Auf der Suche nach Weihnachten - in Bethlehem

 krippe.jpg/@@images/image/large

Um 14:50 lande ich mit LY 358 von Kloten kommend im Internationalen Flughafen Ben Gurion Tel Aviv, bei strahlendem Sonnenschein und 21 Grad Wärme. In 40 Minuten bringt mich der Bus nach Jerusalem, in ein Hospiz in der Altstadt. Vom Zimmerfenster aus überblicke ich die muslimische Al-Aqsa-Moschee, die jüdische Klagemauer als Rest des zweiten Tempels und die christliche Grabeskirche. Im Anblick dieser Monumente der drei Weltreligionen überkommt mich Trauer. Alle Abrahams-Religionen predigen Nächstenliebe, doch keine bringt im Heiligen Land den Frieden zustande, im Gegenteil. War oder ist ihr Monotheismus nicht selbst ein Grund für den seit Jahrzehnten, Jahrhunderten dauernden Konflikt? Beim ersten Spaziergang durch die Altstadt mit ihrem christlichen, muslimischen, jüdischen und armenischen Viertel verwandelt sich meine Trauer in Wut. Angesichts zahlloser religiöser Repräsentanten auf den Strassen und Plätzen Jerusalems und in Erinnerung an deren Schriften - Thora und Talmud, Bibel und Dogmen, Koran und Sunna - bleiben mir nur Kopfschütteln und Schweigen. Nichts vermittelt mir nur einen Hauch von Weihnachten.

Eine Mauer, die Menschen und Völker trennt

gilo-mauer.jpg/@@images/image/large

 

Am nächsten Morgen will ich weiter nach Bethlehem, um dort Weihnachten zu suchen. Bei der Jaffa Gate besteige ich ein israelisches Taxi mit gelber Nummer und bezahle die Fahrt bis zur Grenze; Bethlehem liegt jenseits in Palästina. Dazwischen steht eine acht Meter hohe Betonmauer, ergänzt von Wachtürmen und durchbrochen vom Checkpoint Gilo. Dessen Labyrinth müssen die Palästinenser aus Bethlehem passieren, wenn sie nach Jerusalem zum Arbeiten, zur Schule, ins Krankenhaus, zum Markt oder andern Dienststellen wollen. Jetzt, am Nachmittag, passieren ihn nur mehr wenige. Um vier Uhr morgens sind es gewöhnlich lange Kolonnen von Männern und Frauen, die sich durch die Gänge und Drehtüren schleusen. Die Mauer, zu welcher der Checkpoint gehört, wird seit 2003 gebaut und ist heute mehr als 700 Kilometer lang. Sicherheit soll damit erreicht werden, heisst es. Wie ich es bei einem früheren Besuch selber getestet habe, bieten Mauern und Checkpoints jedoch keine Sicherheit, denn sie können problemlos umgangen werden. Jedoch als Machtdemonstration der Besatzer und als Landnahme dienen sie immerzu. «Gefängnismauer» trifft wohl eher zu als «Sicherheitszaun», meint Jimmy Carter in seinem letzten Buch über Palästina. Obwohl ich jetzt in Bethlehem bin, habe noch nichts Weihnachtliches gefunden.

Die Geburtskirche: Symbol und Erinnerung

nativity.jpg/@@images/image/large

Mit meinem roten Schweizerpass komme ich ohne grosse Behinderung durch und besteige auf der andern Seite ein palästinensisches Taxi mit grünem Nummernschild. Quer durch Bethlehems holprige Strassen, zuerst ins Tal hinunter, dann die Anhöhe hinauf, bringt mich der Fahrer zum vereinbarten Ziel, zur Geburtskirche. Die Strassen und öffentlichen Gebäude, die Privathäuser, Hotels und Villen am Weg sind, im Gegensatz zur Zeit nach der Intifada, wieder instand gesetzt, und es wird intensiv weiter gebaut. Je näher wir zur Altstadt und zum Markt kommen, desto grösser wird der Lärm der Händler und desto intensiver dringen die Düfte von Früchten, Gemüse, Fleisch und Fischen, die feilgeboten werden, zu mir. Oben auf der Anhöhe steht rechts die Omar-Moschee, die ich mit einem muslimischen Händler besuchen kann, daneben das Peace Center und rundherum Läden mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen für die Bevölkerung, in den Gässchen Schmuck aus Holz und Silber, Kleider und Ansichtskarten für Touristen und fromme Devotionalien für Pilger. Links erhebt sich beeindruckend die Geburtskirche, von wo jeweils in der Weihnachtsnacht das Fernsehen Bilder in alle Welt bringt. Die Nativity wurde im vierten Jahrhundert erbaut und im Laufe der Zeit immer wieder erweitert und verändert. Hier gedenken während des ganzen Jahres, doch besonders um Weihnachten, Gläubige der Geburt Christi. Menschen aus allen Ländern, immer mehr aus dem Ostblock, Afrika und Südamerika, strömen in die Kirche mit ihren verschiedenen Kapellen. Gesänge in allen Sprachen vermischen sich, Gebete aus allen Ländern lösen sich ab. In der Krypta erinnert ein goldener Stern an das religiöse, aber auch das weltgeschichtliche Ereignis vor mehr als 2000 Jahren. Hier leben die Menschen weihrauchumhüllt und andächtig in der Vergangenheit. Sie beten im Erinnern an damals und hoffen auf eine bessere Zukunft, obwohl die politische Realität eigentlich keine Hoffnung auf baldigen Frieden zulässt. Doch was soll man anderes tun? Im Bewusstsein des Gebotes «Liebe deinen Nächsten wie dich selbst», das Juden, Christen und Muslime predigen, erinnert man sich an das Gegenteil davon. Ohne an dieser heiligen Stätte Weihnachten gefunden zu haben, verlasse ich die Kirche.

Angst verhindert Versöhnung und Frieden

bethlehem.jpg/@@images/image/large

 

Das Land, durch welches Christus einst gewandert ist, bleibt zerstritten, eigentlich immer im Kriegszustand. Bis vor wenigen Jahren waren es gezielte Tötungen auf der einen und Selbstmordattentate auf der andern Seite, von denen man hörte und las. Heute ist die Macht der Fakten und als Antwort der allumfassende Rückzug ins Private, und darüber berichtet kaum jemand bei uns. Was den Menschen bleibt, ist Überleben, nicht Leben. Bei den Palästinensern herrscht Resignation, bei den Israelis Unkenntnis oder Angst. Sie kennen sich gegenseitig nicht und wollen sich nicht kennenlernen. Als «Angst vor dem Frieden» diagnostiziert der jüdische Historiker Moshe Zimmermann in seinem kürzlich erschienen Buch «das israelische Dilemma». Und die Spaltung Palästinas in Gaza mit den Hamas und die Westbank mit der Fatah

lässt nicht einmal Hoffnung aufkommen auf eine inner-palästinensische Einigung. Angesicht dieser Situation im sogenannten Heiligen Land herrscht in Wirklichkeit immer noch, wie seit Jahrhunderten, ein Heiliger Krieg, gibt es keine Weihnachten. Von den biblischen Geschichten hat konkret lediglich der Kindermord des Herodes Aktualitätswert, steht für die Zerstörungswut der Radikalen auf beiden Seiten. Wie in der Religion ist für mich hier im Heiligen Land auch in der Politik nirgends Weihnachten erkennbar.

Im Caritas Baby Hospital Weihnachten gefunden

cbh-h.JPG

 

Noch sinnend, was zu tun wäre, nähere ich mich wieder dem Checkpoint, vorbei an den witzigen, frechen und revolutionären Sprüchen, mit denen die Mauer besprayt ist. Rechts daneben stehe ich vor dem Caritas Baby Hospital und erhalte Einlass. Getragen von der Kinderhilfe Bethlehem, ist es das einzige auf Kleinkinder spezialisierte Spital in der Westbank mit 300'000 Kindern. Es wurde 1952 von einem Schweizer gegründet. Mehr als 33’000 Kinder werden hier jährlich, ungeachtet ihrer Herkunft und sozialen Stellung, stationär oder ambulant behandelt. Eben ist der Erweiterungsbau für die ambulanten Sprechstunden, Therapieräume und Büros des medizinischen Personals sowie die Mütterabteilung fertig gebaut worden. Dank diesem Umbau gibt es mehr Übernachtungsmöglichkeiten für die Mütter, die bei ihren Kindern im Spital bleiben möchten und tagsüber in der Mütterschule in Ernährung, Kinderpflege und Hygiene Unterricht erhalten. Palästinensische Schwestern und lokale und europäische Ärzte leisten hier unter der Leitung der Chefärztin Hiyam Awad Marzouqa, einer palästinensischen Christin, eine grossartige, notwendige, beeindruckende Arbeit.

Hier erhalten der zweijährige Amjad aus Beit Sahur, die vierjährige Raja aus Hebron, Leila, die über mehrere Checkpoints ins Spital gekommen ist, und die Zwillinge von Najah und Ahmed Heilung, Pflege, Hilfe, erleben sie Heil, heilige Tage und Nächte, Weihnachten. In dieser «Oase des Friedens», wie André Marty von SF das Spital mal genannt hat, erfahren sie gelebte Nächstenliebe, 500 Meter neben der Mauer. Hier finde auch ich endlich, zweitausend Jahre nach der ersten grossen, weltbewegenden Weihnacht, meine kleine, Kinder, Mütter und Väter bewegende Weihnacht.