Die wichtigste Schulstufe

Welche Schulstufe ist die wichtigste? Welche hat den grössten Wert? Darauf werden die meisten mit «Universität» oder «Hochschule» antworten. Ich möchte nachfolgend beliebt machen, dass es der Kindergarten ist.

Wahrscheinlich provoziert diese Antwort. Doch hat mir noch niemand überzeugende Gegenargumente geliefert, wenn die Frage nach der Wichtigkeit und dem gesellschaftlichen Wert der Schulstufen gestellt wurde. Auf der künftigen Eingangsstufe, in welche Kindergarten und Unterstufe verschmelzen, werden die entscheidenden Weichen für die Schulkarriere und die Lebenswege gestellt.

Ob bei einem Kind Neugierde und Freude am Lernen geweckt und entwickelt wird, hängt wesentlich davon ab, was die Kinder im Vorschulalter und in der Eingangsstufe von Eltern, Lehrpersonen und dem übrigen Lernumfeld erhalten. Dass auch auf der Oberstufe und an Gymnasien respektive Berufsschulen zusätzliche Impulse möglich und erwünscht sind, ist bekannt, wird auch nicht in Frage gestellt.

Mehr Ressourcen für alle Stufen

Wenn das stimmt, so muss dieser vom breiten Volk wenig geachtete Schulstufe die grösste Sorgfalt gewidmet werden, ist dort die beste Arbeit zu leisten und sollte den Lehrpersonen dieser Stufe von Politik und Öffentlichkeit die höchste Wertschätzung gezollt werden. Hier darf zu allerletzt gespart werden.

Die Tatsache, dass den künftigen Lehrkräften von der Eingangsstufe bis zur Oberstufe, also der heutigen Real-, Sekundar-, Bezirksschule, an derselben Pädagogischen Hochschule, wenn auch noch in verschiedenen Zügen eine ähnliche Ausbildung erhalten, schafft gute Voraussetzungen für eine künftig noch umfassendere Gleichstellung aller Lehrpersonen der Volksschule.

Stufen- und Grundqualifikationen

Eine ähnliche Ausbildung bedeutet, dass in der Ausbildung der künftigen Lehrpersonen zwar Kompetenzen mit stufenspezifische Schwerpunkten gelehrt und gelernt werden. Doch die Grundqualifikationen für das Lehramt sind für alle im Wesentlichen die gleichen. Denn in der Schule unterrichtet man nicht Fächer, sondern mit Fächern Kinder und Jugendlichen, «um ihr Menschsein zu verwirklichen» (Arthur Brühlmeier).

Ob jemand auf der Sekundarstufe oder auf der Eingangsstufe eine Stelle antritt, sollte künftig lediglich von der Affinität, dem Interesse und den Fähigkeiten der Lehrperson und von den Bedürfnissen der Schulgemeinde abhängen. Der Dialog über die Stufen hinweg ist notwendig und wird schliesslich selbstverständlich.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Da unsere Gesellschaft fast alles mit Geld misst, sollte es künftig – im Sinne einer kleinen Vision – auch bei der Besoldung der Lehrkräfte von der Eingangs- bis zur Sekundarstufe keine Unterschiede mehr geben. Das Argument des längeren Studiums fällt weg. Die Begründung der höheren Wichtigkeit und grösseren Bedeutung wurde hier zu widerlegen versucht. In der ganzen Volksschule müsste gelten: Alle Lehrpersonen sind hoch motiviert und bestens qualifiziert; die Arbeit auf allen Stufen ist gleich wichtig; die Löhne sind folglich auf für alle gleich.

Damit ist auch das Problem, dass wegen künftigen Umstrukturierungen jemand von einer oberen Stufe auf eine untere oder umgekehrt wechseln muss oder will, leichter zu lösen, da Lohndiskussionen wegfallen.

Eine Lobby für die Kleinen

Die Löhne der Lehrpersonen sind das eine, die Finanzierung der ganzen Schule und ihrer Infrastruktur das andere. Mir scheint, dass sich heute Öffentlichkeit und Politik etwas einseitig und oft unkritisch für Universitäten, Hochschulen und Fachhochschulen engagieren und darob die Eingangsstufe – sowie die Vorschule respektive Elternbildung – vernachlässigen, obwohl doch gerade hier für die meisten jungen Menschen die Grundlage für höhere Schulen, aber auch das Leben gelegt werden.

Für die Kleinen, die Kinder, deren Eltern und Erzieherinnen und Erzieher, braucht es in der Schweiz eine Bildungsoffensive angesichts der gesellschaftlichen Umstrukturierungen, wie wir sie heute erleben, und angesichts der neuen Wissenslandschaft, wie sie sich täglich verändert. Dafür fehlt jedoch eine Lobby. Es bleibt eine traurige Tatsache, dass fast alle jungen Menschen Autofahrschulen, doch nur sehr wenige Elternschulen besuchen. Bei einer modernen Elternbildung und Vorschulerziehung, wie sie nötig wäre, geht es nicht um ein paar zusätzliche Kurse, sondern um ein radikales Umdenken, um wirklich innovative Angebote und um eine konstruktive Elternbeteiligung.

Für einen Paradigmenwechsel

Plädieren möchte ich nicht für eine revolutionäre Veränderung von heute auf morgen, sondern für ein evolutionäre: ein grundsätzliches Umdenken und eine schrittweise Neuausrichtung. Die künftigen Lehrpersonen, die unsere ständig sich verändernde (Medien-)Gesellschaft verlangt, werden so oder so ein neues Profil erhalten und neue Funktionen übernehmen in den Schulen, die nicht mehr Schulen im heutigen Sinne sind, sondern «Kommunikationsknoten eines globalen Netzwerkes von Beziehungen und Daten» (Fritz Haller). Auch diese Herausforderung dürfte die Lehrpersonen der verschiedenen Stufen einander näher bringen, weil sie nur gemeinsam bewältigt werden kann.

Was heute und morgen jedoch vor allem gebraucht wird, sind Lehrpersonen, die sich als Begleiter verstehen, die motivieren und unterstützen, fördern und fordern, hegen und pflegen, die vernetzt denken und im Team arbeiten, die Vorbilder sind, die Vorbilder sind, die als Pädagogen alle die gleiche «Sprache» sprechen, nämlich «pädagogisch».

Wie die neuen Lehrerinnen und Lehrer konkret aussehen, darüber muss noch viel nachgedacht werden – unabhängig von den aktuellen politischen Diskussionen. Nach den strukturellen und nachfolgenden grundsätzlichen und inhaltlichen Reformen dürfte der Beruf der Pädagogin und des Pädagogen ein neues Profil, eine neue Bedeutung, einen neuen Wert und schliesslich auch ein neues Image erhalten. Als Vision müsste uns vorschweben, was in Finnland Realität ist, dass nur die Besten für diesen wichtigen und schönen Beruf ausgewählt werden.