Welttheater, von Alten getanzt

Das Seniorentheater Dritter Frühling (TT3F) gibt es seit bald 14 Jahren. Roger Nydegger ist der künstlerische Leiter, weitere Professionelle aus Theater, Tanz und Video betreuen die einzelnen Projekte. Das TT3F wurde bereits mit dem Sozial- und Kulturpreis des Frauenvereins der Stadt Zürich und der Vontobel Stiftung Kreatives Alter ausgezeichnet. Die diesjährige Produktion «Pur & stur» besteht aus zwei Stücken: «Letzte Dinge» und «Sturheit und Cha Cha Cha». Über mehrere Wochen hin haben Männer und vor allem Frauen ab 65 gemeinsam mit den mehrfach prämierten Animatorinnen Texte, Bewegungen, Gestik und Mimik, die Form und die Aussage der zwei Tanztheater entwickelt.

Das Alter kann wunderbar sein, vorausgesetzt der alte Mensch ist gesund, der Körper streikt nicht, es stehen Freunde zur Seite, Kinder kommen noch regelmässig zu Besuch und mit den Finanzen stimmt es einigermassen. Doch es kann auch anders sein im dritten und noch mehr im vierten Alter, wenn die Freunde gestorben sind, Krankheiten und Gebrechen sich häufen oder finanzielle Sorgen einen quälen und wenn jemand einsam wird. Die letzte Herausforderung bildet dann meist der endgültige Abschied aus diesem Leben. Schon früher hiess es, loslassen, Abschied nehmen, von den Erinnerungen zehren oder sich nochmals aufmachen zu einem letzten intensiven Leben vor dem Sterben.

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«Sturheit und Cha Cha Cha»: Stur bleiben oder ausbrechen?

Sturheit ist nicht selten auch eine typische Senioreneigenschaft, verständlich, denn im Lauf des Lebens wurden Erfahrungen bestätigt und haben sich Überzeugungen als richtig erwiesen, die dann zu Gewohnheiten und zu Normen versteinerten, welche man nicht mehr gerne ändert. Das kann, muss aber nicht zwingend in eine Sackgasse führen. Doch was passiert, wenn alle in einer Gruppe stur auf ihrem Kurs bleiben?

Von dieser Konstellation, oft komisch, oft tragisch, geht das erste Stück des Abends, mit Fumi Matsuda und Seraina Dür als Choreographinnen, aus. Sprechend, murmelnd, wispernd, flüsternd, doch vor allem sich im freien Tanz bewegend und von der Musik von Simon Grab getragen, gehen sieben Frauen und ein Mann mit einem reicher Repertoire an gestalterischen Formen an die Thematik heran. Sie deklinieren und konjugieren sozusagen die menschlichen Reaktionen zwischen Anpassen und Nachmachen, Entgegnen und Ändern durch. Ihre Gesichter, ihr ganzen Körper erzählen Geschichten, die bei jeder und jedem im Publikum etwas anders ankommen – denn jeder Zuhörer und jede Zuschauerin verbindet sie mit seinen eigenen.

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«Letzte Dinge»: Ausleben vor dem Ableben

Ein sehr persönliche Stück über das Leben vor dem Tod und über das Sterben kreieren mit sieben Frauen Bettina Holzhausen und Katrin Oettli, die erste als Choreographin, die zweite mit ihren Videos, ein Theater, ein Spiel des Lebens. Mit grosser innerer Dynamik schlagen einen die Szenen in Bann: vom Anfang, der in seiner Strenge an Beckett erinnert, über die Versuche, das Leben, die Schönheit, die Zärtlichkeit auszukosten, bis zum Schluss, wenn Kleidungsstück um Kleidungsstück abgestreift wird, um dem Tod entgegen zu gehen. Es sind Gesten, Bewegungen, Tänze der Einsamkeit, der Gemeinschaft, des Aufbäumens, der Lust und der letzten Dinge.

Die Frauen, die am Konzept des Stückes mitgearbeitet haben, erzählen mit ihrer ganzen psychischen und körperlichen Präsenz von ihren persönlichen Freuden, Hoffnungen, Ängsten und Sehnsüchte. Und da alte Menschen auch die Jugend gelebt haben, ist das Ganze nicht nur ein Alters-Welttheater, sondern ein Menschen-Welttheater, getragen und vertieft durch die suggestive Musik von Simon Grab, die das passende Ambiente schafft. Die Kostüme erhöhen das zufällig Konkrete ins gestaltete Allgemeine. Gezeichnet werden hier nicht bloss Lebensentwürfe für das Alter, sondern für Alt und Jung, für alle. Die spielenden und tanzenden Frauen wachsen über ihr alltägliches Frausein hinaus, werden zu acht Antwortenden auf die Frage: Was heisst es Mensch sein, Mensch werden?

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Ein Genuss für Körper, Geist und Seele

Teilnehmerinnen, die schon mehrer Jahre beim Tanztheater Dritter Frühling dabei sind, schätzen am daran vor allem, dass man hier seine Lebenserfahrung einbringen und von den Erfahrungen der andern profitieren und man mit Lust und Kreativität Theater spielen kann, auch wenn das Gedächtnis nicht mehr voll mitmacht und der Körper nicht mehr zu Höchstleistungen fähig ist.

Die Darstellerinnen und Darsteller erleben es während der Proben und bei der Aufführung – was auch das Publikum spürt – dass das, was diese alten Menschen einbringen, geschätzt, gewürdigt und applaudieren wird. Nicht zuletzt geniesst es die verschworene Truppe des Tanztheaters, dass hier neue Beziehungen, ja Freundschaften entstehen.

Tanzend erleben es Akteure, Tänzerinnen und die Zuschauenden, dass es tiefschürfend wirkt, wenn das Alter nicht nur wie in Vorträgen und Seminarien besprochen, sondern mit allen Sinnen erfahren und gestaltet wird, wenn ihm eine künstlerische Gestalt gegeben wird. Spielend und tanzend verarbeitet und erarbeitet man das Alter nachhaltig. Das geht unter die Haut, im wörtlichen Sinn des Wortes! Ein solcher Abend ist Wellness für Geist, Körper und Seele.

Informationen für Interessierte

«Pur & stur» ist mit den beiden Stücken «Sturheit und Cha Cha Cha» und «Die letzten Dinge», nach der Premiere am 27. April, noch von Donnerstag bis Samstag, 28. bis 30. April, je um 20.00 Uhr, und am Sonntag, 1. Mai, um 11.00 Uhr im Casino-Theater Aussersihl, Rotwandstrasse 4, 8004 Zürich, zu sehen. Mit Tram 3 Richtung Albisrieden, bis Station Bezirksgebäude fahren, Dauer ca. 8 Minuten.

Theaterbesuch: Reservation 044 242 29 32, Kassenöffnung und Barbetrieb jeweils eine Stunde vor Beginn.

Die aktuelle und die früheren Produktionen können als Gastspiele gebucht werden.

Frauen und Männer ab 65, welche sich für Trainings und Workshops oder das Casting für eine neue Produktion interessieren, sind willkommen.

Wer das Projekt TT3F institutionell unterstützen möchte, ist für die Mitarbeit im Vorstand des Vereins willkommen.

Weitere Informationen: www.dritter-fruehling.ch