Fatah, Sherko: Der letzte Ort

Der Schriftsteller Sherko Fatah erzählt die Geschichte der Entführung von Albert und Osama als literarischen Thriller und als sensibles Psychogramm.

 

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Die beiden geraten an ihre Grenzen und verlieren sich in Angst und Misstrauen. Die Welt um Albert, einem deutschen Aussteiger, schrumpft, seit er im Irak entführt wurde. Sie besteht nur noch aus dem, was der Raum zwischen den Holzlatten des Verschlags zeigt, in den seine Entführer ihn eingeschlossen haben. Sein einheimischer Übersetzer Osama, der aus einer liberalen Familie stammt, ist zum Freund geworden. In der Gefangenschaft, der Willkür ihrer Entführer ausgesetzt, beginnen sie zu reden: über den Hass zwischen den Kulturen und über ihr Leben. Albert wird bewusst, wie wenig Osama, der sein Land im Krieg erlebt hatte und nun als Verräter gilt, mit seinen Geschichten anfangen kann.

Sherko Fatah, der Autor des Romans «Der letzte Ort», wurde 1954 in Ost-Berlin als Sohn eines irakischen Kurden und einer Deutschen geboren, studierte Philosophie und Kunstgeschichte. Von klein auf war er oft im Irak zu Besuch, hat dort noch heute Familie und Freunde. Für viele seiner Bücher hat er dort auch aufwendig recherchiert. Für sein erzählerisches Werk hat er zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Sein Schreiben geht über blosses Dokumentieren hinaus. Er versucht, anhand der Projektionen der Kulturen aufeinander darüber zu erzählen, wozu er in seinen Romanen immer wieder Menschen von der arabischen Welt in den Westen oder in umgekehrte Richtung losschickt. Dabei übernimmt er Formulierungen wie «die Kreuzfahrer, die Amerikaner und Briten» sollen vernichtet werden, ebenso «die Kurden, Christen, Kollaborateure und Schiiten», die «Ketzer, die das Antlitz des wahren Glaubens verschandeln.»

Das irakische Endspiel «Der letzte Ort» handelt davon, wie man nach Verlust seines Wertekostüms das nackte Leben bewahrt. Es spielt im Gebiet rund um den Nordirak, das in der letzten Zeit schlagartig im Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit auftauchte. Der «Emir» der Terrorgruppe, der die beiden zum bitteren Ende führt, spult mit seinen Vorstellungen eines grenzübergreifend Mesopotamiens exakt das Programm der IS-Milizen ab. Genauso wie die Entführung und öffentliche Ermordung des US-Journalisten James Foley durch die Terrorgruppe des «Islamischen Staates» und der aktuelle Vormarsch der Terroristen, die daran sind, einen Gottesstaat zu errichten. Man fragt sich, wie die westliche Öffentlichkeit derart vom Siegeszug der IS-Dschihadisten überrascht werden konnte, obwohl ein Schriftsteller wie Fatah Sherko detailliert ihre Vorgeschichte beschrieben hat. Wieder einmal zeigt sich, dass Künstler, auch Schriftsteller, die Zukunft vorausahnen und beschreiben, indem sie diese nicht dozieren, sondern erzählen. Lesen müsste man sie bloss ...

Fatah, Sherko: Der letzte Ort. Roman. Luchterhand, München 214, 283 Seiten