Machfus, Nagib: Das junge Kairo

Vor gut hundert Jahren, am 11. Dezember 1911, wurde Nagib Machfus als jüngstes von sieben Kindern eines kleinen Regierungsbeamten in einem der ältesten Viertel Kairos geboren. Später zog die Familie in ein neues Viertel ausserhalb der Altstadt, in dem sich vorwiegend Ägypter aus dem Mittelstand ansiedelten. Für Machfus, der abgesehen von Reisen nach Alexandria sein ganzes Leben in Kairo verbracht hatte, war die Altstadt nicht nur Ort seiner Kindheit, sondern ist auch Schauplatz fast aller seiner Romane – so auch des 1945 geschriebenen «Das junge Kairo»(deutsch 2011 erschienen).

Damals war Kairo ein Ort gewaltiger Ungleichheit und Umbrüche, was sich im Buch in den Gesprächen und Handlungen von vier Studenten spiegelt. Als der ambitionierteste unter ihnen, Machgub Abdaldaim, erkennt, dass es ohne die richtigen Beziehungen keinen Jobs gibt, sieht er sich gezwungen, einem trügerischen Abkommen zuzustimmen: Er soll eine Frau, die ihre Unschuld verloren hat, zur Rettung ihrer Ehre heiraten, ohne sie vorher je gesehen zu haben. Zusätzlich fordert der Verführer des Mädchens, ein hochrangiger Beamter, regelmässiges Besuchsrecht bei seiner Geliebten. Im Gegenzug erhält Machgub eine Position in einem Ministerium. Was für ihn als blosse Überlebensstrategie beginnt, entpuppt sich bald als faustischer Pakt mit unabsehbaren Folgen. Mit diesem genau beobachteten und spannend geschriebenen Buch gelingt Machfus meisterhaft, was auch andere Schriftsteller immer wieder versuchen: Er beschreibt den Zustand einer Welt, hier Ägyptens, auf eine Weise, dass damit die Spuren in die Zukunft – für uns in die Gegenwart des «arabischen Frühlings» – erahnbar und besser verstehbar werden.

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Als Kind lernte Machfus die altägyptische Kultur in den Museen kennen, später ging er dafür regelmässig ins Kino. Aus diesem Fundus entstanden seine ersten Texte. Ernsthaft zu veröffentlichen begann Machfus während seines Philosophiestudiums. Doch die schriftstellerische Arbeit blieben Nebenbeschäftigung. Nach Abschluss des Studiums schlug er die Beamtenlaufbahn ein. Seine ersten Romane waren in der Pharaonen-Zeit angesiedelt und zeugen von der Strömung jener Jahre, die die nationale Identität in der Rückbesinnung auf das alte Ägypten suchte. In den Dreissigerjahren war der Roman als Gattung in der arabischen Literatur noch Neuland. Machfus widmete sein ganzes Schaffen dieser Form, brachte sie zur Blüte, weshalb er heute als «Vater des modernen arabischen Romans» gilt. Höhepunkt seiner realistischen Phase bildete die «Kairo-Trilogie». Ihre Veröffentlichung machte ihn 1956/57 auf einen Schlag zu einem der führenden Schriftsteller der arabischen Welt. In den folgenden Jahren wandte er sich wieder vermehrt dem Kino zu. Für rund fünfundzwanzig Filme schrieb er entweder das Drehbuch oder lieferte die Idee, und es wurden auch viele seiner Romane verfilmt. Nachdem er im Laufe der Jahre die höchsten ägyptischen Auszeichnungen erhalten hatte, wurde Nagib Machfus 1988 als erstem arabischen Autor der Nobelpreis für Literatur verliehen. Sein Werk umfasst rund vierzig Romane und über hundert Erzählungen und Theaterstücke. 1994 wurde er bei einem Attentat durch religiöse Fanatiker schwer verletzt. Trotzdem äusserte er sich weiter in Kolumnen zum Zeitgeschehen. 2006 starb er.

Link auf einen Beitrag im Kulturplatz von FS: www.videoportal.sf.tv/video?id=4886c6d2-e732-49cd-81d2-415f084896fe

Nagib Machfus: Das junge Kairo. Roman. Unionsverlag, Zürich 2011, 253 Seiten