Frieden will gelernt werden

Gewaltpräventionsprojekt «Mut tut gut» in Berikon

Nicht nur bei Erwachsenen, auch bei Kindern und Jugendlichen ist Gewalt ein Thema. Sei es verbale oder körperliche Gewalt. In der Schule oder in der Freizeit. Diese verlangt von den Lehrkräften, Schulleitungen und Schulpflegen oft schwierige Kriseninterventionen. Und doch wissen wir alle: Vorsorge, also Prävention, ist wirksamer und nachhaltiger und zudem menschlicher und billiger als Interventionen im Nachhinein.

Nach intensiven Diskussionen zwischen Schulpflege und Gemeinderat startete die Schule Berikon im Jahre 2000 das Projekt „Mut tut gut“ mit Nathalie Uhlmann, einer Spezialistin für Prävention und Persönlichkeitsentwicklung. Nach verschiedenen Versuchen der Platzierung und Verteilung der Stunden, begleitet sie heute die Kleinklasse durchgehend, und die vierten und fünften (oder bei Bedarf auch andere) Klassen jeweils während fünf Vormittagen pro Jahr.

Aufwand und Ertrag

Ein solches Projekt ist nicht gratis. Doch haben wir gelernt, die „harten“ Zahlen, die im Budget erscheinen, mit den „weichen“ Zahlen der wahrscheinlich eingesparten Kosten für Heimkosten und andere Massnahmen miteinander zu vergleichen. Dass viel höhere Ausgaben für Sondermassnahmen im einen oder andern Fall durch diese Prävention vermieden werden können, kann nicht exakt bewiesen werden, doch deuten die Erfahrungen der letzten Jahren darauf hin, dass es wohl ist.

Feedback von zwei Lehrpersonen der Kleinklasse

Die Kleinklasse hat das Glück, nun im achten aufeinander folgenden Semester an diesem Gewaltpräventionsprojekt teilhaben zu dürfen. Verhaltensveränderungen brauchen viel Zeit und werden durch Kontinuität erst ermöglicht. So können wir in der Klasse eindeutig Fortschritte in der Konzentrationsfähigkeit beobachten. Aber auch das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit einzelner Kinder haben sich positiv verändert, was sich in ihrer Körperhaltung und Kommunikationsfähigkeit ausdrückt.

Unseren Schülerinnen und Schülern ist ein kopflastiger Zugang oft erschwerend, und Gewalt bricht ja meist ungesteuert los. In diesen Stunden können neue Verhaltensmuster eingeübt werden.

Als wesentlich erachten wir auch, dass in den so genannten Auffangstunden im Klassenzimmer diese neuen Muster reflektiert und im Alltag verankert werden.

Wir Lehrkräfte nehmen an Nathalie Uhlmanns Unterricht als gleichberechtigte Lernende teil – eine für Kinder und Erwachsene gute Erfahrung! Gleichzeitig haben wir aber auch die Möglichkeit, unsere Schülerinnen und Schüler von einer anderen Warte aus beobachten zu können, was wir sehr schätzen. Wir möchten dieses Projekt nicht missen und hoffen, es in gleichem Umfang – oder noch besser: mit aufgestockter Auffangstunde – weiterführen zu dürfen.

Markus und Susanne Hottiger

Siegen ohne Verlierer

Mit diesem Projekt soll Gewaltphänomenen präventiv begegnet werden. Mithilfe asiatischer Kampfkunsttechniken und -philosphien lernen die Kinder sich erfolgreich abzugrenzen und für sich einzustehen, ohne gegen andere unnötig rücksichtslos zu werden. Die Kinder lernen, dass Gewalt nur bedingt eine Lösung ist, trainieren Selbst- und Sozialkompetenzen, um bei Bedarf eine Auswahl an Lösungen zur Verfügung zu haben. Die Schüler und Schülerinnen üben nicht leistungs-, sondern prozess- und bedürfnisorientiert, suchen ganz konkret nach individuellen Lösungen, die Win-Win-Situationen möglichst nahe kommen.

Die neuen Ansätze werden auf der Körperebene geübt, „Denn“, so die Trainerin: „Manchmal weiss man im Kopf genau, was los ist, aber der Körper hat immer noch seine eigenen Reaktionsmuster“. Damit geht dieses Vorgehen über das häufige und meist wenig wirksame moralische Ermahnen im Schulalltag hinaus.

Ich-Stärkung

Aggression und Angst sind Gefühle, die alle Menschen kennen. Das ist völlig normal. Einen möglichst guter Umgang damit zu lernen, ist eine Lebensaufgabe. Schon bei den Kindern soll die Fähigkeit gefördert werden, sich selbst wahrzunehmen, angenehme wie unangenehme Gefühle zu akzeptieren und mit ihnen möglichst konstruktiv umzugehen, als wichtige Voraussetzung für ein gelungenes Miteinander im Alltag. Dies stärkt das Selbstbewusstsein und führt zu einer gesunden Selbstsicherheit, dieser „Haltung des aufrechten Ganges“, die es erlaubt verhältnismässig zu reagieren, um möglichst frei von Zwängen und Opferverhalten sich zu positionieren und jeweils klar Ja oder Nein zu sagen.

Regeln und Disziplin

Asiatische Kampfkünste legen wert auf Regeln und auf eine gesunde Disziplin. Solche Regeln befolgen ist einfacher, wenn ihr Sinn offensichtlich ist. Dass gewisse Übungen nur mit Ernsthaftigkeit und Aufmerksamkeit aller durchgeführt werden können, erlaubt den Bogen zum Alltag zu schlagen; denn auch in der Gruppe braucht es Regeln. Wenn es den Kindern in ihrer Haut wohl ist, wenn sie mit sich umgehen können, dann ist auch im Unterricht die Voraussetzung für ein gutes Arbeitsklima geschaffen.

Theorie und Praxis

Es gilt zu lernen, auch in der Klasse eigene Bedürfnisse zu formulieren, sich dafür einzusetzen und gleichzeitig die Bedürfnisse anderer wahrzunehmen, zu akzeptieren, möglichst kreativ miteinander streiten zu lernen. Dafür ist eine gewisse Empathiefähigkeit unerlässlich.

Praxis und Theorie ergänzen sich: In der Turnhalle werden Übungen gemacht, in welchen kritische Situationen körperlich und konkret durchgespielt werden; im Klassenzimmer werden vorher oder nachher solche Situationen aus dem Alltag diskutiert. Das eine bedingt das andere, das eine nützt dem andern.

Feedbacks von Kindern

Wie Kinder diese Schulstunden erleben, zeigen fünf Aussagen aus der 4. Klasse (zitiert nach einer Reportage von Susanna Vanek in der „Aargauer Zeitung“):

Valerie: Das Projekt hat mir sehr gut gefallen. Nathalie Uhlmann ist eine wirklich lässige Frau. Ich bin jemand, der sich sehr gut durchsetzen kann. Nun habe ich gelernt, das zu tun, ohne andere zu verletzen.

Noé: Ich habe bei diesem Projekt Wichtiges gelernt, darum fand ich es gut. Auch wenn ich mir beim Schildkrötenspiel weh getan habe. Dafür kann ich mich jetzt besser selbst verteidigen.

Rebecca: „Jeder ist anders, das muss man bedenken und respektieren. Das ist zum Beispiel etwas, das ich in diesem Kurs, den ich sehr gut fand, gelernt habe. Auch dass man nicht sofort aufeinander losgehen soll.

Katja: Mir hat das Projekt sehr gut gefallen, wir haben wirklich gute Sachen gemacht. Zum Beispiel das Meditieren, das habe ich bereits zu Hause für mich ausprobiert und bin tatsächlich ruhiger geworden. Ich denke, dass ich noch anderes aus diesem Kurs mitnehmen kann.

Michelle: Die Spiele fand ich ganz lässig. Ausserdem habe ich Tricks gelernt, um mich zu verteidigen. Sehr fasziniert hat mich die Übung, bei der wir Holzstücke zerschlagen haben. Das geht nur mit Überlegen.

Zusatzgewinn

Das Projekt hilft erfolgreich mit, in der ganzen Schule eine humane Schulhauskultur und eine gesunde Konfliktkultur aufzubauen und weiter zu entwickeln. Dafür hat sich das ganze Team der Lehrkräfte im Rahmen eines SILF-Kurses mit der Arbeit von „Mut tut gut“ auseinander gesetzt und gelernt, Grundsätzliches dieser Arbeit in den eigenen Schulalltag zu übernehmen.

In diesem Zusammenhang ist auch nicht zu vergessen, dass Gewaltprävention zusätzlich immer auch Suchtprävention ist.

Und wenn es dennoch einmal zur Krise kommt, haben wir mit Natalie Uhlmann eine Expertin auch dafür zur Hand und müssen nicht erst auf die Suche gehen.