Lisan-Heft 9/2010: Palästina – der Alltag

Wenn man bei uns von palästinensischer Literatur spricht, sind damit vor allem Prominente wie Ghassan Kanafani, Emil Habibi und Sahar Khalifa gemeint und geht es vor allem um die Literatur auf dem Hintergrund der Nakba von 1948 oder des Sechs-Tage-Krieges 1967. Selbstverständlich werden zuerst die Grossen übersetzt und erhalten so bei uns Eingang, unbestreitbar bedürfen diese politischen Ereignisse auch einer literarischen Aufarbeitung, genauso wie die politischen Ereignisse in Palästina/Israel in unseren Massenmedien stattfinden und analysiert werden müssen. Die Literatur hat jedoch die Möglichkeit und die Aufgabe, das abzubilden, was auf der «Hinterbühne» (Erving Goffman) der Weltgeschichte geschieht: den gewöhnlichen Alltag der Menschen. Ehrliche, differenzierte, vielfältige Abbilder dieser Wirklichkeit helfen, wahr zu nehmen und immer besser zu verstehen, was auch auf der «Vorderbühne» geschieht.

Einer solchen Wahr-Nehmung dienen die meist kurzen Texte dieser Lisan-Nummer über Palästina: Gedichte, Kurzgeschichten, Tagebucheinträge, Gespräche, ein Blog und Essays zur Einordnung der Autorinnen und Autoren. Vorgestellt werden etwas mehr als ein Dutzend bei uns noch wenig bekannte sowie Beiträge des berühmten Mahmud Darwisch, dessen Werk in zwanzig Sprachen übersetzt ist. Der Band kann zu einer vielleicht neuen Sicht des Lebens in Palästina verhelfen und animieren, sich auch weiter mit diesen «Botschaftern» Palästinas auseinander zu setzen. Und wenn die meisten Erzählungen weder Anfang noch Ende haben und offen enden, dürfte das, in der Sprache der Dichtung, ein Ausdruck dessen sein, dass es zutiefst keine abschliessende Lösung gibt in den Konflikten in Nahost – und anderswo.

Lisan, Zeitschrift für arabische Literatur. Heft 9/2010: Palästina – der Alltag. 160 Seiten, Fr. 29.00, Lisan Verlag, Basel 2010