«Ich bin eine echte Patriotin» - Sibylle Marti

Publikumsrat Hanspeter Stalder, kein leidenschaftlicher Volksmusik-Freund, lässt sich von SF-DRS-Redaktionsleiterin Sibylle Marti überzeugen, welche Werte gerade auch Sendungen dieser Sparte vermitteln.

Hätte ich nicht gewusst, wer mich vor acht Uhr am Morgen, strahlend, sportlich beschwingt und aufgestellt an der Rezeption von Schweizer Fernsehen DRS abholt, hätte ich sie für eine Fitnesstrainerin, Lifestyleberaterin oder Moderatorin gehalten. Doch sie ist es: Sibylle Marti, seit zweieinhalb Jahren Redaktionsleiterin Volksmusik bei SF DRS und bis anhin verantwortlich für «Fensterplatz», «Hopp de Bäse», Festumzüge, «Volksmusik Spezial», «Ferienplausch usw...», «Samschtig-» und «Donnschtig-Jass». Durch die derzeit laufende Reorganisation bei Schweizer Fernsehen DRS wird nun ihre Redaktion im kommenden September aufgeteilt unter den Redaktionen Volkskultur unter der Leitung von Rémy Trummer und Quiz und Spiele unter einer Co-Leitung mit ihr und Gabriela Amgarten. – Ich hoffe jedoch, dass sich diese Aufteilung nicht einschränkend sondern befruchtend auswirkt.

Sibylle Marti wurde 1972 in Wangen SZ geboren. Angefangen habe ihre Berufslaufbahn ganz klassisch. Vier Jahre bei einer Regionalzeitung, dann Videojournalismus bei TeleZüri. Dort habe sie das Handwerk als Produzentin, Redaktionsleiterin von «Lifestyle» und Moderatorin von Mister-Schweiz-Wahlen von der Pike auf gelernt. Dann sei Schweizer Fernsehen DRS auf sie zugekommen und habe ihr die heutige Stelle angeboten. Ihre ganz persönlichen Wurzeln in der Volksmusik gehen in die Zeit zurück, als sie in einer Ländlerkapelle Handorgel gespielt habe.

«Hej, Volksmusig isch spannend!»

Als echter Banause frage ich, was eigentlich Volksmusik sei, und sie antwortet: «Die Musik des Volkes, unseres Volkes, das ist Volksmusik. Nur haben wir Schweizerinnen und Schweizer damit ein Problem, wir sind zu wenig stolz auf unsere Musik.» Bei urbanen Menschen bedeute Volksmusik «Hudigägeler», die man gerade noch in der Skihütte toleriere, sonst mit Nasenrümpfen quittiere. Auf dem Land gebe es für die Volksmusik wenig Probleme, für Nachwuchs an Spielleuten sei gesorgt, lediglich an jungen Hörerinnen und Hörern mangle es.

Ich frage mich, ob das schlechte Image der Volksmusik – neben der alles umfassenden Amerikanisierung – auch einen entwicklungspsychologischen Grund habe. Denn selbst wenn die Eltern leidenschaftliche Volksmusik-Liebhaber sind, werfen deren Kinder diese Musik als Zeichen ihrer Ablösung oft über Bord. So wenigstens habe ich es erlebt.

«Es ist heute schwierig, junge Leute zur Volksmusik zu motivieren: Hej, Volksmusig isch spannend! Diese Musik ist äusserst facettenreich! Doch das wissen immer weniger. Es beginnt schon in der Schule. Die Lehrkräfte singen mit den Kindern die Songs der Hitparade anstatt Volkslieder. So fehlt eben eine wichtige Basis», meint sie, das Problem erklärend. «Ich persönlich glaube, das Wesentliche kommt daher, dass die Schweiz nicht mehr ist, was sie einmal war, und dass die Schweizerinnen und Schweizer auf ihr Land nicht mehr stolz sind. Es scheint: Ich bin eine echte Patriotin.»

Ausdruck unserer Volksseele

Wenn diese Haltung der Minderwertigkeit, dass die Schweiz nicht mehr «in» ist, überhand nimmt, wird es auch für die Schweizer Volksmusik schwierig. So empfindet es die Fernseh-Frau, der ich mich gut anschliessen kann. Und deshalb betrachtet sie es als ihre Aufgabe, einer breiteren Öffentlichkeit zu zeigen, dass die Volksmusik in ihrer Vielfalt und ihrem Reichtum Ausdruck unserer Volksseele, ein Ort unserer Identitätsfindung ist. Dass wir mit dieser Seele kommunizieren sollen, ist für mich ein Bildungsauftrag, ist Service public eines öffentlich rechtlichen Mediums.

Originelle Künstler versuchen – und das freut sie besonders – Altes mit Neuem in Beziehung zu setzen, z.B. Volksmusik mit Rock und Pop, die Operette mit fremder Folklore, einen Tango mit dem Schwyzerörgeli zu spielen oder gar Jodeln mit Klassik zu kombinieren. Das Publikum zu erreichen, ist schwierig und verlangt Fingerspitzengefühl. «Es gilt, das traditionelle Publikum nicht zu verlieren und gleichzeitig ein neues zu gewinnen.» Das erachtet sie als Herausforderung, die sie beim «Fensterplatz» beispielhaft zu leisten vermag.

Als ehemaliger Lehrer spüre ich bei Sibylle Marti einen echt volkserzieherischen Antrieb, gekonnt, elegant und in zeitgemässer Form. «Ich habe keine Berührungsängste», meint sie, «es geht immer nur darum, dass Musik gut gemacht, dass sie glaubwürdig und dass sie authentisch ist».