Von der Insel in die Programmdirektion - Adrian Marthaler

Der Publikumsrat Hanspeter Stalder fragt beim Programmdirektor Adrian Marthaler nicht nach dem Hochoffiziellen, sondern nach dem Persönlichen, das dieser ihm auch offen anvertraut.

Hanspeter Stalder (HS): Wie fühlt sich ein Programmdirektor, wenn er Sendungen streicht, wenn er neue ins Programm setzt?

Adrian Marthaler (AM): Wenn eine Sendung aus Spargründen abgesetzt wird, fühle ich mich schlecht, wenn dies aus qualitativen Gründen geschieht, noch schlechter. Ich erlebe es als Eingeständnis persönlichen Versagens. Wenn eine abgesetzt wird, weil sie zu wenig Publikum bringt, fühle ich mich auch nicht besser, vor allem dann, wenn ich von der Sendung überzeugt war. Im Normalfall sind Sendungen mit Herzblut gemacht; doch dieses garantiert weder für Gelingen noch für Qualität.

«Babylon» war ein besonderer Fall, weil ich von Anfang an bei der Entwicklung beteiligt war und wusste, dass wir uns auf ein Abenteuer einliessen, ein hohes Risiko eingingen. Ich bin enttäuscht, weil es uns nicht gelungen ist, unsere Visionen zu realisieren.

Bei neuen Sendungen freue ich mich unglaublich, wenn sie gut gemacht sind und gut ankommen, beispielsweise bei «Aeschbacher» oder «C’est la vie».

Ich komme von der Macherseite, deshalb muss ich beim Urteilen aufpassen. Als Autor habe ich immer gesagt, was mir gefällt, ist gut. Wenn eine Sendung zudem beim Publikum gut angekommen ist, war ich mit ihm im Einklang, wenn nicht, im Widerspruch. Als Programmdirektor habe ich heute eine breite Palette von Sendungen zu verantworten, von denen ich mich nicht mit allen gleichermassen identifizieren kann. Denn auch ich habe persönliche Vorlieben und Interessen.

In einem zweiten Anlauf meiner Beurteilung muss ich mich persönlich etwas zurücknehmen und darauf achten, wie die Sendung handwerklich gemacht ist, ob sie für irgend ein Publikum zum Erlebnis werden kann. Ich versuche, in andere Rollen zu schlüpfen. Das ist nicht immer einfach, doch kann man es lernen.

HS: Du wurdest berühmt als Autor und Regisseur von über fünfzig Musikfilmen. Vermisst du heute, was du funfundzwanzig Jahr lang gemacht hast?

AM: Ich hatte damals das Glück, dass wir eine Art Inseldasein führen konnten. Solange wir Erfolge ernteten, redete uns niemand drein. Wir hatten einen enormen Freiraum, waren auf der Insel der Glückseligen. In den Filmen von damals durfte ich das, was mich beschäftige, ausleben. Das vermisse ich manchmal schon: die besondere Atmosphäre beim Drehen, das «Bohemien»-Leben. Dieses Lebensgefühl gibt es jetzt nicht mehr.

Als ich Programmdirektor wurde, hatte ich beschlossen, dem Vergangenen nicht nachzuhängen. Wenn ich ganz ehrlich bin, gibt es schon Momente, die ich gelegentlich vermisse. Doch ist das kein existentielles Vermissen. Einen Teil von mir kann ich nicht mehr leben. Andere Teile habe ich erst begonnen, zu entdecken und zu entwickeln, seit ich die neue Aufgabe habe.

HS: Was macht der Programmdirektor, wenn er nicht Programme macht?

AM: Ich habe in meinem Leben keine richtigen Hobbys gehabt. Ich habe Kinder. Ich lese gern, gehe ins Theater, leider zu selten ins Kino. Ich habe immer gern ferngesehen und schaue immer noch mit Vergnügen, wenn es Sendungen unseres Hauses sind, sehe ich mit geschärftem Blick Dinge, die gut oder andere, die weniger gut sind. Doch ich kann immer noch unbefangen fernsehen.

Meine Hauptbeschäftigung in der Freizeit ist nach wie vor, in Beizen hocken, zusammen mit Freunden, mit Menschen, die ich kenne. Das ist mein teures Hobby: das Essen, Herumhocken, «Umeschnore», oft auch nur ein «Umeblödle».