Gewalt in den Medien und in der Kunst

Wer in der Sozialen Arbeit Gewalt erlebt, tut dies meist indirekt, über das Medium Sprache: in der Erzählung der Klienten oder im direkten verbalen Angriff. Als mediatisierte Gewalt also, nicht viel anders, als wenn ein Reporter Gewalt, Krieg, Elend fürs Fernsehen oder für Zeitungen abbildet, wenn Künstler ihre Erfahrungen mit Gewalt in Kunstwerke umsetzen. Die Auseinandersetzung mit diesen Darstellungen kann auch zur Auseinandersetzung mit unserem Beruf werden.

Film: «War Photographer»

Der neue Dokumentarfilm von Christian Frei wurde 2002 für den Oscar für den besten Dokumentarfilm nominiert. Er handelt vom amerikanischen Fotografen James Nachtwey. Frei hat Nachtwey dafür zwei Jahren lang in Kosovo, Jakarta, Ramallah, Kawah Ijen, New York und Hamburg begleitet.

Die Arbeit des Fotografen Nachtwey ist vergleichbar mit der Arbeit eines Sozialarbeiters, einer Sozialarbeiterin, die ebenfalls Leid, Not, Gewalt erleben und von dieser Arbeit leben. «Mein grösstes Problem als Fotograf des Krieges ist, dass ich vom Elend anderer profitieren könnte», meint er. Wie würden wir antworten? Schon allein dieser Fragestellung wegen lohnt es sich, den expliziten und impliziten Argumenten des Filmes nachzugehen.

Denn sowohl Nachtwey wie Frei nähern sich mit grosser Behutsamkeit dieser Frage und der Wirklichkeit dahinter. Der Satz des wohl berühmtesten Kriegsfotografen des zwanzigsten Jahrhunderts, Robert Capa, prägt auch sie: «Wenn das Bild nicht gut ist, dann war der Fotograf nicht nah genug dran.» Gemeint ist die äussere und die innere Nähe.

Ein Credo – auch für uns

Im Jahre 1985, kurz bevor James Nachtwey Mitglied der weltberühmten Fotoagentur Magnum wurde, schrieb der damals 36-Jährige sein Credo über den Sinn seiner Arbeit als Kriegsfotograf. Hier einige Ausschnitte:

«Kann Fotografie etwas ausrichten gegen ein menschliches Verhalten, das die Geschichte überdauert? Eine geradezu lächerlich überzogene Vorstellung, sollte man meinen. Und doch ist es genau diese Vorstellung, die mich antreibt, Krieg zu fotografieren.

Ich sehe die grosse Chance der Fotografie darin, dass sie ein Gefühl für Humanität zu wecken vermag. Wenn Krieg die Folge eines Zusammenbruchs der Verständigung ist, dann ist Fotografie als eine Form der Verständigung das Gegenteil von Krieg.

Könnte ein jeder Mensch auch nur ein einziges Mal mit eigenen Augen sehen, was Phosphor aus dem Gesicht eines Kindes macht oder wie ein verirrter Granatsplitter dem Nebenmann das Bein abreisst, dann müssten endlich alle einsehen, dass kein Konflikt dieser Welt es rechtfertigt, einem Menschen so etwas anzutun, geschweige denn Millionen Menschen.

Aber es sieht eben nicht jeder mit eigenen Augen, und deshalb gehen Fotografen an die Front: um Bilder zu machen, die wahrhaftig genug sind, die beschönigenden Darstellungen der Massenmedien zu korrigieren und die Menschen aufzurütteln aus ihrer Gleichgültigkeit, um anzuklagen und durch die Kraft dieser Anklage noch mehr Kläger zu mobilisieren.»

Der Film läuft gegenwärtig in den Kinos. Verleih LookNow!, Zürich, Tel. 01 440 25 44. Die Website des Films: www.war-photographer.com.

Kunst: «Gewaltbilder – Gewalt in der Gegenwartskunst»

Das Museum Bellerive in Zürich möchte mit seiner Ausstellung «Gewaltbilder – Gewalt in der Gegenwartskunst» anregen, über Formen und Wirkungsweisen von Gewaltdarstellungen nachzudenken. Nachfolgend einige Notizen, wie die ausgestellten Arbeiten im Blick auf die Soziale Arbeit verstanden werden könnten. Wir erleben Bekanntes aus unbekannten Blickwinkeln. Die ungewohnten Perspektiven der Künstler machen Neues sichtbar und hörbar.

Denkanstösse

Der Zürcher Maik Bischoff hat hundert Spielzeugpistolen aufgehängt, die von den Besuchern in die Hand genommen, manipuliert und zum Teil abgefeuert werden können. Gleich zu Beginn geraten wir in die Ambivalenz Faszination – Ablehnung.

Beim ästhetisch verfremdeten Fotosatz «Guns» von Yves Trémorin wird manifest, dass «sinnlich schön» nicht ohne weiteres auch «moralisch schön» heisst.

«The Omega Suites» von Lucinda Devlin zeigt ein nüchternes Inventar der staatlichen Tötungsmethoden, den elektrischen Stuhl, die Gaskammer, die Giftinjektion, bildet nicht bloss Dinge ab, sondern verweisen auf den Prozesse dahinter.

Die Fotos von Paul Seawright handelt von Sektenmorden, die durch die Wahl des Ausschnitts, des Kamerawinkels, der Licht- und Farbgestaltung, der nüchternen Zitate aus Zeitungsmeldungen ein ungewöhnliches Klima der Angst erzeugen.

Das Hörstück der beiden Studenten der Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich Roger Amgwerd und Thomas Gisler verbinden Schmerzdarstellungen aus Alltag, Medien und Kunst mit fiktiven und reflektierenden Texten.

Mit der Videoinstallation «Feel Lucky Punk??!» geht der Zürcher Christoph Draeger ans Thema heran, indem er im Fernseher Laiendarsteller zeigt, die Überfallszenen spielen, welche bekannten Hollywood-Filmen nachempfunden sind.

Alexandre Périgot lässt in seiner Endlosprojektion «Kill Kill Choréographie» junge Menschen auf der Bühne ihren Tod spielen und konfrontiert uns mit der Tatsache, dass Gewalt- und Todesszenen zum Allgemeingut unserer Kultur gehören.

Eine banale Blutlache breitet sich am Boden aus, die aus dem Einbauschrank und den Ritzen der Wand zu fliessen scheint. Die Lausanner Künstlerin Elisa Gagnebin-de Bons beschreibt damit eine Gewalt ohne Opfer und Täter.

Eric Potempa macht nicht Gewalt an sich zum Thema, sondern inszeniert mit seinen gewalttätigen Angriffen gegen bestehende Bilder einen visuellen Protest gegen übermächtige Personen und Bilder.

Breda Beban lässt die Betrachterinnen und Betrachter im Verlauf der 7-minütigen Videoarbeit langsam und subtil Gewalt erfahren, indem er die Zeit zum Er-Dauern und Erleiden bewusst macht.

Museum Bellerive, Höschgasse 3, 8008 Zürich, bis 19. Mai 2002. Auskunft über Öffnungszeiten 01 383 43 76.