankunft eines Heil bringenden Propheten oder eines erlösenden Ereignisses zu hoffen. Das spürt man in der ganzen von drei auf zweieinhalb Stunden verdichteten Fassung des Stückes. Beckett problematisiert und karikiert diesen Hang dadurch, dass er seine Figuren lächerlich und zugleich traurig erscheinen lässt. Mit seiner ins Leere laufenden Handlung, den sich im Kreise drehenden Figuren und dem wenig Hoffnung zulassenden Schluss steht das Stück der zeitgenössischen Philosophie des Existenzialismus nahe und gilt als beispielhaft für das Theater des Absurden der Zeit um 1950 – zusammen  mit weiteren Stücken wie «Endspiel» (1957) «Das letze Band» (1958) und «Glückliche Tage» (1961) von Samuel Beckett sowie «König Ubu» von Alfred Jarry, «Die Stühle», «Die Nashörner» und «Die kahle Sängerin» von Eugène Ionesco.

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Die beiden Clochards in einer abstrakten Landschaft

Der glückliche Sisyphos

Beckett weigerte sich zeitlebens, Interpretationen zu seinen Stücken abzugeben. So lehnte er es auch ab, die Spekulationen darüber, wer Godot sei und wofür er stehe, zu beantworten: «Hätte ich gewusst, wer Godot ist, hätte ich es im Stück gesagt.» Unbestritten ist, dass «Warten auf Godot» die Weltanschauung des Existenzialismus wiederspiegelt. Diese besagt, dass es infolge der rein zufälligen Entstehung der Welt keinen eigentlichen «Sinn des Lebens» und demzufolge auch keine moralischen Vorschriften der Religionen für den Menschen geben könne. Erhellend erweist sich in der Luzerner Inszenierung die konsequente Fokussierung auf das Warten und nicht auf Godot. Wladimir und Estragon verkörpern die existenzielle Unbehaustheit des Menschen. Sie warten, warten, warten. Entfernt illustrieren sie, was Gabriel Marcel als «homo viator» definiert, und Alberto Giacometti mit zahlreichen Werke mit dem Titel «L’homme qui marche» in Szene setzt.

Unbestritten bleibt, dass sich Samuel Beckett auf die Philosophie des Absurden von Albert Camus bezieht, wie diese in «Der Mythos von Sisyphos» beschrieben ist. Ein Werk, das mit Satz «Es gibt nur ein wirklich ernstes Problem: den Selbstmord.» beginnt und mit dem Satz «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.» endet. Das Glücklich-Sein bei Camus ermöglicht es Beckett, dieses in «Warten auf Godot» «durchzukonjugieren» und «durchzudeklinieren» im Raum zwischen Geburt und Tod, bei «Geburt über dem Grab», wie es irgendwo im Stück heisst.

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Leben als Streiten: Christian Baus als Wladimir, Andreas Herrmann als Lucky, Jörg Dathe als Estragon und Samuel Zumbühl als Pozzo

Abstraktes Spiel auf abstrakter Bühne

Wenn man in den Theatersaal eintritt, wartet bereits Wladimir (Christian Baus) hoch oben auf der nach vorne unten geneigten Fläche eines wie auf den Kopf gestellten Kreuzbalkens, abstrakt für die Landstrasse stehend (Bühne Max Wehberg). Eine diskrete Anspielung auch, dass im Hintergrund ein Weg von der Hinterbühne durch die Szene führt. Sie schafft den Bezug zum Hier und Jetzt in Luzern. Genau so abstrakt wie die Bühne ist die ganze Inszenierung von Theaterdirektor Andreas Herrmann. Sie kreist, abstrahierend alles Nebensächliche weglassend, um das Warten und gibt dieser Seins-Form ihre Bedeutung. Auch die Darsteller lassen sich mit ihren Aussagen nirgends festnageln, sind offen gegenüber diesem allumfassenden Warten. Wahrscheinlich liegt hier ein Grund, warum «En Attendant Godot» mehr als sechs Jahrzehnte strahlend überlebt hat: weil mit diesem Warten wohl das Warten im Leben eines jeden Menschen gemeint ist.

www.luzernertheater.ch
Nächste Aufführungsdaten: 30.und 31.Mai, 4., 6., 12. und 15. Juni