«Der Markt ist eine Religion. Produkte müssen Seelen haben»

Unter dem Titel «Emozioni – Verkaufen mit Emotionen» fand vor kurzem im Gottlieb Duttweiler Institut eine Tagung statt, zu der Innovatoren und Entscheidungsträger aus Handel und Industrie, General Management, Marketing und Kommunikation, Produktentwicklung, Design und Beratung eingeladen wurden. – Hanspeter Stalder, unser Berichterstatter, referiert im ersten Abschnitt einige Gedanken der Veranstaltung und spinnt diese dann, aus der Position der Schule, weiter.

1. Verkaufen mit Emotionen

Was heisst heute verkaufen? Welche Kompetenzen brauchen wir, um die Sehnsüchte der Menschen zu erfassen? Wie können Unternehmen Teil dieser Gefühlswelt werden? Informationen, die den Kunden laufend Neues versprechen, verlieren in unserer Überflussgesellschaft an Wirkung. Heute braucht es, um Produkte oder Dienste erfolgreich zu verkaufen, vor allem Emotionen. Aber auch Überraschungen und Genuss, Ästhetik und Ethik fordern die Spezialisten der Neuen Ökonomie.

Glanzlichter setzten Simonetta Carbonaro mit dem Referat «Romantic Marketing» und David Bosshart mit «Unsichtbare Märkte, unsichtbares Kapital» sowie Mike Meiré mit der Performance «Liquid Identity», welch Sinnfrage stellt; dies konträr zu der schon fast blasphemischen Behauptung Elio Fioruccis: «Der Markt ist eine Religion. Produkte müssen Seelen haben».

Mit neuen Werten verkaufen

Carbonaro gab einen geistesgeschichtlichen Überblick und verlangte sinnvolle Produkte für eine bessere Welt. Sie zeigte, wie im Nachgang zur «reinen Vernunft» Kants der Konsumerismus, der Genuss und die Eroberungslust Don Giovannis als Topos für das Marketing ausgedient und eine neue Romantik zu beginnen habe. Diese zeichne sich aus durch Qualitäten wie Beziehungen, Empathie und Verständnis. Die «progressive Universalpoesie» Schlegels sei gefragt, Chaos und Kreativität.

Brillant und praxisnah entwickelte Bossart Gedankengänge für ein neues Marketing, das die Klaustrophobie des Überflusses überwinde. Er machte einsichtig, dass es nicht immer mehr, sondern oft auch weniger brauche: «Small is beautiful», «einfach» und «langsam» sind gefragt. Eine Renaissance alter 68er-Werte? Überzeugt hat er darin, dass heute und künftig vermehrt unsichtbare Werte wie Emotionen, Zeit, Ruhe, Identität, Vertrauen, Aufmerksamkeit, Nachbarschaft, Kommunikation, Spiritualität und Sinn gefragt seien.

Instruktiv – oft auch ernüchtern – war es für mich, der ich mich mit Schule und Bildung beschäftige, diesen Gurus der New Economy zuzuhören.

2. Mit Emotionen über die Schule kommunizieren

Von den Profit- zu den Non-Profit-Organisationen. Erst in den letzten zwei Jahrzehnten hat man hier begonnen, sich systematisch mit der Öffentlichkeit auszutauschen: zuerst im Sozialen, dann im Pädagogischen.

Dabei ging man, wie anfänglich in der Werbung, vom Paradigma der «Informationsgesellschaft» (Karl Steinbuch) aus. Nach diesem Denkschema funktioniert institutionelle Kommunikation nach innen wie nach aussen, sobald genügend Informationen Verfügung stehen und kommuniziert werden. Das ist nicht falsch, bleibt auch künftig richtig. Doch gibt es seit bald zehn Jahren noch eine andere Schau, das Paradigma der «Erlebnisgesellschaft» (Gerhard Schulze). Danach geschieht Kommunikation vor allem über das Erlebnis. Das aber ist erst im Ansatz bis zu den Verantwortlichen für Public Relations in den Schulen vorgedrungen.

Mit Kopf, Herz und Hand

Immer noch meint man vielerorts in der Schule, Informationen, Fakten und Theorien genügen, um Menschen zu gewinnen. Erst allmählich merkt man, dass Heinrich Pestalozzi auch dazu eine gültige Antwort hatte. Erziehung und Bildung verlangen, dass sie über Kopf, Herz und Hand, Denken, Fühlen und Handeln gehen. Weshalb nicht auch die Kommunikation von pädagogischen Einrichtungen?

Dafür brauchten wir keine Werbe- sprich Manipulationsstrategien, wie sie von der «freien» Marktwirtschaft bis zum Exzess durchexerziert werden. Dafür braucht man bloss den grossen Pädagogen ernst zu nehmen. Denn der Mensch ist ein Wesen, das denken, fühlen und handeln will und kann. Er wird erst wirklich ernst genommen, wenn er auf allen drei Ebenen angesprochen wird.

3. Die Schule als Ort emotionaler Ereignisse

Nicht bloss Public Relations für die Schule hat über drei Ebenen zu geschehen. Der ganze Unterricht mit seiner bildenden und erzieherischen Dimension besteht aus Ereignissen, die Kopf, Herz und Hand ansprechen. Auch hier wäre noch vieles zu verbessern. Lernen, Interaktion und Kommunikation geschehen nur so – oder überhaupt nichts. Neuere Begründungen liefert die Humanistische Psychologie, etwa Ruth C. Cohn mit ihrer Themenzentrierten Interaktion.

Wenn Produkte eine Seele haben sollen, wie behauptet wird, wie viel einsichtiger und glaubwürdiger hat das, was zwischen Lehrperson und Jugendlichem geschieht, eine Seele, wird von Emotionen geleitet und begleitet. Wir haben es nur zuzulassen und zu fördern. Erst so aber wird der Beruf des Pädagogen, der Pädagogin zu dem, was er sein kann.

Vergessenen Worte und Werte

Hier braucht es eine permanente Schulreform. Die organisatorischen und finanziellen Reformen, von denen in der Öffentlichkeit täglich die Rede ist, sind zwar wichtig. Doch gleichzeitig hat das Weiterentwickeln einer Schulreform im «inneren Kreis», der Diade zwischen Lehrenden und Lernenden, zu erfolgen. Diese wird von den Werten der Pädagogik und Philosophie bestimmt und meint, neben dem Kopf immer auch die Hand und vor allem das Herz, also die Emotionen.

4. Medienpädagogisch nachgefragt

Fasse ich die zahlreichen Postulate der Medienpädagogik, wie ich sie in den letzten vierzig Jahren kennen gelernt habe, in zwei Kernsätzen zusammen, so heissen diese: 1. Medienerziehung gelingt, wenn die mediale Kommunikation, z.B. zwischen Medium und Kind, in eine personale, z.B. zwischen zwei Menschen, übergeführt ist. 2. Medienerziehung gelingt, wenn die personale Kommunikation eine wichtigere und umfassendere Rolle spielt als die mediale. Wenn möglichst häufig primär statt sekundär, direkt statt indirekt, personal statt medial kommuniziert wird.

«Carpe diem» – Lebe das Leben!

Kehren wir – zum Schluss – an den Anfang zurück: Menschen, die möglichst primär, personal, direkt, ganzheitlich mit Kopf, Herz und Hand leben, widerstehen erfolgreich den raffiniertesten Strategien eines wissenschaftlich erforschten, verzweifelt kämpfenden, wild gewordenen Kapitalismus. Denn die Werte, die uns beim Kauf von Produkten versprochen werden, erhalten wir mit ihnen doch eigentlich nie. Werte wie Zeit, Identität, Vertrauen, Sicherheit, Beziehungen, Ruhe, Nachbarschaft, Einfachheit, Kommunikation, Emotion, Ethik, Spiritualität und Sinn.

Ich denke, dass die Methoden des Marketing, je manipulierter und hinterhältiger sie auch werden, von der Pädagogik ein Stopp und ein Nachdenken und – soweit meine persönliche Überzeugung – weiterhin viel Widerstand verlangen.