Netivi Oded: Gott ist Schuld

 

Der deutsch-israelische Maler und Schriftsteller Oded Netivi (* 1950), der zweiten Generation nach der Shoa angehörend, ist in unsern Breitengraden mit seinem ersten Roman «Gott ist schuld» noch nicht wahrgenommen worden. Er hat es verdient, dass man sich mit seinem Politthriller, der jedoch viel mehr ist als das, breit auseinandersetzt. Denn er ist in meinen Augen «welthafter» als das hoch gelobte, «privatere» Buch «Eine Frau flieht vor einer Nachricht» des Israeli David Grossman.

Wenn schon die Politik für Nahost keinen Frieden in Aussicht stellt, ist es umso notwendiger, dass Schriftsteller in der Fiktion einen Frieden zwischen Israel und Palästina vorbereiten und mit dem Publikum diskutiert. Das Romandebüt von Oded Netivi handelt in einer nicht allzu fernen Zukunft im Gebiet, wo heute Israeli und Palästinenser im Krieg gelebt haben, jetzt endlich mehr oder weniger Frieden herrscht. Israel und die palästinensische Autonomiebehörde haben sich zu einem Staatenbund vereint, die Republik Israel-Palästina gegründet und in einzelnen, nach ethnischen und religiösen Gesichtspunkten aufgeteilten Regionen verwalten. Der Roman erzählt vom realen Leben in diesem neuen Land. Dabei herrschen nicht «Friede, Freude, Eierkuchen», sondern wird in Wort und Tat, so auch mit gelungenen und verhinderten Attentaten weiter gestritten und gleichzeitig am Frieden gearbeitet. Das ist für mich der grosse Wert dieses Buches: Es offenbart das in Worten und Taten, was während Jahrzehnten hinter dem Nein zum Frieden verborgen war. Erst was Worte umfassen, kann zu Taten führen. Obwohl der neue Staat blüht, möchten sich plötzlich arbeitslose Militärs, Untergrundkämpfer und Fanatiker beider Seiten nicht mit diesem Frieden abfinden und planen einen Komplott gegen den neuen Staat. Eine jüdische Polizistin und ein arabischer Polizist nehmen den ungleichen Kampf gegen die Verschwörer auf...
Der Plot mäandert in verschiedenen Strängen und flutet wie die Gezeiten heran und wieder zurück. Gleichzeitig bietet er eine Fülle interessanter Informationen und psychologischer Beobachtungen zur Geschichte, Religion, Kultur und Politik der Region. Gut informierte machen überraschende Neueinsichten, wenig Informierte erhalten eine lebendige und differenzierte Einführung zu den Themen. «Gott ist Schuld», spannend geschrieben, über weite Strecken filmisch gedacht, schliesst in einer Parallelmontage als echter Thriller. Stilistisch vielfältig, lebendig und sinnlich. Unglücklich gewählt erschien mir bei der Lektüre lediglich der Titel; erst am Schluss glaubte ich ihn verstanden zu haben als eine zusätzliche, religionskritische Konnotation des Ganzen, die durchaus Sinn macht.

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Es ist zu hoffen, dass – in Erwartung der Ausrufung eines Palästinenserstaates im September 2011 – der folgende Rückblick im Roman sich erfüllen werde: «Eine derartige Friedensoffensive war damals nur möglich, nachdem den Palästinensern zu mindest pro forma ein eigener Staat zuerkannt worden war.» Oder dass – im Angesicht des «Arabischen Frühlings» –Wirklichkeit wird, was im Roman beschrieben wird: «Wir sitzen hier im Schatten eines Denkmals, das an die wunderbarste Befriedung des einundzwanzigsten Jahrhunderts erinnert. Eine Art Mirakel, welches vor nur wenigen Jahren uns allen geschehen ist! Ein Frieden wurde uns geschenkt, eine wirkliche Aussöhnung. Eine historische Chance auf eine tatsächliche Vergebung zwischen zwei Völkern.» In einer Schlussbemerkung schreibt der Autor: «Es ging mir darum, eine in literarischer Form verpackte Zukunftsvision eines erträumten Friedens im Nahen Osten aufzuzeigen, dass sich Juden und Araber ein Land friedlich teilen können.» – Das lesenswerte und notwendige Buch ist ein humanistischer politischer Appell und gleichzeitig Poesie im Sinne der ποίησις, der Hervorbringung von etwas wirklich Neuem.

Oded Netivi: Gott ist schuld. Jerusalem im Fadenkreuz, Melzer Verlag. Neu Isenburg 2011. 639 Seiten