Dammann, Peter und Hürlimann, Brigitte: Geschichten aus Bethlehem. Ein Kinderspital in Palästina

Ein dünner Band mit Geschichten, in Deutsch und Englisch, liegt vor mir. Erzählt werden sie von Brigitte Hürlimann und fotografiert von Peter Dammann. Es sind keine Reportagen und keine Analysen, sondern stille, berührende, eindringliche Geschichten aus dem Umfeld des Caritas Baby Hospital in Bethlehem. Peter Bichsel sagte einmal, dass «die Menschen Geschichten brauchen, um überleben zu können». Dies ist mir beim Betrachten der Bilder und beim Leser des Textes in den Sinn gekommen. Ich denke, für die Menschen in Palästina sind solche Geschichten wirklich zum Überleben wichtig, uns können sie das Bewusstsein erweitern und dem Leben immer wieder neuen Sinn geben.

Die Geschichte von Najah erzählt von einer jungen Frau, die über die Grenzen Jerichos hinaus als bewunderte Schönheit gilt und die Ahmed aus Fasayye als Braut haben möchte. Die beiden verlieben sich, heiraten und bekommen zweimal Zwillinge. Jetzt leben sie in der judäischen Wüste als sechsköpfige Familie in ärmsten Verhältnissen. Ihre beiden Zwillingspaare werden im Caritas Baby Hospital aufgepäppelt, und die Familie erhält dort Unterstützung. Eine solche Geschichte dient mehr als bloss zum Überleben; sie strahlt etwas aus von der Kraft schöpferischer Liebe. – Der hilfsbereite, aufgeweckte Bashir wird im Kinderspital jahrelang gepflegt und ist den Schwestern und Ärzten ans Herz gewachsen. Wann immer möglich erledigt er als der Sonnenschein der Station für sie kleine Hilfsarbeiten, bis er am 28. September 2009 den Kampf gegen seine heimtückische Krankheit verliert. Doch zuvor erlebt er zusammen mit dem ganzen Spital den wohl schönsten Tag seines Lebens. Er darf, chic frisiert und in den schönsten Pyjama gesteckt, Papst Benedikt XVI das Geschenk des Spitals überreichen. Auch bei dieser Geschichte gelingt es dem Text zwischen den Zeilen und den Bildern durch ihre Gestaltung tiefe Wahrheiten aufblitzen zu lassen, dass wir das Gezeigte nicht bloss wahrnehmen, sondern für wahr nehmen. Die Bilder erzählen mehr als vom Hier und Jetzt, sie verweisen auf das Vorher und Nachher, die Texte beschränken sich nicht auf eine Person, sondern erweitern den Horizont ins Allgemeine und zeigen gleichzeitig das reale Leben in und um Bethlehem, mit der Mauer und den Checkpoints. – Die Geschichte der Physiotherapeutin Amal erweitert den Horizont auf die ganze Westbank. Wir begleiten sie auf ihrem langen und beschwerlichen Heimweg vom Spital auf den Weinberg ihrer Familie in Beit Jala. Sie verhandelt dafür mit Fahrer des Sammeltaxis über Route und Preis, dann führt er sie bis zur nächsten Bushaltestelle, wo sie auf einen Minibus umsteigen muss. Hier wird das ganze Umfeld, geografisch wie politisch, erfahrbar gemacht. – Und auch im Kapitel über das Caritas Baby Hospital machen Text und Bilder erlebbar, wie das Engagement und die Menschenfreundlichkeit des Personals bei den palästinensischen Kindern und Familien auch in Krankheit und Not Glück und Hoffnung verbreiten. Den Ursprung hat das Spital beim Schweizer Pater Ernst Schnydrig, der 1952 mit zwei Zimmern und einem Dutzend Betten begonnen hat, nachdem er an Weihnachten ansehen musste, wie ein palästinensischer Vater sein erfrorenes Kind eigenhändig in der schlammigen Erde vergrub, direkt neben seinem Zelt und nur wenige Meter von der Geburtskirche entfernt. Was daraus entstanden ist, gilt heute als eine «Insel des Friedens» inmitten des so unheiligen Heiligen Landes.

Peter Dammann (Fotos) und Brigitte Hürlimann (Texte): Geschichten aus Bethlehem /Stories from Bethlehem. Ein Kinderspital in Palästina / A Children’s Hospital in Palestine. Dölling und Galitz Verlag, München 2010. 80 Seiten, 60 farbige und schwarz-weisse Abbildungen. Erhältlich bei der Kinderhilfe Bethlehem in Luzern zu Fr. 15. – plus Porto.