«Emotionen, Emotionen, Emotionen» - Max Sieber

Hanspeter Stalder, Leiter der Arbeitsgruppe Unterhaltung im Publikumsrat, unterhält sich mit dem Unterhaltungschef von Schweizer Fernsehen DRS, Max Sieber.

Dreikönigstag im zehnten Stockwerk des Fernsehhochhauses bei Max Sieber, dem Abteilungsleiter Unterhaltung von Schweizer Fernsehen DRS: Gleich zu Beginn meine Frage, welche «Ingredienzen» ihm die drei Könige für seine Unterhaltung bringen sollen? «Unterhaltung beinhaltet Lachen, Singen, Tanzen und Akrobatik. Und was gute Unterhaltung ausmacht? Emotionen, Emotionen, Emotionen», seine spontane Antwort.

Unterhaltung auf Höhenflug

Mit berechtigtem Stolz stimmt Max Sieber meiner Einschätzung zu, dass das vergangene Halbjahr eine Zeit der Unterhaltungshöhepunkte gewesen ist. Er sei gegenwärtig nicht bloss auf einem Gipfel, sondern auf einer «Hochebene» der Erfolge, meine ich. «Ja, das stimmt. Im vergangenen Jahr hatten wir die Chance, ist es uns zugefallen, hatte es sich ergeben, dass wir viel Neues entwickeln und realisieren durften», meint er dankbar und zufrieden.

Max Sieber, der Mitte des vergangenen Jahres sechzig Jahre alt wurde, erlernte ursprünglich einen kaufmännischen Beruf. Doch bereits 1965 liess er sich beim Schweizer Fernsehen zum Sendeleiter und Regisseur ausbilden. In den folgenden Jahren realisierte er diverse klassische Konzerte und vor allem unzählige Informations- und Unterhaltungssendungen, Shows und Festivals. Ende letzten Jahres konnte Max Sieber, neben zahlreichen Überarbeitungen, so des «SwissAwards«, von «Benissimo» und «Eiger, Mönch & Kunz», eine Reihe neuer Sendungen wie «Flamingo», «Punkt CH», «ViParade» ankündigen. Die grösste Herausforderung jedoch für die Abteilung, die er seit drei Jahren leitet und die nun mit der Reorganisation bei Schweizer Fernsehen DRS am 1. April 2004 im neuen Bereich Kultur und Unterhaltung aufgeht, bildet unbestritten «MusicStar».

Eine Kassette des neuen Fernseh-Formats, das sich vor allem an Jugendliche richtet, bekam Max Sieber, der selber Vater einer Tochter ist, bereits im Jahr 1999 von einem englischen Kollegen zugespielt, konnte die Sendung damals aber nicht realisieren. Im letzten Amtsjahr von Fernsehdirektor Peter Schellenberg konnte er – inzwischen in der Abteilung Unterhaltung sein eigener Chef – das österreichische Format «Starmania» übernehmen, unter dem Namen «MusicStar» den schweizerischen Verhältnissen anpassen und von Toni Wachter, Redaktionsleiter Show, realisieren lassen.

Unterhaltung zum Regenerieren

Als Alt-68er frage ich Max Sieber, was er zu Umberto Ecos Kritik sage: «Der Sport – und ich erweitere: die Unterhaltung – entziehe der Politik ihre Emotionen, ihre Leidenschaft, ihr Engagement.» Er sei, meint er mit einem abgeklärten Lächeln, ganz und gar nicht dieser Auffassung. Unterhaltung habe in der Gesellschaft immer eine Ventilfunktion. Sie sei beim normalen Publikum kein Ersatz, keine Flucht. Sie boome vor allem in (politisch und wirtschaftlich) schlechten Zeiten. «Der Mensch braucht Gelegenheiten, sich auszuklinken, um sich zu regenerieren. Brot und Spiele hat es schon immer gegeben.»

Sich aus der Welt ausklinken. Um sich bei sich einzuklinken, möchte ich ergänzen. Mir scheint, dass dies die Jungen, deren Zukunftsaussichten nicht sehr rosig sind, besser beherrschen als die Alten. Sie besitzen einen ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb, der auf der Überzeugung fusst, dass man nur andere lieben kann, wenn man sich selbst liebt: eine Überlebensstrategie, welche die Älteren vielleicht von den Jüngeren lernen könnten – und so das eine oder andere Phänomen der Jugendkultur auch besser verstehen würden.

Unterhaltung als Lebensunterhalt

Wenn ich dieses Aus- respektive Einklinken ernst nehme, bekommt Unterhaltung für mich eine neue, unerwartete Dimension. Unterhaltung wird zum Lebens-Unterhalt. Die Seele braucht Unterhaltung wie der Körper Essen und Trinken. Die Seele benötigt Unterhaltung wie der Geist Information, Nachrichten, nach denen er sich richtet.

So gesehen, bekommt die Unterhaltung einen höheren Stellenwert, als man ihn dieser von vielen zugesteht. Unterhaltung ist, so meine ich – und Max Sieber stimmte mir da zu – auch eine politische Dimension. Denn vor allem in der Unterhaltung werden die (unbewussten) Bilder und Werte geschaffen und vermittelt, mit denen wir uns und andere bewerten, uns und andere bilden. Grund genug, als Publikum und als Medienschaffende die Unterhaltungssendungen ernst zu nehmen: als kritisches Publikum, als kreative Medienschaffende, als Publikumsrat.