Für einen besseren Film-Jugendschutz

Verdienstvollerweise greift der «Sonntag» das Thema des Film-Jugendschutzes auf und beleuchtet es kritisch. Ich nehme hier nicht zur besprochenen Alterseinstufung des Films «Keinohrhasen» Stellung, sondern möchte einige Überlegungen zum Grundsatzthema anstellen.

Als Mitglied einer solchen kantonalen Filmkommission kritisierte ich selbst immer wieder den absurden «Kantönligeist» dieser Gremien und suchte nach Lösungen. Leider haben die verschiedenen Kommissionen bis heute keine gesamtschweizerische Lösung gefunden. Im letzten Jahr nun hat die Filmwirtschaft das Anliegen aufgegriffen und der Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz Vorschläge vorgelegt. Jetzt endlich soll es Nägel mit Köpfen geben, wie Claudia Marinka in ihrem Beitrag berichtet.

Einige Vorschläge und Anregungen zur Diskussion

1.    Die Altersfreigaben der Kinofilme werden für alle Kantone verbindlich von einer gesamtschweizerischen Filmprüfungskommission gemacht.

2.    Zum Modus der Einstufungen schlage ich vor: Eine erste Zahl soll «freigegeben» bedeuten, eine zweite Zahl «empfohlen».

3.    Alle Jahrzahlen zwischen 4 bis 16 sind bei diesen Mehrheitsentscheiden der neuen Film-Kinder- und Jugenschutzkommission möglich.

4.    Kategorien wie «K» für Kinder, «J» für Jugendliche oder Ähnliches gibt es nicht mehr, da sie mehr Unklarheit stiften als helfen.

5.    Für Kinder «in Begleitung Erwachsener» kann die Einstufung zwei Jahre herunter gesetzt werden.

6.    Diese Altersangaben sind bei allen Ausschreibungen in Presse und Aushang dem Filmtitel beizufügen.

7.    Grundsätzlich gehört die Beurteilung von DVD und Games zum Jugendschutz, soll jedoch aus praktischen Gründen anders geleistet werden.

8.    Die Schweiz übernimmt für DVD und Games die Einstufungen der Pan European Game Information (PEGI) und erklärt sie als verbindlich.

9.    Die Altersangaben der Filmprüfungskommission und die Angaben der PEGI sind, auch wenn sie seriös gemacht werden, nie objektiv.

10.  Aus diesem Grund soll die Konstituierung der neuen Filmprüfungskommission mit grosser Sorgfalt angegangen werden.

11.  Die neue Kommission besteht aus Mitgliedern der alten kantonalen Gremien aus den Städten mit den meisten Filmpremieren.

12.  Festzuhalten ist, dass dieses Mandat nicht Wirtschaftsförderung, sondern Jugendschutz, also auch Prävention gegen Gewalt und Pornografie ist.

13.  Bei den Altersangaben von Filmen, DVD und Games ist vermehrt auf die Durchsetzung der Entscheide, also auf Kontrolle und Strafe, zu achten.

14.  Mit diesen Massnahmen sind nicht alle pädagogischen Probleme der neuen Medien vom Tisch, sondern ist lediglich ein altes Postulat erfüllt.

15.  Weitere Aspekte des Themas obliegen der Medienpädagogik, für die in der Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte mehr getan werden muss.

16.  Dabei sind weniger Forschungsvorhaben, als vielmehr praktische Hilfen für die Arbeit in Schule, Elternbildung und Öffentlichkeit anzugehen.

ODER

Früherer Blog zum Thema «Für einen besseren Film-Jugendschutz»

Immer wieder mal wird der Film-Jugendschutz, die Freigabe der Kinofilme für Kinder beispielsweise ab 6, 8, 10 oder Jugendliche ab 12, 14 Jahre, in der Öffentlichkeit ein Thema. Für Kinder, Jugendliche und Eltern ist er es täglich, ebenso für Verleiher, Kinobesitzer und die Kommissionen, welche die Filme einstufen. Vor kurzem hat die «SonntagsZeitung» im Zusammenhang mit «Das Parfum» das Thema wieder aufgegriffen. Prima! Denn das Traktandum ist wirklich seit Jahrzehnten pendent.

Ein guter Anfang

Die Filmverleiher haben, wie zu vernehmen war, der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren vorgeschlagen, dass die Freigabe der Filme künftig gesamtschweizerisch zu regeln sei. Eine Idee, die bald dreissig Jahre alt ist, doch bis heute nicht realisiert werden konnte. Hoffentlich gelingt es diesmal! – Nützlich wäre es wohl, wenn der Text dieser Eingabe auch einer interessierten Öffentlichkeit, beispielsweise in der nachfolgenden Blog-Diskussion, zugänglich gemacht würde.

Es kann nur besser werden

Das eine gesamtschweizerische Lösung sinnvoll, effizient und zudem billiger wird, leuchtet ein. Was wir heute haben, ist überholt, absurd und von einem sturen «Kantönligeist» geprägt. Doch nachdem die Erziehungsdirektoren-Konferenz bei der viel komplexeren Volksschule gesamtschweizerische Lösungen konsensfähig gemacht hat und nötigenfalls auch durchsetzen will, ist zu hoffen, dass auch die Justiz- und Polizeidirektoren bald eine befriedigende Lösung finden.

Wenn man grundsätzlich Ja sagt, gibt es für die Realisierung noch Fragen wie die folgenden zu beantworten: Welche Ziele erfüllt diese Kommission? Welche Kompetenzen hat sie? Wer wählt oder bestimmt, wer bezahlt ihre Mitglieder? Wie arbeiten diese praktisch? Wo befindet sich die Zentrale? Doch fast jede Lösung in Richtung einer Vereinheitlichung ist besser als der heutige Zustand.

Es bleibt Jugendschutz

Festhalten möchte ich persönlich jedoch an der in einigen Kantonen gültigen Praxis – und darin geben mir wohl Eltern, Lehrpersonen und Medienpädagogen Recht –, dass diese Kommission im Sinne des Jugendschutzes eine pädagogische respektive medienpädagogische Aufgabe zu erfüllen hat. Inopportun scheint mir, was schon vorgeschlagen wurde, dass die Kinobesitzer oder Filmverleiher diese Einstufung selbst übernehmen.

Wenn man sich für eine schweizerische Lösung entschieden hat, heisst es, noch eine möglichst praktikable Skalierung zu finden.

Ein konkreter Vorschlag

Die Kategorien K und J für Kinder und Jugendliche sind abzuschaffen; denn sie sind unklar und helfen wenig. Wo hört beispielsweise die Kindheit auf, wo beginnt die Jugend? Welsche Kantone haben diese Praxis schon seit längerem eingeführt.

Zu verwenden sind alle Zahlen, durchgängig von 4, 5 bis 16. Es soll keine Sprünge mehr geben, die in der Praxis nur hinderlich und weder dem Film noch dem Kind oder Jugendlichen gemäss sind.

Die Einstufung umfasst zwei Zahlen, von denen die erste «Freigabe», die zweite «Empfehlung» bedeutet. Diese sind frei wählbar, beinhaltet also eine verbietende und eine empfehlende Dimension.

In Begleitung Erwachsener gilt jeweils beispielsweise eine zwei Jahre tiefere Einstufung der Freigabe und der Empfehlung.

Die Einstufungen werden aufgrund einer Visionierung und der nachfolgenden Diskussion von drei Kommissionsmitgliedern gemacht, wie es heute etwa in Zürich geschieht.

Anregungen für die Weiterarbeit

Dass diese Einstufungen inter-subjektiv bleiben, ist Fakt. So wird man auch künftig über jeden Entscheid streiten können, doch wenigstens nicht mehr über 26.

Dass diese gesamtschweizerische Kommission des Film-Jugendschutzes ihre Kriterien immer wieder neu diskutieren und hinterfragen muss, ist selbstverständlich und unabdingbar.

Eine Referenzorganisation zur Vertiefung der Thematik und zur Anregung für den Aufbau einer eigenen Schweizerischen Kommission könnte die Freiwillige Selbstkontrolle FSK in Deutschland sein.

Es lohnt sich auch, die Thematik etwas breiter anzuschauen, z.B. die Praxis der Altersempfehlungen bei den Computerspielen durch die deutsche USK (Unterhaltunssoft-Selbstkontrolle), die pegi (Paneuropäische Spielinformation) und die Zavatar (Spieldatenbank der USK).

Sicherlich lohnt es sich, die Angelegenheit einmal in einer grösseren Seminarveranstaltung mit Fachleuten grundsätzlich zu diskutieren. Einen Einstieg zur Diskussion kann unter anderem Wikipedia bieten.

Von Vorteil könnte es sein, wenn eine universitäre Einrichtung wie beispielsweise das Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich für die Entwicklung eines neuen Konzeptes gewonnen werden könnte.

Hanspeter Stalder

Leo Baumgartner, Fox-Warner Bros. schreibt:

29.12.2006 17:05 (Antwort)

Ich stimme ihren Statements zumindest teilweise zu, möchte aber darauf hinweisen, dass die Verleiher seit 2 Jahren im Kanton Bern die Alterszulassung selber bestimmen. Bisher ohne die geringsten Problemen. Dafür wurde viel Geld gespart.
Die Realität sieht so aus, dass in 90 % aller Filme das Zutrittsalter klar ist und problemlos vom Verleih vergeben werden kann.
Die vielen Filmkommissionen in der Schweiz arbeiten demzufolge für die Ausnahmen sämtliche Filme auf dem Markt durch - nicht sehr sinnvoll. Es werden ja auch nicht auf allen Parkplätzen im Land schon mal Polizisten aufgestellt, falls jemand falsch parkt. Sondern man pickt die Ausnahmen.
Sinnvoller wäre je eine Kommission für die drei Sprachregionen die nur auf Hinweis oder Verdacht in Aktion tritt.
Absolut einig bin ich mit Ihrem Hinweis, dass die Buchstabenkategorien (K, J, E) wegfallen müssen, weil sie niemandem etwas sagen.

22.01.2007 19:07 (Antwort)

«Der Film-Jugendschutz fällt im Kanton Bern endgültig den Sparplänen zum Opfer. Ein letzter Versuch aus den Reihen der EVP, den Film-Jugendschutz zu retten, scheiterte am Montag 15. Januar im bernischen Grossen Rat.» Soweit eine Pressemeldung.
Ich frage mich:
- Ist das nicht eine Konsequenz, weil die kantonalen Polizei- und Justizdirektionen sich nicht zusammenraufen und eine praktikable gesamtschweizerische Lösung suchen?
- Ist das nicht eine Konsequenz, weil die kantonalen Film-Jugendschutz-Kommissionen, die diese Arbeit noch erfüllen, sich nicht kompetent und engagiert einmischen?
- Ist es nicht eine Konsequenz, weil Politiker immer noch lieber Feuerwehr spielen, statt alle möglichen Mittel der Gewalt-Prävention einzusetzen?
- Wann endlich geschieht etwas?

Julanda Kälin schreibt:

19.02.2007 18:36 (Antwort)

Ich habe deinen Vorschlag gelesen und stimme allen Punkten zu. Dass eine gesamtschweizerische Lösung Einzug hält, ist mehr als fällig, und dass der Jugendschutz nicht einfach verschwindet bzw. in die Kompetenz der Filmindustrie gerät, versteht sich wohl von selbst. In diesem Sinne hoffe ich, dass es neben dir eine ausreichende Anzahl Motivierter und Engagierter geben wird, die diese wichtige Aufgabe in Angriff nehmen.
Mit lieben Grüssen
Jolanda

Esther Oriesek-Savioz schreibt:

27.02.2007 19:09 (Antwort)

Es wird wohl niemand bestreiten wollen, dass in unserer heutigen Gesellschaft die gewalttätigen Übergriffe, von und unter Minderjährigen ausgeübt, in einem Besorgnis erregenden Ausmass zunehmen. Dabei können mehrere Faktoren zu erhöhter Gewaltbereitschaft führen. Heranwachsende Menschen sind bekanntlich labil und beeinflussbar. Zerrüttete Familienverhältnisse, Frustrationen, Kränkungen, seelische Überforderung, Traumata, Angst, mangelnde Zukunftsperspektive, negative Vorbilder und Leitbilder, Gefühle der Leere und Sinnlosigkeit führen zu Aggressivität oder/ und zu Resignation und Flucht- bzw. Suchtverhalten.
Hier sei im Besonderen die Rede von der Beeinflussung durch negative Vor- und Leitbilder. Unsere Kinder und Jugendliche sehen sich, vor allem in den grösseren Agglomerationen, einer Gesellschaft gegenüber gestellt, die einen harten Konkurrenzkampf bestreitet, bei dem nur der «Stärkere» eine Chance hat. Vorbilder von «starken» Helden im Kino und Fernsehen üben eine entsprechende Anziehungskraft auf sie aus. Doch nicht immer dienen diese Helden als positive Vorbilder. Allzu oft unterscheiden sich ihre Mittel zum «guten» Zweck kaum von den brutalen, Menschenleben verachtenden Methoden der Gegenseite. Hauptsache: Sensation und Nervenkitzel müssen her, damit die Kassen klingeln.
Äusserst bedenklich ist zudem, dass allzu viele Jugendliche und sogar Kinder bereits dem Bedürfnis nach «Action» und Flucht vor der belasteten Realität verfallen sind und täglich mehrere Stunden mit Computerspielen verbringen, in denen es nur um Abschiessen und Eliminieren geht.
In Anbetracht dieser Elemente der Beeinflussung zur Gewalt, ist ein Jugendschutz, wo immer möglich, eine dringende Notwendigkeit.
Die Verantwortung für amoralische sowie Brutalo-Filme und Games tragen die Hersteller, Verleiher, Fernsehsender und zuhause die Eltern bzw. Erzieher.
Öffentliche Vorführungen aber obliegen der staatlichen Verantwortung, So existiert beispielsweise in Zürich seit 1971 für Kinovorführungen die Altersbegrenzung bei 16 Jahren. Und eine kantonale Kommission von Sachverständigen begutachtet seither Filme, die auf Antrag des Verleihers bzw. Kinobesitzers, für jüngere Zuschauer herabgesetzt werden sollen. Diese gesetzliche Auflage ist freilich mit Kosten verbunden, sowohl für die Kantone, wie für die Antragsteller.
Es geht aber nicht an, Sparmassnahmen einzuführen, die die ohnehin schmale Bandbreite unseres Jugendschutzes noch mehr beschneidet. So ist der Entscheid des Kantons Bern, die Verantwortung allein den Verleihern zu überlassen, fahrlässig.
Wohl sind sorgfältige Überlegungen am Platz, wie die Tätigkeit der Filmsachverständigen für allfällige Bewilligungen unter der Altersgrenze zu rationalisieren und optimieren wäre.
In diesem Sinne stimme ich dem Vorstoss von Hanspeter Stalder grundsätzlich zu. Meiner Ansicht nach, wäre eine Filmkommission pro Sprachregion den Mentalitäts- und Kulturunterschieden gerechter als eine gesamtschweizerische Lösung. In der deutschen Schweiz hat sich die Zürcher Filmkommission eindeutig zuverlässig bewährt, mit stets kompetenten und sorgfältig verfassten Gutachten von je drei Sachverständigen pro Visionierung. Sie würde sich somit durchaus eignen, die Gesamtverantwortung für diese Sprachregion zu tragen.

28.05.2007 21:40 (Antwort)

«Der Teufel steckt bekanntlich im Detail» :«King Kong jagt den Kantönligeist»

Mit Interesse habe ich den Artikel von Stefan Künzli über die Einstufungen der Kinofilme und die vorgeschlagene Lösung, den in dieser Branche herrschenden Kantönligeist zu überwinden, gelesen. Die Stossrichtung – Zusammenarbeit der Kantone mit dem Ziel einer einheitlichen gesamtschweizerische Einstufung – zielt auch nach meiner Meinung in die richtige Richtung. Dass dabei noch einige Details zu klären sind und der Teufel bekanntlich im Detail steckt, ist offensichtlich. Und dennoch: Ich kann mir eine gesamtschweizerische Lösung durchaus vorstellen.

Zuerst eine kleine Korrektur: In Zürich dürfen Kinder «King Kong» erst ab 14 Jahren sehen, heisst es im Beitrag und im Cartoon. Das stimmt nicht. Die Einstufung heisst «J14» und bedeutet, dass Jugendliche ab 12 zugelassen sind, der Film ab 14 empfohlen wird. So steht es in jedem der gemeinsamen Inserate der Züricher Kinos.

Auch wenn die Idee Lob verdient, verstehe ich unter einer «Vision», dass die ganze Schweiz, nicht bloss Aargau und Solothurn sich einigen. Dies aber wurde in früheren Jahren bereits mehrmals erfolglos versucht. Dass einzelne Kantone zusammenarbeiten und Wertungen austauschen, ist nicht neu, Doch am Ziel sind wir erst, wenn wir eine gesamtschweizerische Einstufung haben. – Vielleicht hat die Idee heute Erfolg, weil sie gesamtschweizerisch durchaus Sparpotenzial birgt.

Doch einen grundsätzlichen Einwand habe ich gegen die Tatsache, dass die Filmeinstufung Sache der Kinobesitzer sein soll wie heute beispielsweise im Aargau und in Solothurn. «Wir Kinobetreiber können am besten beurteilen, welche Filme für Kinder gut sind und welche nicht», begründet dies ein Vertreter der Kinobranche. Mir erscheint das etwas blauäugig. In den Jahrzehnten, in denen ich im Rahmen der Zürcher Kommission diese Arbeit geleistet habe, erlebte ich anderes. Den Verleihern lag im Allgemeinen der Profit, den eine Herabsetzung bringt, näher als die Argumente des Jugendschutzes. Das ist verständlich und auch berechtigt, weshalb die Einstufung aber nicht ihre Aufgabe sein sollte. Eine schweizerische Lösung darf nach meiner Auffassung nicht von Kinobesitzern und Filmverleihern, sondern muss von einem unabhängigen Gremium aus dem Umfeld Jugendschutz, Pädagogik oder Medienpädagogik geleistet werden.