Atzmon, Gilad: Der Wandernde – WER? Eine Studie jüdischer Identitätspolitik

1963 in Jerusalem geboren, wuchs Gilad Atzmon in Tel Aviv in einer «sekulären konservativen Familie» auf. Am israelischen Libanonkrieg 1982 nahm er als Rettungsassistent der israelischen Armee teil. Nach Abschluss seines Wehrdienstes wurde er Produzent und Arrangeur einer Band im Bereich der Rock-, Jazz- und Weltmusik. Das sein Leben prägende Erlebnis war jedoch der Libanonkrieg, der ihn bewog, Israel, «eine Kolonialmacht, die durch ethnische Säuberung und Plünderung entstanden» ist, zu verlassen. Zunächst ging er nach Deutschland, seit 1993 lebt er in London.

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«Die Nazis sorgten dafür, / dass ich Angst hatte, Jude zu sein, / die Israelis sorgen dafür, / dass ich mich schäme, Jude zu sein.» Mit diesen Zeilen von Israel Shahak beginnt Gilad Atzmon sein Buch über die jüdische Identitätspolitik. Nicht als (neuer) Historiker, die er voraussetzt, sondern als Philosoph geht er vor, weniger systematisch und akademisch, mehr kreativ und assoziativ, wie es zu einem Künstler entspricht, fragt er, wofür die Konzepte «Judentum», «Jüdischkeit», «jüdische Kultur» und «jüdische Ideologie» stehen, und um im Bild des Buchtitels zu bleiben, wer derjenige eigentlich ist, der in Israel wandert, handelt und Politik macht. Das kann selbstverständlich nicht in einem Satz beantwortet werden. Doch trägt er zu dieser entscheidenden Frage für die Zukunft von Israel und Palästinas wertvolle Mosaiksteine an Entdeckungen, Erfahrungen, Einsichten, Erkenntnissen zusammen, von denen viele neu und unerwartet sind. Daraus ein abgerundetes Bild zu machen, wie es die Schlusskapitel unter dem Titel «Das Puzzle zusammensetzen …» suggeriert, ist mir jedoch nicht gelungen, zu vielschichtig und vernetzt sind die vielen Teilantworten, doch bringen sie neues Material zutage, das ein notwendiges Weiterdenken provoziert. Persönlich komme ich nach der Lektüre dieses und einiger weiterer neuen Werk zum Schluss, dass der Nahostkonflikt weder durch Krieg und Politik noch durch Dialog und Beten, sondern nur durch eine radikale Metanoia in Israel/Palästina und in der übrigen Welt möglich wird. Atzmon fordert die Auflösung Israels und setzt sich für einen gesamtpalästinensischen Staat ein, wofür zweifellos noch viele altvertraute Gedanken umgedacht werden müssen.

Atzmon, Gilad: Der Wandernde – WER? Eine Studie jüdischer Identitätspolitik. Zambon Verlag, Frankfurt a. M. 2011. 236 Seiten