Mit Mona Hatoum denken

Die palästinensische Künstlerin Mona Hatoum, in allen grossen Museen vertreten, zeigt in St. Gallen ihre Werke, die zum Nachdenken anregen.

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In ihrer ersten Einzelausstellung in der Schweiz stellt die Künstlerin Mona Hatoum im Kunstmuseum St. Gallen ihre bekannten Schlüsselwerke neuen, eigens für die Ausstellung realisierten Arbeiten gegenüber. Der eigene Körper als Projektionsfläche für soziale wie politische Themen bildet den Ausgangspunkt für ihr frühes, erweitert und variiert auch ihr aktuelles Werk. Als Tochter palästinensischer christlicher Eltern in Beirut geboren, konnte sie nach einem Ferienaufenthalt in London wegen des ausbrechenden Bürgerkrieges nicht mehr in ihre Heimat zurück. Heute lebt sie abwechselnd in London und Berlin.

Ihre Exilerfahrung und ihr Fremdsein übersetzte sie in den 1980er-Jahren in radikale Performance- und Videoarbeiten. Seit den 90er-Jahren realisierte sie Skulpturen und Installationen, in denen der Körper als Metapher für Bedrohung und Verletzen steht. Klare minimale Formen kontrastieren mit fragilen Materialien, Objekte des Alltags täuschen Behaglichkeit vor, enthüllen aber latente Gefahr. Die von der Künstlerin provozierte Ambivalenz verweist auf Orientierungs- und Vertrauensverlust. In ihren Skulpturen erweitert sie formale Möglichkeiten der Minimal Art um die entscheidende Dimension des Politischen und Existenziellen. Die St. Galler-Ausstellung kuratierten Konrad Bitterli und Nadia Veronese.

Videos zur Einstimmung

Fünf Video mit 6 bis 27 Minuten Länge aus der Zeit von 1980 bis 1988 im Vorraum des Kunstmuseums führen ins Oeuvre von Mona Hatoum ein. Es lohnt sich, die Filme in voller Länge zu sehen. Drei davon seien hier kurz vorgestellt.

Das Video «Variation on Discord and Divisions» von 1984 zeigt die Künstlerin in schwarzem Ganzkörperanzug durch einen Raum kriechen. Erfolglos versucht sie, sich von ihrer Bekleidung zu befreien. Anschliessend deckt sie einen Tisch und schöpft auf die Teller rohe Nieren, die sie aus ihrer Kleidung herausholt und dem anwesenden Publikum anbietet. Ob eine Assoziation an das Abendmahl da nicht angebracht ist? – «Changing Parts» ist ein persönliches Porträt aus demselben Jahr und gleichzeitig eine Metapher für zwei Realitäten, die nebeneinander existieren. Ein Teil bezieht sich auf eine organisierte, geordnete, privilegierte, der andere auf eine Realität aus Chaos, Krieg und Zerstörung, komponiert mit Aufnahmen aus ihrem Elternhaus in Beirut und einer Installation in London. Eine Doppelbödigkeit, die zur Situation vor allem in Palästina gehört. – «Roadworks» von 1985 dokumentiert, wie die Künstlerin barfuss durch die Strassen von Brixton geht und dabei Stiefel hinter sich herzieht, die mit Schürsenkeln an ihre Fesseln gebunden sind. In diesem Stadtteil gab es kurz zuvor Rassenunruhen, und die Stiefel der Marke «Dr. Martens» wurden von der britischen Polizei getragen und von der Skinhead-Bewegung übernommen. Schon die Inhaltsangaben, mehr noch die Videos als ganze fordern ein Nachdenken über Gewalt und die fehlende Anteilnahme mit den Leidenden.

Vier Werke z. B.

«Quarters»

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Der Titel dieser Installation von 1996 lässt an offizielle Unterbringungen in Kasernen und Gefängnissen mit Fünfstockbetten denken, erinnert aber gleichzeitig an Regale zum Aufbewahren von Material. Dabei geht es, so die Künstlerin, zutiefst um das Gefühl von Menschen, die in städtischen Ballungsgebieten in zahllosen Etagen übereinander leben. Die Form suggeriert eine einheitliche, reglementierte Architektur und befasst sich gleichzeitig mit dem Problem des Ein- und Ausgeschlossenseins, hier durch wiederholte Modul- und Gitterstrukturen, die eine streng kontrollierte Umgebung erschaffen.

«Daybed»

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Immer wieder verwendet die Künstlerin unschuldige Haushaltgeräte und verwandelt sie in bedrohlich wirkende Skulpturen, indem sie sie in menschliche Grössenverhältnisse verschiebt. Zwei Werke stehen in der Ausstellung. «Daybed», eines davon, bezieht sich auf eine Reibe, zum Beispiel für Käse, mit elegant geschwungenen Enden. Mit ihrem schwarzen Humor hat die Künstlerin eine Skulptur geschaffen, welche die Reibe in Grösse und Form eines Bettes darstellt, das jedoch anstelle von Schlaf und Erholung Unbehagen und Schmerz verspricht.

«Impenetrable (s vision)

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Die Installation «Impenetrable» aus dem Jahr 2010 erscheint beim Eintreten in den Raum als zarter, von der Decke hängender grosser Kubus: eine leichte und luftige Struktur, die den Raum harmonisch und angenehm besetzt, rund 10 cm über dem Boden schwebend. Bei näherem Hinsehen wird dem Betrachter indes klar, dass diese minimalistische Form, die von ferne so zart und schön ausgesehen hat, eigentlich aus Stacheldrahtstäben besteht, einem Material, das heftige, körperlich spürbare Assoziationen hervorruft.

«Natura morta» (medical cabinet)

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In verschiedenen Versionen von «Natura morta (medical cabinet)» von 2012 hat die Künstlerin Handgranaten in farbigem, spiegelndem Murano-Glas dargestellt. Die dekorativen, verführerischen Objekte erinnern an sinnliche Früchte oder oszillierende Glasgebilde, die bei näherem Hinsehen mit ihrer Aussage umkippen und auf vielschichtige Weise Attribute wie explosiv, heimtückisch, tödlich erhalten. Präsentiert werden diese Glashandgranaten in einem Medizinschrank als wertvolle Objekte mit düsteren Konnotationen.

Wahrnehmungs-Übungen

Zu solchen, unerwarteten und essenziellen Denkprozessen und Botschaften kommt auch Mona Hatoum nicht, ohne sie sich intensiv mit den Gestaltungsmitteln und Wahrnehmungsprozessen auseinandergesetzt zu haben. Es geht bei ihr selbstverständlich nicht um schön oder nicht-schön, sondern um das, was sie für wahr hält. Solche ästhetische Untersuchungen sind bei verschiedenen ausgestellten Arbeiten, solchen auf Wachspapier, Toilettenpapier, handgeschöpftem Papier, als Radierungen und mit palästinensischen Stickereien (zusammen mit Inaash) nachvollziehbar.

Die gleiche Seh-, Hör- und Wahrnehmungsschule – ästhetische Exerzitien sozusagen – kann das Publikum angesichts dieser Werke betreiben, wenn es sich ernsthaft mit den Werken beschäftigt und nicht mit schnellen Antworten zufriedengibt. Offensichtlich ist Mona Hatoum eine politische Künstlerin, und dennoch meint sie in einem Gespräch: «Ich war schon immer überzeugt, dass Kunst keine Armeen bewegen oder Politik beeinflussen kann.» Doch Bewusstsein kann sie verändern und mithelfen, «hinter die Oberfläche der Dinge zu schauen», was heute gerade in Nahost notwendig ist.

© Fotos: Stefan Rohner

www.kunstmuseumsg.ch