Berr, Hélène: Pariser Tagebuch 1942 – 1944

Um das Heute in Israel verstehen zu können, muss man sich auch das Damals vor Augen führen. Eine neue Möglichkeit bietet das Tagebuch von Hélène Berr, 1921 geboren, 1945 an ihrem 23. Geburtstag im KZ von Bergen-Belsen umgebracht. Das Manuskript wurde 2008 gefunden. Die Zeitung «Liberation» erklärte es zur «Literatur-Sensation 2008». Im ersten Teil des Journals berichtet die Schreiberin, eine sensible, literarisch und musikalisch gebildete junge Jüdin in Paris, vor allem aus ihrem privaten Leben. Wie im neunzehnten Jahrhundert in den Pariser Salons traf man sich in ihrer Familie, um sich auf hohem Niveau auszutauschen. Mit der Zeit tauchten ferne Ahnungen, Vermutungen, Befürchtungen auf, bis Tatsachen sie schreiben liessen: «Wir leben Stunde für Stunde, nicht mehr Woche für Woche.» Nicht ihr eigenes Schicksal bedrückte sie. «Ich leide an der Sache an sich, an dieser ungeheuerlichen Organisation der Verfolgungen, der Deportation an sich.» Später berichteten ihr Augenzeugen von den Unmenschlichkeiten der deutschen Soldaten. Ihr ging es um die Auseinandersetzung mit dem äusseren Geschehen. Die Schikanen mehren sich, das Leben wird enger, die Massendeportationen kommen näher. «Etwas ist im Anzug, etwas, das eine Tragödie sein wird, vielleicht die Tragödie».

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Im Gegensatz zu Büchern und Filmen über die Judenverfolgung, die wir gelesen respektive gesehen haben, zeichnet sich das Tagebuch vor allem durch die persönliche Auseinandersetzung mit dem Geschehen, die innerliche Verarbeitung des Leids. Simone Veil, die ehemalige französische Ministerin und Präsidentin des Europäischen Parlamentes sowie Mitglied der Académie Française, schrieb: «Ich bin sehr froh, dass dieses Tagebuch endlich erscheint. Dieser Bericht einer jungen jüdischen Frau über das Leben unter der deutschen Besatzung ist nicht nur von aussergewöhnlicher Empfindungskraft und literarischer Qualität, sondern auch ein historisches Dokument ersten Ranges.» Das Buch endet mit den einzig zutreffenden Worten: «Horror! Horror! Horror!»

Hélène Berr: Pariser Tagebuch 1942 – 1944. Hanser Verlag, München 2009. 317 Seiten