Goldberger, Ernest: Die Seele Israels

Das Buch «Die Seele Israels» geht davon aus, dass Israel heute nicht mehr durch äussere, sondern durch die inneren Feinde gefährdet ist. Die schicksalsschweren gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Probleme können daher nur durch eine selbstkritische Analyse angegangen werden, die sich den üblichen Mythen, Klischees und irrationalen Aufladungen entzieht. Dieser unbequemen Aufgabe stellt sich der Autor, der Jude Ernest Goldberger.

Er wurde 1931 in der Schweiz geboren, doktorierte an der Universität Basel bei Edgar Salis in Sozialwissenschaften mit einer Dissertation über Israel. Später gründete und leitete er ein Beratungsunternehmen für exportabhängige, kleinere und mittlere schweizerische Unternehmungen und zur Förderung von zwischenbetrieblichen Kooperationen. Seit 1991 lebt er in Israel. 

Die Fakten, die Goldberger in höchstem Mass redundant auf fast fünfhundert Seiten zusammenträgt, können erschüttern, sind jedoch erhellend. Mit diesen Informationen im Hinterkopf wird einem das, was aktuell in Israel geschieht, verständlich, nichtsdestotrotz entschuldbar. Er schildert, welches die Ideen waren, die zur Staatsgründung führten, wie sich dieses neue Staatswesen entwickelte und wie es sich heute, die Ideale von damals vergessend, gibt. Der Autor hat das Buch aus persönlicher Betroffenheit als liberaler Jude heraus geschrieben und belegt seine Beobachtungen und Analysen mit Daten, Fakten und Zahlen aus verwaltungsinternen Dokumenten, wissenschaftlichen Studien und den öffentlichen Medien, vor allem der israelischen Zeitung «Ha’aretz». 

Im ersten Teil, «Der Traum» betitelt, vermittelt er eine neue psychologische und historische Sicht Theodor Herzls und des von ihm begründeten politischen Zionismus’ bis zur Staatgründung. Diesem «Traum» stellt er im zweiten, umfangreicheren Teil «Die Wirklichkeit» entgegen, in dem in 24 Kapiteln alle aktuellen Themen behandelt werden. Der dritte Teil «Die Hoffnung» beleuchtet auf 46 Seiten die Motive seiner Zuversicht und referiert Lösungsmöglichkeiten. 

Meinungen 

Arnold Hottinger, der heute 80jährigen Schweizer Doyen der Nahost-Berichterstattung: «Die gegenwärtige kollektive Psyche Israels erscheint Goldberger bestimmt durch „Rechthaberei“, „Enge“, fehlende Integration“, eine „entleerte Religion“, damit zusammenhängend „staatliche Förderung von Ignoranz und Armut“ und „Kolonialismus im Namen Gottes".» 

Der frühere Parlamentspräsidenten Avraham Burg, Abgeordneter der Arbeitspartei, Sohn eines der Gründerväter des Zionismus und einer der Unterhändler des Friedensvertrags von Genf, hat im letzten August selbst einen persönlichen Notruf ausgestossen und meint: «Das Buch von Ernest Goldberger ist mehr als ein Notschrei. Der Autor nimmt sich die Zeit und den Raum, um ausführlicher und genauer zu begründen, warum das einst so bewunderte Land in eine Krise geraten ist. Seine Erkenntnisse, wenn sie nur weit genug um sich griffen, würden schon den Ansatz zur Heilung bieten.» 

Das riesige Material, das der Autor in seinem Buch zusammenträgt, ist Aufklärung im besten Sinn des Wortes. Es bringt den Leser, die Leserin jedoch fast zum Verzweifeln und nimmt ihm und ihr jede Hoffnung. Ich selbst musste das Buch immer wieder weglegen, hielt die desillusionierende, kritische Bestandesaufnahme kaum aus. So sieht ein überzeugter Jude sein Volk! So muss es wohl sein, zu umfassend sind die Belege! Goldberger schliesst sein Buch, indem er sich selbst Hoffnung einzureden versucht, wie folgt: «Der Nahostkonflikt ist eine Manifestation des archaischen Kampfes zwischen aufbauenden und zerstörerischen Kräften im Menschen. Das Gute wird sich durchsetzen. Der Friede wird kommen. Dies ist meine paradoxale Hoffnung.»

Ernest Goldberger: Die Seele Israels, Ein Volk zwischen Traum, Wirklichkeit und Hoffnung. Wilhelm Fink Verlag, München 2004, 489 Seiten, ISBN: 3770540247