Chatten und Handy, «Second Life», «MySpace» und «YouTube» – als pädagogische Herausforderungen

Kaum hat die Medienpädagogik den Computer und das Internet zur Kenntnis genommen und darauf reagiert, fordern sie allerneueste Medien wieder zur Stellungnahme heraus. Seit wenigen Jahren gibt es PC-Games und Internet-Angebote, die in ihrer Radikalität den Medienkonsum im Allgemein und jenen der Jugendlichen im Besonderen verändern dürfte. Zuerst werden sie hier kurz vorgestellt, dann wird eine medienpädagogische Antwort versucht.

Zum Einstieg einige Zahlen: 76% der Mädchen und 69% der Jungen zwischen 10 und 18 besitzen Handys. Bei 38% der Mädchen und 47% der Jungen stehen im Kinderzimmer ein Computer, bei 30% respektive 45% ein MP3-Player, bei 13 resp. 35% eine Spielkonsole. Tendenz steigend. 80% der 12- bis17-Jährigen verwenden ihre Mobiltelefone zusätzlich zum Spielen, Fotos machen und verschicken, Musik hören und fürs Internet. Vier Fünftel der jüngeren Generation verfügten über Spielerfahrung schon als Teenager, während bei den Babyboomern in der Jugend nur ein Drittel gespielt hat.

Neue Medien…

Chatten und Handy mit SMS und MMS

Chatten heisst, mit Hilfe des Computers in Echtzeit mit andern Menschen im Internet schriftlich kommunizieren, wofür man sich in einen Chattroom einloggt. Das Mobiltelefon mit SMS und MMS hat in den letzten Jahren durch eine völlig wild gewordene Liberalisierung einen Riesenaufschwung erfahren. 80% der 12- bis 17-Jährigen haben eines. Beide Medien verändern das Kommunikationsverhalten der Gesellschaft. Das Handy ist heute fast überall eingeführt und dürfte, weil viele Firmen damit verdienen und es in der Arbeits- und der Freizeitwelt verankert ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit einen weiteren Ausbau erfahren. Auch das Chatten in vielfältigen Communitys werden wohl weiter zunehmen.

Themen fürs Gespräch: Pro und Contra Subito!-Kommunikation; Spontaneität gegen Oberflächlichkeit; Medien-Communitys versus reale Peergroups; Gefahren beim Chatten.

«Second Life»

SL ist eine dauerhaft bestehende, dreidimensionale virtuelle Umgebung, die von ihren Bewohnern (Avartare) erschaffen und weiterentwickelt wird. Kreiert wurde sie 2003 von Linden Lab. Knapp 3,5 Millionen Menschen  waren bis heute online, überproportional viele Schweizer wollen dort etwas erleben und Leute kennen lernen. 300’000 Personen spielen regelmässig, rund 15’000 gleichzeitig. Ins «zweite Leben» steigt man nicht bloss für einige Stunden ein, sondern man hält sich darin während Tagen, Wochen, Monaten immer wieder auf. SL ist jedoch keine gesellschaftliche Utopie, sondern ein Markt. Es verändert den Medienkonsum quantitativ und qualitativ. Bis vor zehn Jahren waren Games Einpersonenspiele; heute bewegt man sich in dieser andern Welt, um mit tausenden zusammen zu sein. Weil viel Geld im Spiele ist, dürfte das neue Medium eine grosse Zukunft haben, sich weiter entwickeln und nicht so schnell von der Bildfläche verschwinden. - www.secondlife.com

Anregungen zum Gespräch: SL als Zeit-Vernichter; ein 3D-Chatroom, um mit andern Kontakt aufzunehmen; Chancen und Gefahren von Spiel und Kreativität.

«MySpace», «YouTube»

2003 wurde die Internet-Kontaktbörse MS gegründet und bildet heute das viertgrösste Portal der Welt. Täglich melden sich 200’000 neue Nutzer an. 160 Millionen sind bereits dabei. Ohne technische Vorkenntnisse kann jeder und jede kostenlos Tagebücher, Fotos, Songs und Videostreams ins Netz stellen, das Portal als Werbeplattform benutzen und unbegrenzt Geistesverwandte kennen lernen.

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2005 wurde die Website YT gegründet, auf der die Benutzer ebenfalls kostenlos Video-Clips hochladen und herunterladen können. 2006 hat Google die Site übernommen. Auf der Website findet man Millionen copyrightfreie Musikvideos und selbst gedrehte Clips. YT ist der populärste Dienst dieser Art. Er erweist sich als ein buntes Mitmach-Netzwerk. MS und YT verändern die Sehgewohnheiten, die Politik und die Popkultur. «USA Today», Amerikas grösste Zeitung meint, YT sei «besser als 99 Prozent des normalen Fernsehprogramms». Das erfolgreichste Stück Trash-Kultur erweist sich als «eine Mischung aus Schwachsinn und Kreativität» («Spiegel»). - www.myspace.com und  www.youtube.com

Pädagogische Themen: Privat versus öffentlich; Vor- und Nachteile der medialen Globalisierung; Chaos und Zufälligkeit versus modernes Bürgermedium; Spielen versus Exhibitionismus.

… und alte Antworten

Ich will nicht für andere sprechen. Meine Kinder und Jugendlichen sind nicht jene der benachbarten Lehrerin, des befreundeten Lehrers. Meine Vorschläge sind deshalb sehr allgemein, sie geben bloss die Richtung an, die man medienpädagogisch einschlagen könnte. Am besten erarbeitet man in einer konkreten Situation zusammen mit einer Kollegin, einem Kollegen Antworten für eine Klasse oder eine Gruppe.

Situationsorientiert einsteigen

Das Wichtigste zu Beginn: Es gibt sie nicht: die Medienpädagogik, weil es das Medium, das Kind und den Jugendlichen nicht gibt. Die (neuen) Medien übernehmen bei jedem Menschen eine andere Funktion, spielen eine andere Rolle, bedeuten anderes. Die Antworten sind deshalb multifaktoriell und komplex. Und die Umstände, die Umfelder, die aktuellen Situationen unterscheiden sich von Kind zu Kind. Das verlangt ein genaues Hinschauen: Was bedeutet das Chatten bei diesem Kind? Das Gamen bei jenem Jugendlichen? Das SMS-Senden und mobil Telefonieren hier? Der Eintrag bei «YouTube» oder «MySpace» dort? Das Eintauchen in die Welt von «Second Life»?

Handlungsorientiert fortfahren

Besser als bloss die Kinder oder Jugendlichen in ihrem Medienverhalten zu beobachten, ist es, selbst in die Rolle des Gamers, des Surfers, der Chatterin usw. zu schlüpfen, es selbst zu probieren, sich dabei möglicherweise von den Jugendlichen in die Materie einführen zu lassen. Taten statt Worte! Gleichzeitig wird so auch das alte Postulat der Antipädagogik, «Beziehung statt Erziehung», überzeugend erfüllt. Wir treten mit den jungen Menschen beim Medienkonsum in persönliche Beziehung. Erziehung (im Sinn von Gebieten und Verbieten) kann warten.

Medienpädagogisch hinterfragen

Im Allgemeinen wird in der Schule lediglich die Handhabung der neuen Medien, vor allem des Computers, gelehrt, geübt, angewandt, das pädagogische Hinterfragen dieser Medienkunde jedoch vernachlässigt. Es wird in Word, Excel, PowerPoint usw. eingeführt und gezeigt, wie man E-Mails verschickt, im Netz nach Informationen sucht und den PC vor Viren schützt. Zu selten diskutiert man, welches die medienpädagogische Dimension dieses Tuns, dieser neuen Kulturtechnik ist, welchen Sinn oder Unsinn diese (neuen) Medien darstellen.

Projektorientiert abschliessen

Projektunterricht, eine Kurswoche kann Chatten, Gamen, ganz allgemein den Umgang mit den neuen Medien, zum Thema machen, indem dies in der Gruppe ausprobiert, darüber gesprochen und das Tun hinterfragt wird. Dies bietet Gelegenheit, dass ein Gruppenprozess im Umfeld der neuen Medien stattfindet und dabei ein Gruppenprodukt entsteht, welches über das Klassenzimmer hinaus wirken kann. Doch auch dabei ist zu beachten, dass dies nicht zur Werbeveranstaltung für ein cooles Medium verkommt, sondern als medienpädagogische Arbeit verstanden wird.

Angeregt wurde dieser Text durch die Tagung «Chatten, Gamen, Zappen» der Paulus-Akademie Zürich vom 14. April 2007, geleitet von Lisbeth Herger von der Paulus-Akademie und Mela Kocher vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien. Weitere Informationen: www.paulus-akademie.ch, www.sikjm.ch.