Gardi, Tomer: Stein, Papier. Eine Spurennsuche in Galiläa

Als Tomer Gardi, der 1974 im Kibbuz Dan in Galiläa geboren wurde, erfährt, dass ein Geschichts- und Naturkundemuseum in seinem Kibbuz mit den Steinen des 1948 zerstörten palästinensischen Dorfes Hounin errichtet werden soll, kann er es zunächst nicht glauben. Wie kann es sein, dass niemand davon weiss, niemand darüber spricht? Wer lebte dort? Wo sind diese Menschen und ihre Nachfahren heute? Und wie konnte deren Schicksal so gründlich verdrängt werden? Das der Ausgangspunkt seiner Spurensuche in seinem eigenen Leben und im Leben der Israelis, die gehandelt, und der Palästinenser, die gelitten haben. Er sucht Antworten, durchforstet dafür die israelischen Archive und stellt die Menschen im Kibbuz zur Rede. Bewusst rennt er gegen die Mauern des kollektiven Schweigens und Vergessens an und hält seine Recherchen und Eindrücke fest. Entstanden ist einerseits eine Annäherung an die Geschichte Palästinas und Israels, anderseits ein eindrückliches Zeugnis von zivilem Ungehorsam. Keine leichte, doch eine lohnende Lektüre, weil sie zum Mittun herausfordert.

 

gardi-tomer.jpg

 

Einen «literarischen Essay» nennt Tomer Gardi sein erstes Buch. Er selbst ist ein politischer Aktivist, Herausgeber der Zeitschrift «Sedek: A Journal on the Ongoing Nakba», eines Projektes der israelisch-jüdischen Initiative Zochrot, welche die Vertreibung der Palästinenser mittels aktiver Erinnerungsarbeit im öffentlichen Diskurs verankern will. Formal ist es anspruchsvoll und gewöhnungsbedürftig zugleich. Es switcht zwischen Dokumentarbericht, der Zeiten und Räume wechselt, Bezugnahmen auf Grössen der Literatur, Philosophie und der Neuen Historiker, unterbrochen von hebräischen Originaldokumenten, grossen autobiografischen Kapiteln, Texten in Gedichtform und andern in distanziertem Schreibstil, der an den «Nouveau roman» erinnert. In allen Formen und Stilen, im ganzen Buch ist Betroffenheit und Engagement spürbar: gegen das Schweigen und gegen sicher Geglaubtes über die Vergangenheit Palästinas und Israels, was den Wahrheits-Test nicht besteht, anzugehen.

Gardi, Tomer: Stein, Papier. Eine Spurensuche in Galiläa. Rotpunktverlag, Zürich 2013. 294 Seiten