Gavron, Assaf: Auf fremdem Land

Der israelische Schriftsteller Assaf Gavron wurde 1968 geboren, wuchs in Jerusalem auf, studierte in London und Vancouver und lebt heute mit seiner Familie in Tel Aviv. Er schrieb mehrere Romane und Erzählungen, ist Übersetzer, Sänger, Songwriter und Verfasser eines Computerspiels. In seinem Roman «Auf fremdem Land» erzählt er von der absurden Realität des Lebens in den besetzten Gebieten im Westjordanland.

Die Geschichte handelt von Geschehnissen um einen nicht genehmigten israelischen Aussenposten einer Siedlung auf palästinensischem Gebiet. Irgendwo hinter Jerusalem, am Fuss eines Hügels, halb im Naturschutzgebiet, teils auf dem Grund des benachbarten arabischen Dorfes, teils in der militärischen Sicherheitszone, nahe der offiziellen Siedlung Ma’aleh Chermesch wächst eine kleine Ansammlung von Wohnwagen zu einer illegalen Siedlung heran. Ihr Gründer, ein Naturbursche der Rucola und Cherrytomaten anbaut und für seine Kinder eine Ziege hält, findet grossen Gefallen dem urwüchsigen Stück Land, dass er seinen Brotberuf als Buchalter aufgibt. Eine Strasse zum Aussenposten wird gebaut, ein Generator hergeschafft und ein Wasserturm errichtet. Als die Behörden von der Siedlung erfahren, stellt sich heraus, dass keine Genehmigung für das Abstellen der Wohnwagen vorliegt, aber auch keine, sie zu entfernen. Ständig ist Chermesch 3 von Räumung bedroht, und doch überdauert er Jahr um Jahr, zieht Familien und Singles, Bauern und Lehrer sowie zwei Brüder aus Amerika, die einst im Kibbuz gross geworden sind, an. Als ein amerikanischer Journalist über die Siedlung berichtet, kommt es zu einer internationalen Krise, der israelische Verteidigungsminister muss sich den USA gegenüber rechtfertigen.

Beim Lesen des Romans wird einem schnell klar, dass der Autor keine politische Stellungnahme, sondern das Ausleuchten der Gründe und Motive hinter den Tatsachen und Fakten anstrebt. Er liefert eine Innenschau der heutigen israelischen Bevölkerung, der liberalen und der orthodoxen; die extremen fehlen; «en passant» gibt es auch die Palästinenser als «arabische Terroristen». Das Buch über die kleinen Konflikte im Land des grossen Konflikts geht nahe an die Menschen in den Siedlungen, ohne diese zu verurteilen oder zu karikieren. Ausführlich und anteilnehmend wird der Alltag dieser Menschen geschildert, ohne dabei – wie in der Realität – einen Blick über die Mauer aus Beton und die Mauer im israelischen Bewusstseins zu werfen. Glänzend recherchiert und packend erzählt, wurde der Roman in Israel ein Erfolg. Vielleicht darf dies als leise Hoffnung gewertet werden, dass es doch mehr und mehr Israeli gibt, die «über die Mauer» blicken möchten, wenn vorläufig auch nur literarisch.

assaf-gavron.jpg

Foto wdr5.de

Assaf Gavron in einem Interview: «Ich will nicht verallgemeinern, aber es gibt einen blinden Fleck im Denken der Siedler – wie der tote Winkel beim Autofahren. (…) Man muss blind sein, um in einer Siedlung leben zu können und zu behaupten, die Politik gehe einen nichts an. Wer sich entscheidet, dort zu leben, tritt in ein Zweiklassensystem ein, in dem es Herren und Diener gibt, in dem eine grosse Bevölkerungsgruppe ohne gleiche Rechte und ohne Möglichkeit zur Selbstverwirklichung lebt. Wie freundlich und offen ein Siedler als Person auch sein mag, auf diesem Auge ist er blind, und das ist mehr als problematisch.» Doch der Roman bleibt ohne Anklage und Kritik. «Mein Buch hat keine politische Agenda. Ich denke, der Leser merkt, dass hier etwas völlig verkehrt läuft.»
Auf fremdem Land. Roman. Luchterhand, München 2012. 543 Seiten.

Foto wdr5.de